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Bei der Suche nach dem Mörder wird Erika Welves (Senta Berger) von Karl Wenzelburger unterstützt. Matthias Brandt bringt mit seiner Rolle viel Wärme in den Film. Foto: WDR

© WDR/Thomas Kost

Fernsehfilm: Rache für Ruhe

Senta Berger ringt als Witwe eines RAF-Opfers um Wahrheit und ihren Frieden. Ein weiteres Plus des ARD-Fernsehfilms "In den besten Jahren": Er ist ausnahmsweise mal kein Krimi.

Der Kellner platzt mitten hinein ins Gespräch. „Alles in Ordnung bei Ihnen?“, fragt er. Gerade hat Erika Welves (Senta Berger) dem ihr gegenübersitzenden Journalisten (Felix Eitner) erzählt, wie sie nach einem Unfall und einer Therapie begonnen hatte, sich mit dem Tod ihres Mannes abzufinden. Wie sie all die Zeitungsartikel in einen Koffer verstaut und in den Keller geschleppt hatte. „Jetzt muss gut sein, habe ich gesagt. Jetzt muss gut sein“, erklärt sie. Für den Journalisten ist das keine gute Nachricht. Er will eine Skandalgeschichte erzählen. Von einem Polizistenmörder der Roten Armee Fraktion (RAF), der ohne Verurteilung davonkam. Und von einer Polizistenwitwe, die noch Jahrzehnte später traumatisiert ist. Deswegen hakt er nach: „Aber Sie waren noch nicht darüber hinweg“, und es klingt nicht wie eine Frage, sondern wie eine Feststellung. Die Frage stellt der Kellner: „Alles in Ordnung bei Ihnen?“

Nein, es ist nichts in Ordnung bei Erika Welves. Vor 40 Jahren wurde ihr Ehemann erschossen. Sein Kollege identifizierte den Täter, einen RAF-Terroristen, doch der wurde nie verurteilt. Er nutzte die Kronzeugenregelung, erhielt vom Staat eine neue Identität und tauchte unter. Erika Welves dagegen lebt noch immer in der Vergangenheit. Die Tapete, die Möbel – in ihrer Wohnung sind die siebziger Jahre stehen geblieben. Der Journalist hat leichtes Spiel. Sein Hinweis, dass der Täter vom Staat Geld bekommen habe, legt die mühsam verschüttete Wut der Witwe wieder frei. Erika Welves wird den Koffer wieder hervorholen. Sie glaubt auch nicht, dass der Mörder ihres Mannes bereits tot ist. „Was würden Sie machen, wenn er noch leben würde?“, fragt der Journalist. Eine Antwort erhält er nicht, aber wir Zuschauer wissen auch so, dass Erika Welves es nun herausfinden will.

Zu den vielen Qualitäten des Fernsehfilms „In den besten Jahren“ des fünffachen Grimme-Preisträgers Hartmut Schoen (Buch und Regie), den das Erste am Mittwoch zeigt, zählen die genauen Dialoge und ihre Inszenierung. Hier gibt es kein überflüssiges Blabla, keine plakativen Phrasen. Nur das Nötigste wird erklärt, es gibt abgebrochene Sätze, gut gewählte Pausen und feine, scheinbar unbedeutende Risse wie den Auftritt des Kellners. Es bleibt Raum für das Unausgesprochene, es darf gespielt werden. Und das Ensemble spielt, und wie.

Vorneweg Senta Berger, die hier ihren bemerkenswerten Altersrollen wie in „Frau Böhm sagt Nein“ eine weitere hinzufügt. Erika Welves ist das Opfer, zweifellos, aber sie ist auch verschlossen, gefangen in ihrem Trauma und hart gegen die eigene Tochter (Christina Große), die auf ihren toten Vater eifersüchtig ist. Der Schmerz ist tief, Senta Berger wirkt unnahbar und zerbrechlich. Verzweiflung ja, aber Hass bis zum Äußersten? So recht traut man dieser Frau nicht zu, am Ende die Pistole zu zücken, die ihr wohl schon aus dramaturgischen Gründen in die Hände fällt.

Und das ist ein weiteres Plus dieses Films: Er ist ausnahmsweise kein Krimi, trotz des RAF-Mordes am Anfang und der in die Geschichte eingeführten Pistole. Es geht nicht so sehr um die Frage, ob Erika Welves am Ende ihre Rachegedanken in die Tat umsetzt, sondern ob sie die Wahrheit und damit ihren Frieden finden kann, ob es Vergebung und Versöhnung gibt. Auf dem Weg dorthin sucht sie einen am damaligen Freispruch beteiligten Juristen (Burghart Klaußner) auf und stellt auch den Kollegen (Manfred Zapatka) ihres Exmannes zur Rede, der seine Aussage gegen den Täter im Prozess zurückgezogen hatte. Starke Nebenrollen sind das, aber für die ganz besondere Note sorgt Matthias Brandt, der mit seiner wunderbaren Figur eines um seine Frau trauernden Fernsehmechanikers ganz unspektakulär viel Wärme in dieses Drama bringt. Exzellent sind auch Kamera (Bernhard Keller) und Musik (Matthias Frey).

„In den besten Jahren“ ist von Angehörigen von RAF-Opfern wie Corinna Ponto und Ina Beckurts gelobt worden. Das ist kein Wunder, denn ihre Perspektive stand in fiktionalen Filmen bisher nicht im Mittelpunkt. Die Täter und ihre Motive galten als spannender, bis hin zum rasanten Actionfilm „Der Baader-Meinhof-Komplex“. Hartmut Schoens Film ist die längst überfällige Ergänzung – und überdies von aktueller Bedeutung. Denn wie sehr sich der Staat auf Extremisten einlassen darf, ist auch heute bei der Bekämpfung von NPD und Rechtsterroristen die Frage. Und die Geschichte der RAF-Morde ist ohnehin noch längst nicht aufgearbeitet. Es gab 34 Tote, aber verurteilt wurden nur vermeintliche „Mittäter“. Bis heute hält das – staatlich gedeckte? – Schweigekartell der ehemaligen Terroristen die wahren Täter unter Verschluss.

Die Filmhandlung erinnert stark an den Fall des Polizisten Norbert Schmid, des ersten RAF-Opfers. Erschossen am 22. Oktober 1971 nach einer harmlosen Personenkontrolle in Hamburg. Gerhard Müller, der mutmaßliche Täter, wurde 1975 gefasst und vor Gericht gestellt – aber nicht wegen Mordes verurteilt. Müller hatte sich inzwischen als Kronzeuge zur Verfügung gestellt, kam 1979 vorzeitig frei und durfte mit neuer Identität untertauchen. Angeblich hat er sich später das Leben genommen.

„In den besten Jahren“, 20 Uhr 15, ARD

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