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Feierlicher Abschied: „Wer macht eigentlich Medienpolitik? Keiner!“

Ernst Benda über den Medienrat Berlin-Brandenburg, die Macht der Bürokraten und die Herausforderungen der Zukunft.

Herr Benda, als Sie am 21. September 1984 zum ,Kabelrat‘ gewählt wurden, dessen Vorsitz Sie 1985 übernahmen, wussten Sie, was Sie erwartet?

Anfangs haben mich viele gefragt, was das eigentlich ist. Mit Kabeln kommunizieren? Ich bitte Sie! Einige dachten, das sei was Unanständiges. Ich brauchte auch eine gewisse Zeit, mich einzuarbeiten. Zumal ich kein Techniker bin und der innovative Anspruch des alten Berliner Gesetzes fast uneinlösbar hoch war. Eine Landesmedienanstalt ist zwar keine Behörde, aber sie muss nach analogen juristischen Kriterien entscheiden. Das verlangt viel, auch sehr kleinteilige Sacharbeit. Einige gehen anfangs mit der Vorstellung in ein solches Gremium, nun hohen schöpferischen Einfluss auf die Medien zu haben. Da hat ja jeder seine eigene Mängelliste im Kopf. Die gestalterischen Möglichkeiten halten sich aber aus gutem Grunde doch sehr in Grenzen. Anfangs fragte mich meine Frau immer, wenn sie wieder etwas Fürchterliches im Fernsehen gesehen hatte, was wir denn eigentlich dagegen tun würden. Meistens musste ich mit einem gelassenen „Nüschte!“ (berlinert) antworten.

In der Zeitspanne seit 1984 gab es große Veränderungen. Welche Entscheidung empfinden Sie im Rückblick als einen besonders zukunftsweisenden Einschnitt?

Unter diesen vielen Themen empfinde ich die „Digitalisierung“ doch als herausragend. Das war wirkliche Pionierarbeit: als erste Region der Bundesrepublik den Umstieg tatsächlich zu organisieren. Die Technik ist ja nicht alles – praktische und für den Nutzer vorteilhafte Regelungen sind zu finden. Da sind wir beispielgebend vorangegangen.

War nicht die Zeit der Wende, die Neuordnung einer gesamtdeutschen und dann der Berliner und Brandenburger Medienlandschaft viel aufregender?

Dass AFN und RIAS umgestaltet werden mussten, war eine natürliche Folge des Abzugs der Schutzmächte aus Berlin. Dass der alte DDR-Rundfunk umgestaltet werden musste, war eine logische Folge der politischen Entwicklung. Vieles erfolgte fast zwangsläufig. Es musste zu einer gewissen Vereinheitlichung kommen. Demgegenüber waren das eigene Agieren und die gestalterische Kraft bei der Digitalisierung sehr ausgeprägt.

Zu den Medien gibt es ja eine lange Tradition höchstrichterlicher Rechtssprechung. Demnach ist der für eine „Grundversorgung“ zuständige öffentlich-rechtliche Rundfunk prioritär; der private Rundfunk nur eine davon abgeleitete Größe. Das gebührenfinanzierte System kann sich sogar auf eine „Bestands- und Entwicklungsgarantie“ berufen. Ist diese Rechtssprechung ausbalanciert und vor allem: noch zeitgemäß?

Sie reflektiert natürlich die geschichtliche Entwicklung. Der Rundfunk begann als öffentlich-rechtlicher, und lange Zeit war die Vorstellung, daneben könne es auch private Veranstalter geben, überaus unpopulär. Frequenzen waren knapp. Mit knappen Gütern ist sorgfältig umzugehen. Daraus hat sich das Prinzip der „Grundversorgung“ entwickelt. Auch wenn diese nie eindeutig definiert wurde – jeder Begriff, der einen Inhalt hat, hat auch eine Begrenzung in sich. An einigen Urteilen war ich ja noch beteiligt. Dann hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, privater Rundfunk ist denkbar, er darf aber den „Bestand“ und die „Entwicklung“ der öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht unangemessen beeinträchtigen. Ebenso wenig wie „Grundversorgung“ „Rundumversorgung“ bedeutet, heißt diese höchstrichterliche „Entwicklungsgarantie“ nicht: „Macht, was ihr wollt!“

Bezogen auf die Medien: Wer hat denn das Sagen?

Jetzt kommen wir zur wichtigsten Frage: Wer macht überhaupt Medienpolitik? Im Grunde müsste man sagen: keiner! In den letzten Jahren findet Medienpolitik fast nicht mehr statt. Das Interesse der Ministerpräsidenten ist eindeutig rückläufig. Ich bedaure das. De facto wird Medienpolitik von den zuständigen Referenten in den Staatskanzleien der Länder gemacht. Das sind gewiss sachkundige Leute, aber eben Beamte, keine Politiker. Außerdem müssen sie sich einigen, darum ist das Verhandeln der Rundfunkstaatsverträge so langwierig und zäh.

Was erwarten Sie denn für die Medienentwicklung der nächsten Jahre?

Einige Prozesse sind sehr genau zu beobachten und verlangen gegebenenfalls Korrekturen.

Erstens: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk nimmt – mindestens was die jüngere Generation angeht – die Grundversorgung nicht mehr wahr.

Zweitens: Die privaten Veranstalter sind seit dem Zusammenbruch des Kirch-Imperiums in einem jammervollen Zustand. Vom Programm ist kaum noch etwas zu erwarten außer billigster Unterhaltung, die wiederum die Öffentlich-Rechtlichen, die glauben, das sei der Standard für gute Einschaltquoten, dazu verführt, ihnen weitgehend nachzueifern. Wenn die Gebühren einen tieferen Sinn haben – auch so lese ich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – dann ist es der, die Öffentlich-Rechtlichen von der Bindung an Einschaltquoten mindestens relativ unabhängig zu machen. Wenn das nicht mehr funktioniert, können wir die Gebühren und damit das entsprechende System auch abschaffen.

Drittens: Das Internet entwickelt sich zu einem „Hypermedium“, das die speziellen Medien gewissermaßen in sich aufsaugt. Womöglich müssen wir in der Perspektive fundamentale Begriffe wie „Rundfunk“ und „Fernsehen“ selber einer Prüfung unterziehen. Es kann gut sein, dass wir die nächsten Jahre in einem Zustand der medienpolitischen Ungewissheit verbringen.

Dann würden Sie also zum richtigen Zeitpunkt aufhören?

Zwei Dinge treffen zusammen: Vor allem habe ich ja nun ein gewisses Alter erreicht, in dem man normalerweise etwas von den Pflichten zurücktritt und diese gerne jüngeren Leuten überlässt. Außerdem wurde mit dem jetzt in Kraft getretenen Rundfunkstaatsvertrag auch eine zentrale Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) eingerichtet. Das war nicht meine Wunschvorstellung. Aber wir werden sehen, was dabei herauskommt. Vermutlich wird sie den Aktionsradius der Landesmedienanstalten auf die regionalen Einrichtungen begrenzen. Die Zeiten, als wir Berliner etwa mit den bayerischen Kollegen heftig gerauft haben, was zum Teil bis vor das Bundesverfassungsgericht ging, sind dann vorbei. Es ist dennoch genug zu tun, aber – kombiniert mit der erwähnten medienpolitischen Ungewissheit – vermutlich werden erst einmal weniger grundsätzliche Weichenstellungen zu beschließen sein. Das trifft sich gut: Wenn nichts passiert, muss ich nicht dabei sein.

Die Fragen stellte Bernd Gäbler. Das Interview ist ein Auszug aus der Publikation der Medienanstalt Berlin-Brandenburg, „Ernst Benda – Der Medien-Ratgeber“, die anlässlich seines Abschieds aus dem Medienrat am 13. November erscheint.

Ernst Benda, 83. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts ist seit 1992 Vorsitzender des Medienrats Berlin-Brandenburg. Davor hat er seit 1985 den Kabelrat geleitet. Jetzt wird er feierlich verabschiedet.

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