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"Der Schock von Berlin": Sandra Maischberger (rechts) im Gespräch mit Stefan Aust und Katrin Göring-Eckardt.

© daserste.de/Tsp

Fernsehkritik zum Berliner Anschlag: Besonnen gegen den Kontrollverlust

Deutschland hat die Schockstarre des Terroranschlags noch nicht überwunden, da werden in den Talkshows bereits erste Bilanzen gezogen. Bei Maischberger verleiht eine Prise Wahlkampf Schärfe.

Der Anschlag in Berlin und der Verlust von geliebten Angehörigen und Freunden lösen in der gesamten Bundesrepublik ein Gefühl der Ohnmacht und Machtlosigkeit aus.

Für die ARD und die größten Fernsehsender ist die Live-Übertragung des Trauergottesdienstes aus der Berliner Gedächtniskirche am Dienstagabend das Gebot der Stunde. Während man sich drinnen an den Händen fasst und Vertreter der größten Religionsgemeinschaften in Berlin ihre gemeinsame Solidarität und Verbundenheit im Moment der Trauer zeigen, vermeldet die „SOKO Köln“ im ZDF um kurz nach 18 Uhr den ersten Toten. Nun, jeder nach seiner Façon, dafür ist später ein ZDF-"Spezial" angekündigt.

Die Privatsender halten sich weitgehend aus der Berichterstattung heraus. Für alle anderen geht es mit Beistand von oben in diese Nacht. Die offenen Fragen zum Hintergrund der grausamen Tat werden kaum geklärt, neue werden aufgeworfen. Für Spekulationen sind in erster Linie Politiker zuständig.

Trotz IS-Eilmeldung: Professionalität statt Spekulationen

Bereits seit dem frühen Abend ist klar, dass es sich bei dem festgenommenen mutmaßlichen Attentäter nicht um den Schuldigen handelt. So beschäftigt die Suche nach dem menschlichen Zusammenhalt einer betroffenen Gesellschaft die Redaktionen. Im Angebot sind aber auch Einordnungen im politischen Diskurs und nicht zuletzt ein erstes Abklopfen möglicher Wahlkampfthemen für 2017.

Die Moderatoren der Nachrichtenformate verrichten ihre Arbeit professionell, die Nervosität des Vortags hat sich gelegt und nachrichtliche Routine bestimmt die Berichterstattung. Der rbb deckt den Hintergrund zum polnischen Beifahrer mit soliden Beiträgen ab. Einen unerwarteten News-Wert bietet ein angebliches Bekennerschreiben über die Nachrichtenagentur des IS. Dieses taucht als Eilmeldung im ARD-"Brennpunkt" auf, wird aber in den nachfolgenden Sendungen mit Verweis auf unnötige Spekulationen nicht weiter verfolgt. Einzig der im rbb zu Rate gezogene Terrorismus-Experte Olaf Sundermeyer schätzt die Echtheit des Dokuments als sehr wahrscheinlich ein.

Flexibilität bei den politischen Talkshows

Mit zwei außerplanmäßigen politischen Talkshows zeigen ARD und ZDF, wie flexibel sie und vor allem ihre Gäste sind. Maybrit Illner talkt sonst am Donnerstag, Maischberger verschiebt den Mittwoch, einzig die wöchentliche Runde mit Alexander Kähler bei Phoenix ist am gewohnten Sendeplatz zu finden. Bei Maischberger im Ersten („Der Schock von Berlin“) tritt neben Publizist Stefan Aust, Grünen-Politikerin Kathrin Göring-Eckardt und dem saarländischen Innenminister Klaus Bouillon auch der israelische Terrorismus-Forscher Shlomo Shpiro auf.

Shpiro, wenige Stunden vorher bereits beim ZDF-"Spezial" als Experte zugegen, muss sich erst einmal erklären. Seine Aussage, es handele sich bei dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz um ein „9/11 für Deutschland“ beziehe sich auf die notwendige Sensibilisierung der Deutschen für steigende Terrorgefahr. Ansonsten herrscht Einigkeit zur Forderung nach einer besseren personellen und materiellen Ausstattung der Sicherheitsbehörden und der Trennung von Flüchtlings- und Sicherheitspolitik vor, Göring-Eckhardt mahnt die Anwesenden beständig zu Besonnenheit.

Nur der bayerische Finanzminister Markus Söder, der aus Nürnberg zum Gespräch zugeschaltet ist, ist nicht zum Liebhaben aufgelegt. Er verteidigt gewohnt streitlustig die Forderungen der CSU, um weiteren „Kontrollverlust“ zu verhindern. Sandra Maischberger bedankt sich gegen Ende der Sendung leicht süffisant für „den kleinen Einblick in die Tonalität des kommenden Wahlkampfs“. 

Das Expertenkarussell dreht sich mit Peter Neumann

Während bei Phoenix über die (nicht anwesende) Politik geschimpft wird, die der hysterischen Gesellschaft ruhig mehr Komplexität zumuten dürfe, ist an diesem Abend senderübergreifend das Expertentum von Peter Neumann sehr gefragt. Der Terrorismus-Experte vom Londoner King’s College taucht nacheinander bei RTL Aktuell, im ARD-"Brennpunkt" und schließlich im "Maybrit Illner Spezial" zum Thema „Anschlag in Berlin“ auf.

Tatsächlich kann er dann doch noch einiges Interessantes zu islamistischen Täterprofilen beitragen, inspiriert auch von der ebenfalls anwesenden Traumaspezialistin Maggie Schauer, die bessere psychologische Betreuung für Geflüchtete fordert, um späterer Radikalisierung vorzubeugen. Renate Künast (Die Grünen), Armin Laschet (CDU) und André Schulz vom Bund Deutscher Kriminalbeamter stimmen in wesentlichen Fragen überein.

Die Gespräche der Talkgäste setzen sich unter den Hashtags #ichbineinberliner, #prayforberlin und #breitscheidplatz in einer Atmosphäre großer Anteilnahme und Empathie in den sozialen Netzwerken fort. Das und die Zurückhaltung der AfD gibt Hoffnung, auch für 2017. Etwas, das Berlin in diesen Zeiten sicher gut gebrauchen kann.

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Rosa Feigs

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