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Medien: Fernsehlieblinge machen noch keine Börsenlieblinge

Johannes B. Kerner beendet seine Werbeaktion für Air Berlin. Das ZDF verteidigt das „Testimonial“, der Fernsehrat prüft

Wer ist das? Bestverdienend, meistbeschäftigt, erklärter Liebling der Zuschauer. Das ist Johannes B. Kerner, Journalist und Moderator beim ZDF – und Werbefigur. Kerner wirbt für Mineralwasser, Fleischwaren und die Fluglinie Air Berlin. Das Unternehmen hat den Börsengang gerade auf den 11. Mai verschoben, Johannes B. Kerner in vielen Medien für das Ordern von Air-Berlin-Papieren heftig geworben: „Ich zeichne Aktien von Air Berlin.“ Zur Frage, wie Johannes B. Kerner sein Engagement nach dem vorschobenen Börsengang sieht, ließ er am Freitagmittag per E-Mail ausrichten: „Die Börse ist eine Sache von Angebot und Nachfrage. In diesem Fall war die Nachfrage wohl nicht groß genug. Für die Börse aber kein ungewöhnlicher Vorgang. Zuletzt geschehen auch beim Börsengang von Post AG, Postbank und Praktiker.“ Am Freitagabend war die Werbeaktion für Air Berlin plötzlich beendet. Kerner sagte der „Bild“-Zeitung vom heutigen Samstag: „Das war auch so bis zum 4. Mai geplant. Es gibt keine Spots und keine Prints mehr. Die Plakate laufen aus.“

Kerner wirbt für Air Berlin, andere Fernsehprominente haben anderswo Werbezeugnis abgelegt. Der „Tatort“-Schauspieler Manfred Krug zum Beispiel hatte 1996 für die „Volksaktie“ Telekom geworben und war, nachdem das Papier nach der dritten Tranche immer stärker an Wert verloren hatte, in die Kritik geraten. Die Brüder Thomas und Christoph Gottschalk hatten sich Ende 2000 für die Aktien der Deutschen Post stark gemacht. „Zeichnen Sie die Aktie Gelb“, warben die Brüder, aber so richtig durchstarten wollte der Kurs nie. Merke: Fernsehlieblinge kreieren noch keine Börsenlieblinge

Zeichnen Menschen wirklich die Aktie von Air Berlin, weil der Fernsehmoderator Johannes B. Kerner es empfiehlt? Experten sagen Nein und verweisen auf den Unterschied zur „Volksaktie“ der Deutschen Telekom. Damals herrschte eine Börsenhysterie, viele glaubten, mit der Order stetig wachsendes Vermögen gekauft zu haben. Das Gegenteil trat ein, nicht wenige haben an der Börse beträchtliche (Spar-)Summen verspekuliert.

Wie viel Schubkraft für die Air-Berlin-Aktie steckt dann im „Testimonial“ Johannes B. Kerner? Es gilt wohl, was ZDF-Sprecher Alexander Stock dem Tagesspiegel gesagt hat: „Die Menschen wissen nach den Erfahrungen der Vergangenheit, Chancen und Risiken beim Aktienkauf einzuschätzen.“ Und Stock bekräftigte: „Herr Kerner wirbt ja für keine kriminelle Dealerware.“ Trotzdem ist auch die ZDF-Spitze – „Wir sind ja nicht die Dussel vom Lerchenberg“ – ins Nachdenken gekommen. „Wir nehmen die Frage der Glaubwürdigkeit unseres Protagonisten Kerner ernst“, sagt Stock. Zwar sei die aktuelle Werbung nur „ein Medienthema, aber kein Thema, das unsere Zuschauer beschäftigt“, gleichwohl müsse geprüft werden, ob in der Werbung für ein Finanzprodukt ein Risiko für den freien ZDF-Produzenten Kerner und den Fernsehsender stecke.

Alexander Stock bestätigte, die Aufsichtsgremien des ZDF würden sich Mitte Juni mit dem Thema Fernsehstars und Werbung beschäftigen. Roland Issen, stellvertretender Vorsitzender des ZDF-Fernsehrats, sagte bereits, rein rechtlich sehe er zwar keine Möglichkeiten, die Protagonisten einzuschränken, er wolle aber bei der Gremiensitzung auf die Probleme aufmerksam machen, die sich möglicherweise für das Image des Senders ergeben könnten. Auch ein Gespräch mit ZDF-Intendant Markus Schächter möchte Issen führen.

Das Arbeits- und Vertragsverhältnis zwischen dem Mainzer Sender und Kerner beschreibt Sprecher Stock so: „Herr Kerner ist freier Mitarbeiter und ein freier Unternehmer, der produzieren und Werbung machen darf.“ Der Journalist und Moderator Kerner hat nur die Pflicht, das ZDF über seine Werbeauftritte zu informieren, in der Regel muss er sich diese freilich nicht genehmigen lassen. Es sei denn, sagt Alexander Stock, es gehe um Zweifelsfälle. Das Engagement von Kerner für Air Berlin sei „kein Zweifelsfall“.

Johannes B. Kerner ist ein sehr fleißiger Mitarbeiter. Laut ZDF-Statistik hat er im vergangenen Jahr 142 Sendungen für das zweite Programm bestritten, in diesem Jahr werden es, nicht zuletzt wegen der Fußball-WM, noch mehr werden. Vielleicht wird Kerner Ende 2006 jeden zweiten Tag auf dem ZDF-Bildschirm aufgetaucht sein. Für Sendersprecher Alexander Stock ist „das ein Ausdruck seiner Stärke und seiner Beliebheit“. Und Kerner ist sehr beliebt: Im Ranking der ZDF-Zuschauer steht er nach Thomas Gottschalk auf dem zweiten Platz.

Der Vertrag zwischen Kerner und Sender läuft Ende des Jahres aus, Stock bestätigte, dass Programmdirektor Thomas Bellut mit dem Journalisten und Moderator bereits in Verhandlungen über dessen künftige Leistungen für das ZDF stehe. „Beide begegnen sich auf Augenhöhe. Herr Kerner will was, wir wollen was. Es wird einen Kompromiss geben.“ An Kerner festhalten will der Sender unbedingt.

Das öffentlich-rechtliche ZDF beschäftigt eine Reihe von freien Mitarbeitern, neben Kerner sind dies unter anderem Nina Ruge („Leute heute“), Maybrit Illner („Berlin Mitte“), Thomas Gottschalk („Wetten, dass ...?“) und Michael Steinbrecher (Sport). Das sind wahrlich programmprägende Kräfte, und weil diese nicht ins ZDF-Gehaltsschema passen und zugleich an der Einladung zum lukrativen Nebenverdienst interessiert sind, besitzen sie den Status des freien Mitarbeiters mit festem Vertrag.

Auch die festangestellten Bildschirm-Darlings wie „heute-journal“Chef Claus Kleber haben das Recht auf Nebentätigkeit. Wer aber jemals das ZDF-Formular für „Außerdienstliche Nebentätigkeit“ gesehen hat, der weiß, wie engmaschig das Netz der dafür notwendigen Genehmigungen und auferlegten Einschränkungen ist. Es gibt in den öffentlich-rechtlichen Sendern wenigstens eine Zwei-Klassen-Gesellschaft.

Das gilt für das ZDF genauso wie für die ARD und deren Reinhold Beckmanns oder Jörg Pilawas. Durch die Hintertür ist damit eine bestimmte Form der Selbstkommerzialisierung ins Haus des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gekommen. Nicht zu vergessen: Das Droh-, wenn nicht das Erpressungspotenzial der Fernsehstars, die so frei sind, über Nehmen und Geben selbst zu befinden. Und im Fall des Missvergnügens über einen Senderwechsel räsonieren.

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