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Medien: Fernsehfilm: Der schmale Grat

"Warum eigentlich", fragt Herbert Knaup, "warum muss so ein Film aus Amerika kommen? Ist das nicht unsere Geschichte?

"Warum eigentlich", fragt Herbert Knaup, "warum muss so ein Film aus Amerika kommen? Ist das nicht unsere Geschichte? Sind das nicht unsere Stoffe?" Da sitzt er in einem Kölner Hotel, in einer Drehpause für einen ARD-Thriller, in dem er einen hyperventilierenden, sexbesessenen Wirtschaftsanwalt gibt, und soll sich an die Dreharbeiten im kanadischen Montréal erinnern. Dort saß er vor mehr als einem Jahr - als einziger deutscher Schauspieler - auf der eng besetzten Anklagebank des Nürnberger Kriegsverbrecher-Tribunals: Feldmarschall Göring in dunkler Sonnenbrille links vor ihm, Joachim von Ribbentrop, Rudolf Heß, Ernst Kaltenbrunner, Karl Dönitz, Wilhelm Keitel - 24 Nazi-Größen, denen die alliierten Siegermächte neun Monate lang 1945/46 den Prozess machten. Vor über 200 Menschen erwartet Albert Speer sein Urteil, und die Kamera fährt nahe an das angstblasse Gesicht des 41-jährigen Nazi-Karrieristen, hält den Moment fest, in dem er die Entscheidung über Leben oder Tod entgegennimmt.

Herbert Knaup spielt in einer kanadisch-amerikanischen Koproduktion Hitlers Vertrauten, Baumeister und Reichsminister für Bewaffnung und Munition. "Nürnberg - Im Namen der Menschlichkeit" ist ein hervorragend besetzter Gerichtsfilm, in dem Max von Sydow, Christopher Plummer und Brian Cox Auftritte haben. Hollywood-Größe Alec Baldwin riskierte als Koproduzent eigenes Geld - das scheint belohnt zu werden: Der Zweiteiler wurde für den Golden Globe und die Emmy Awards nominiert.

Der Gerichtssaal des Nürnberger Kriegsverbrecher-Tribunals wurde in den Montréaler Studios nachgebaut. Knaup erinnert sich an die Gänsehaut, die ihn auf der Anklagebank überlief: "Es war schon ein merkwürdiges Gefühl, da als Deutscher wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wegen dieser deutschen Horror-Geschichte den Prozess gemacht zu bekommen." Und Knaup erinnert sich auch an die Drehs, in denen Baldwin mit der Rolle des Chefanklägers Robert Jackson kämpfte. "Die Amerikaner proben nicht. Sie wollen am liebsten alles im ersten Durchlauf, spontan", erzählt Knaup. "Als Baldwin die Eröffnungsrede des Prozesses hielt, brach er aber mehrfach ab. Der Gerichtssaal war voll besetzt mit Schauspielern und Komparsen, und alles wartete still und konzentriert, wie Baldwin mit dieser Rede rang, in der die historische Bedeutung des Tribunal deutlich werden sollte." Schließlich hatte Jackson die Hoffnung, dass das Tribunal zukünftige Angriffskriege und Verbrechen verhindern helfen könnte.

Die 15 Millionen Dollar teure Produktion kommt in einer Zeit, da in Den Haag, in Arusha/Tansania, in Südafrika (Wahrheits- und Versöhnungs-Kommission), in Peru oder Chile Kriegsverbrechern und Diktatoren öffentlich der Prozess gemacht wird. Nürnberg war der erste und jahrzehntelang das letzte internationale Tribunal dieser Art. Der Kalte Krieg schützte und stützte Menschenschinder in Gestalt von Staatschefs, die den Supermächten ihre jeweiligen Einflusssphären sicherten.

Nürnberg war ein Prozess der Amerikaner - und "Nürnberg" ist ein Film von Amerikanern. Da werden dann Entertainment-Zugeständnisse gemacht, die der Markt offenbar abverlangt: So erzählt Regisseur Yves Simoneau (nach dem 1994 erschienen Buch "Nuremberg Infamy On Trial" von Joseph E. Persico) neben der Geschichte des Prozesses auch noch eine Liebesgeschichte zwischen Jurist Jackson und seiner engagierten Sekretärin Elsie Douglas (Jill Hennessy).

Simoneau aber gelingt es, mit wenigen Kamerafahrten durch das Trümmerfeld Nürnbergs, mit Szenen in einem Militärkasino und in Gefängniszellen die Nachkriegs-Atmosphäre so zu verdichten, dass die historische Szenerie durchaus authentisch wirkt - auch wenn jener schnarrende Militärton, der den Prozess beherrschte, völlig fehlt. Herbert Knaup, den Simoneau auf Videos gesehen hatte und spontan nach Montréal bat, spielt Speer auf dem schmalen Grat, auf dem der Wendehals in diesem Sieger-Prozess balancierte: Zwischen Todesangst und kalkuliert vorgeführter Reue, zwischen Feigheit und dem Willen, das Ende der Nazi-Zeit als persönlichen Neuanfang zu nutzen. Beim Versuch, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, trifft Speer der verächtliche Blick Görings. Brian Cox gibt einen bulligen Machtmenschen, dessen Aura von Jovialität und uneinsichtigem Stolz auch seine Bewacher erliegen. Speer und Göring werden in diesem Film zu Antipoden auf der Anklagebank.

Es ist Brian Cox als prominentester Angeklagter, der diesen Film trägt - gemeinsam mit Alec Baldwin. Da stehen sich Chefangeklagter und Chefankläger gegenüber: Einer, dem aufgegeben wurde, die moralische Überlegenheit der Sieger zu verkörpern, und der Militär, der sich als historische Figur versteht, dem die Deutschen einmal ehrendes Andenken widmen würden. Cox spielt einen Herrenreiter, der keinerlei Zerknirschtheit zeigt, der die Siegerjustiz als Farce attackiert - und der sich mit Gift der Todesstrafe entzieht.

Vox zeigt den Zweiteiler heute und morgen jeweils um 20 Uhr 15. Dem zweiten Teil schließt sich eine Dokumentation von Michael Kloft (22 Uhr 05) an, die den Prozess mit Originalaufnahmen rekapituliert. Anschließend beschreibt der Historiker Jörg Friedrich im "MitternachtsMagazin" um 0 Uhr 25 den Chef von Himmlers Reichssicherheitshauptamt, Otto Dohlendorf, als "Tugend-Mörder".

Rüdiger Heimlich

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