zum Hauptinhalt
trauter feind

© MDR

Fernsehfilm: Trauter Feind

„12 heißt: Ich liebe dich“ erzählt eine sehr ungewöhnliche deutsch-deutsche Liebesgeschichte. Bis auf Beginn und Nachspann wird auf Musik verzichtet.

Was, wenn der Fall nicht von der Realität beglaubigt wäre? Hohnlachen würde der Zuschauer, die Augen verdrehen des Kitsches wegen. Aber es ist so: Zwei Menschen, die getrennter kaum sein können, verhaken sich im ersten Moment ihrer Begegnung. Bettina, deren Westkontakte das Ministerium für Staatssicherheit aufgedeckt hat, wird ins Vernehmungszimmer gebracht. Es tritt ein: Jan, der Vernehmer. Der Stasi-Offizier ist jung, sieht mit seiner Stirntolle noch jünger aus, sein Gesicht hat nicht die Kontur des brutalen Verhörers. Die Stimme ist weich gezogen.

Schon das ist unheimlich. Der Rezensent, der ein Wessi ist, kennt Stasi-Leute nur aus den Medien, die meisten kennt er aus dem Fernsehen. Emotionslose Zeitgenossen, in sich verbissene Menschen, Schattengestalten. Jan ist anders, er will zum Ziel, klar, er will Bettina zum Geständnis weniger zwingen als überreden, immer freundlicher wird er. Bettina, zermürbt von der Haft, unterschreibt Papier für Papier. Drei Jahre wird sie ins Gefängnis müssen, sobald Jan die notwendige Anklage zusammen hat. Dann, es ist vielleicht der letzte Tag des monatelangen Verhörs, küssen sie sich im Vernehmungszimmer. Vorher kleine Gesten von Zuneigung und Zärtlichkeit, Zahlen und Zeichen, „12“ auf dem Papier heißt: „Ich liebe dich“. Abtransport in die Haftanstalt Hoheneck.

Hubertus Knabe, der Leiter der Stasi-Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen, hat ob der MDR-Produktion „12 heißt: Ich liebe dich“ bereits geschäumt. Der Film vermittle einem Millionenpublikum ein „völlig untypisches Bild der Stasi-Untersuchungshaft“. Für die angeblich authentische Geschichte gebe es keinerlei Belege. Vieles spräche dafür, donnerte es im Hubertus- Knabe-Ton, dass sie nachträglich erfunden worden sei. Opferverbände haben gegen die heutige Ausstrahlung protestiert. Auf diesen massiven Druck hat die ARD jetzt reagiert. Nach dem Fernsehfilm läuft die Dokumentation „In den Fängen der Stasi“.

Haben Knabe und die Opferverbände richtig hingeschaut? Entstellt „12 heißt: Ich liebe dich“ die Wirklichkeit? Ein Wolf im Schafspelz macht noch keine Schafsherde aus. Jan bleibt Jan, einer, der sich kurz vor DDR-Toresschluss zum Major befördern lässt. Gerne war er der Vollstrecker der Staatsräson. Macht und Privilegien hat er nicht verachtet, zu Hause ging alles seinen real-sozialistischen Gang. Sein Überzeugungskern war vielleicht klein, das Ende der DDR hat ihn stark zweifeln lassen, fertiggemacht hat es ihn nicht. Nach der Wende wird Jan, der sich gar groß nicht wenden musste, so klein ist sein Daseinsradius, Buchhalter, Controller. Das Eigenheim im Katalogstil steht, die Tochter wird christ-katholisch nach Bayern heiraten, die tüchtige Ehefrau Sabine hat die Schienen für Jan und Familie in die Zukunft gelegt. Der Opportunist des Lebens lässt alles mit sich geschehen.

Anruf Bettina, Brief Bettina: Die Mitarbeiterin der Stasi-Gedenkstätte will ihren ehemaligen Vernehmer als Zeitzeugen interviewen, ihn vernehmen. Treffen mit Jan, wieder schlägt der Blitz ein. Jan kommt zu sich, Bettina drängt auf Aufarbeitung, das Leben ist plötzlich eine Baustelle. Jan wirft hin, der Erinnerungsflüchtling bricht in die Vergangenheit auf. Am Ende wird er Bettina, die ihren Job wegen Fraternisierens mit dem ehemaligen Feind verliert, die Tür ihrer Wohnung öffnen. Er ist drin, sie noch draußen, sie geht rein.

Der Vorwurf von Hubertus Knabe ist gefallen, ein weiterer könnte der sein, dass die zweite Filmhälfte, die gesamtdeutsche, den sauren Geruch des didaktischen Moralismus verströmt. Bereut, arbeitet auf, und euer ist das Himmelsbett. Langsam. Das Leben ist nicht so naiv, rausgeschlüpft aus dem einen und reingeschlüpft ins Neue. Harte Arbeit ist es, eine Abfolge gegenseitiger Aufforderung zur Stellungnahme. Was war, warum warst du so, Jan? Die Schuldfrage ist konkret, die persönliche Wahrheit muss in den eigenen Fakten gesucht werden. Schwierig, anstrengend, umstürzlerisch.

Der Film von Scarlett Kleint (Buch) und Connie Walther (Regie) ist extremster Individualismus. Es ist die Geschichte zweier Menschen in einer spezifischen Situation. Ob da etwas herausragt für die Allgemeinheit, eine Botschaft gar? Doch ja, da ist die Irritation, dass ein gesichertes Urteil über Menschen ins Schleudern kommen kann. Dass ein Stasi-Mann ewig und drei Tage ein Stasi-Mann bleibt. Dass es Abweichungen vom Prototypen gibt, mehr als die eine verabsolutierte Perspektive aufs Geschehene.

„12 heißt: Ich liebe dich“ beeindruckt. Claudia Michelsen, die Bettina, und Devid Striesow als Jan bauen über die 90 Minuten einen besonderen Magnetismus auf. Sie allein in der Haft, zu zweit während der monatelangen Vernehmung und in der Zeit nach der Wende – es braucht dieser beider Darsteller Schauspielkunst, die Handlung weit weg von einer Bedienungsanleitung fürs Leben zu führen. Wer Figuren glaubwürdig, also individuell erzählen will, muss sie fein machen, so ausstatten, dass nichts an Skepsis beim Zuschauer bleibt. Amor vincit omnia, diese Behauptung gilt es spielend zu beweisen.

Es kann kein Zufall sein, dass die Regie einer Frau obliegt, die Autorin eine Frau ist, Kameramann Peter Nix schon mit der Regisseurin Connie Walther gearbeitet hat, von solch femininem Einfühlungsvermögen ist der Film. Wenn sich ein Team derartig vertraut und Derartiges zutraut, dann wird ins volle Risiko gegangen, also auch da: Bis auf Beginn und Nachspann wird auf Musik verzichtet. 99 von 100 Fernsehproduktionen können auf Untermalung nicht verzichten. „12 heißt: Ich liebe dich“ kann das. Es ist dieser eine Film unter 100.

„12 heißt: Ich liebe dich“, 20 Uhr 15; „In den Fängen der Stasi“, 21 Uhr 45, beides ARD.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false