zum Hauptinhalt
Schwerer Abschied. Nicole (Petra Schmidt-Schaller, li.) fasst einen heroischen Entschluss: Sie lässt ihren Sohn Dennis gehen. Foto: SWR

© SWR/Hardy Spitz

Film: Der doppelte Kreidekreis

Was tun, wenn das eigene Kind bei der Geburt vertauscht wird? Ein verdienstvolles und vergnügliches Sozialdrama zur Schichtenproblematik.

Die Gebärende presst mit aller Kraft – und dann ist der kleine Prinz auf der Welt. Neben dem Bett fällt der Ehemann geräuschvoll in Ohnmacht. Ach, und dann ist dem Neugeborenen etwas Fruchtwasser in die Atemwege geraten. Die Krankenschwester trägt das Bündel ein paar Türen weiter zum Doktor; da liegt schon ein anderer Winzling. Der Doktor muss stante pede zu einer Problemgeburt, ein Augenblick der Verwirrung – und schon ist es passiert.

Britta und Sven Callenberg (Ulrike Grote, Udo Wachtveitl) erhalten nicht ihren Prinzen zurück, sondern das andere Baby, sie nennen es Sebastian. Sohn Callenberg wird der gerade entbundenen Mutter Nicole Wagner (Petra Schmidt-Schaller) in den Arm gedrückt und heißt nun Dennis. Niemand bemerkt etwas, denn die frisch gebackenen Eltern Callenberg und Wagner hatten noch gar keine Gelegenheit, den jeweiligen Sprössling genauer in Augenschein zu nehmen.

Und so wäre wohl Sebastian als Sohn der Proll-Familie Wagner und Dennis als Nachkomme der begüterten Callenbergs durchs Leben gewandert, wenn nicht… Der neunjährige Dennis erleidet eine Vergiftung, sein Blut muss ausgetauscht werden, und Papa Rilling (Rüdiger Klink) stellt sich für eine Spende zur Verfügung. Aber die Blutgruppe passt nicht, Rilling ist keinesfalls der Vater. Empört verlässt der vermeintlich Gehörnte seine Gefährtin. Nicole aber weiß genau, von wem ihr Jüngster ist: von Rilling und von niemand sonst. Sie liebt diesen Mann und will ihn zurück. Wenn er nicht der Vater ist, sagt sie zu sich, bin ich auch nicht die Mutter. Und sie beginnt nachzuforschen. So kommt die Sache ins Rollen. Am Ende sitzen da zwei sehr unterschiedliche Paare beim Jugendamt und vernehmen den Spruch der Richterin: die Kinder seien auszutauschen.

Was Buchautor Stefan Dähnert und Regisseur Thomas Freundner aus diesem doppelten Kreidekreis gemacht haben, ist erstaunlich wie erfreulich. Der Plot versprach zunächst nichts Gutes, er hätte als gefühliger Schmachtfetzen untergehen können, zumal die Geschichte ja ziemlich an den Haaren herbeigezogen ist. Aber dieser Film sticht als rundum gelungene Mischung aus packendem Drama, zweifacher Milieustudie und sensibler Personenzeichnung weit aus dem Einerlei der üblichen Movie-Unterhaltung heraus.

„Das geteilte Glück“ (wer bloß denkt sich immer diese bescheuerten Titel aus!) erzählt eine unwahrscheinliche Geschichte, präsentiert aber die Charaktere, die sich in diesem Konflikt bewähren oder an ihm verzweifeln, so wahrscheinlich, so glaubhaft und so schön gebrochen, wie man es sonst nur aus der Wirklichkeit kennt. Der Film hat Feinschliff, Spannung und Tiefe und sogar Humor, alles stimmt.

Die Callenbergs mit ihrer piekfeinen Villa und ihrem Sinn für das Schöne und das Cello brechen angesichts des Schicksalsschlages auch nicht weniger Mitleid erregend zusammen als die White-Trash-Familie Wagner/Rilling, wobei beide Familien-Clans völlig verschiedene Strategien der Bewältigung einsetzen. Das zu beobachten: den Chic und die (bedingte) Selbstbeherrschung der Reichen, das Chaos und die Spontaneität der Armen und dann mittendrin zwei kleine Jungs, die noch am ehesten mit alledem fertig werden – das ist kein schlechter Spaß.

„Das geteilte Glück“ ist nebenbei eine Studie zur Klassenspaltung, deren Existenz so gerne mit Ausweichvokabeln wie „Schichtenproblematik“ geleugnet wird, und auch in dieser Lesart ist dieser Fernsehfilm am Mittwoch Abend so verdienstvoll wie vergnüglich.

Während die Callenbergs ihrem Sebastian die Wahrheit dann häppchenweise beibringen wollen und erst einmal anfangen mit: „Du bist unser Sohn, auch wenn sich irgendwann herausstellen sollte…“. Ende der Durchsage, das Kind ist verwirrt, fährt Papa Rilling seinen Dennis, der ihn beim Fußballtraining permanent enttäuscht, so an: „Das kann ja mit dir nichts werden, weil du gar nicht unser Sohn bist.“ Kind ist nicht minder verwirrt, aber der Wahrheit schon ein Stück näher als sein besser behüteter Schicksalsgenosse.

„Das geteilte Glück“, ARD, 20 Uhr 15

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false