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Fernsehkritik: "Wetten dass...?" wird zum Staatsakt

Wehmut und etwas Langeweile: Gottschalks letzte "Wetten dass...?"-Show lässt zweifeln, ob sie seinen Abgang überleben kann.

Angekündigt ist ein Fernsehstaatsakt. Thomas Gottschalk, der Gottvater der deutschen Showunterhaltung, verlässt „Wetten, dass..?“ nach fast 25 Jahren und 151 Ausgaben. Die Kleidung des Publikums in der Messehalle zu Friedrichshafen ist feierlich gedeckt, es kündigt sich ein Fernsehtheater aus den steifen TV-Zeiten an, als zu Hause die Mutti sich ins Schwarze zwängte und Vati den Hochzeitsanzug von den Mottenkugeln befreite.

Gottschalk muss das schon beim zähen Warm-up gespürt haben. Wieder und wieder betont er, ja ermahnt er, dass auch an diesem Abend seines Abschieds Spaß angesagt sei, nicht Weinerlichkeit. Der Typ hat sein Publikum derart im Griff, dass es ihm auch an dieser Stelle folgsam folgt.

Was gut war an dieser Show in der Gottschalk-Ära, das soll auch am 3. Dezember 2011 gut und auf keinen Fall vergessen sein. Es gibt ein Best of nach dem anderen, bei den Outfits, Gästen, bei den Wetten, unglaublich, was die stets leistungsbereiten Deutschen, Österreicher und Schweizer in ihrer Freizeit so alles anstellten und anstellen, um ins Scheinwerferlicht zu geraten. Ehrgeiz, Siegeswillen, aber eben auch gebrochen durch die Ironie des Verlieren-Könnens. Vielleicht anarchisch, bestimmt charmant. Dieser Show-Sound, dafür stand (?) Gottschalk, der überlebensgroße, so gar nicht verbissene US-Franke. Ein, sein Verdienst: Unterhaltung kann Pop sein.

Zu seinem Finale holt sich Gottschalk seine Lieblingsgäste auf die Couch. Was mit Günther Jauch, dem Gegenpart und der Ergänzung aus gemeinsamem Radio-Tagen, doch so wehmütig wie ein Weltkrieg-Zwo-Veteranen-Treffen begann, muss so nicht bleiben. Der Basketballer Dirk Nowitzki, die Schauspieler Til Schweiger und Jessica Biel bringen die Show in die Gegenwart. Alles okay, manches interessant, manches Bla-Bla, Gottschalk hat wie stets keinerlei Scheu zu reden, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Er ist ein situationistischer Clown, er ist wiederum das, was keinem der bisher genannten Nachfolger zu eigen ist: Thomas Gottschalk versteht sich als Conférencier, er ist der erste Diener seines Fernsehvolks. Da muss er sich klein und groß machen, er muss selbst dann umarmen, wenn ihm nicht danach zu mute ist. Und er hat sich von seinem Publikum nicht entfernt. Wer sich Meat Loaf zum Abschiedsständchen einlädt, der ist irgendwann stehengeblieben oder – wie Gottschalk eben – ein Klassiker geworden.

Michelle Hunziker assistiert nach ihren (schwachen) Kräften, serviert Kuchen, Sekt und sorgt dafür, dass die Wetten ordnungsgemäß ablaufen. Es liegt – bei aller Wehmut – ein wenig Langeweile über dem Goodbye. Erst der Auftritt von Karl Lagerfeld bringt eine kurze Wende: Der Couturier ist unverkrampft, ganz er selbst, er lebt in seinem eigenen Universum. Ist das Persönlichkeit oder Chuzpe? Welch ein Gewinn auf der Couch, wo die Farblosigkeit sich breit gemacht und Iris Berben Platz genommen hat. Die Außenwette, moderiert von Olli Dittrich, ist, ehrlich gesagt, ein Flop aus Österreich.

Wahrscheinlich ist dieser Satz ein Frevel an diesem Heiligabend des deutschen Fernsehens: „Wetten, dass..?“ ist dem Tode nah, Gottschalk wirkt da wie ein Herzschrittmacher. Ist das nur ein Eindruck, oder bringen diese besonderen Fernsehstunden nur die besonderen Stärken und Schwächen der Show vor Augen?

Ein Gedanke schießt quer: Soll das ZDF jemanden finden, der Gottschalk nachfolgt, oder soll beim ZDF jemand den Mut finden, „Wetten, dass..?“ in die TV-Annalen zu schicken. Wo nimmt der Sender den Mut her zu glauben, dass ein neuer Moderator das modernisierte Format zur Millionenquote bringt? Selbst die in der Sendung angespielte Lösung, dass Günther Jauch sich in die Gottschalk-Spur begeben sollte, könnte, wollte, bringt nur Schrecken hervor. „Wetten, dass..?“ ist tot, es lebe Thomas Gottschalk.

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