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Filmförderung: Im Schwitzkasten der Gegenwart

Mit den Reihen „Debüt im Ersten“ und „Gefühlsecht“ fördern ARD und ZDF den filmischen Nachwuchs. Nicht ganz uneigennützig: die Öffentlich-rechtlichen wollen Talente an sich binden.

Eine Handvoll Verlierer drängt sich auf einer hölzernen Saunabank. Wie sich die Ich-AG, die frischgefeuerte Stewardess und die Afrika-Aktivistin auf Hartz IV am Prenzlauer Berg so durchwursteln, erzählt Eoin Moores komische Milieustudie „Im Schwitzkasten“ (27.6., ZDF). Im Schwitzkasten der Gegenwart zu stecken, ist ein weitverbreitetes Lebensgefühl im deutschen Nachwuchsfilm. Den präsentieren ARD und ZDF ab heute wieder in der vom „Kleinen Fernsehspiel“ betreuten Reihe „Gefühlsecht“ und dem „Debüt im Ersten“ (vom 25.6. an).

Zu sehen sind 17 Streifen von jungen Regisseuren, die teils hart auf die 40 zugehen, vom Hochschulabsolventen bis zu etablierteren Filmern wie Moore. Alle erzählen dicht dran an den Figuren. Was sie verbindet, ist die skeptische Zuversicht. Ihre Helden haben den Halt verloren, müssen die Hoffnung aber nicht vollends fahren lassen. Nur wer glaubt, es könne alles so bleiben, wie es ist, hat verloren.

Außer Konkurrenz läuft Lars Kraumes dynamisches Beziehungsdrama „Keine Lieder für die Liebe“ (ZDF, heute) das er mit improvisierten Dialogen als halbe Dokumentation drehte und dabei eine neue Gefühlstonart entwickelte. Wie Moore hat er bereits mehrere Filme inszeniert. Kraume arbeitet für das Fernsehen („KDD“, „Guten Morgen, Herr Grothe“) wie für das Kino und ist damit ein typischer Vertreter dieser pragmatischen Filmemachergeneration, die da nicht immer so scharfe Trennlinien zieht. Wie alle hat er ein Filmhochschulstudium absolviert, bevor ihn die Talentscouts von ARD und ZDF entdeckten.

Beim ZDF ist das „Kleine Fernsehspiel“ für die finanzielle und inhaltliche Unterstützung der Nachwuchsprojekte zuständig, bei der ARD Redakteure in den einzelnen Anstalten. Stars wie Fatih Akin, Christian Petzold oder Oskar Roehler bekamen so ihre erste Chance. Die meisten der in „Gefühlsecht“ und „Debüt“ gezeigten Filme wurden denn auch auf Festivals gefeiert und ausgezeichnet, ins Kino schafften es die wenigsten. „Das Wichtigste in der Branche ist Geld“, konstatiert etwa Alain Gsponer, der derzeit einen BR-„Polizeiruf“ dreht – auch um sein Konto aufzubessern. Die Chance, die Kosten für Produktion, Werbung und Kopien durch Kasseneinnahmen einzuspielen, ist gering.

Die „Unsicherheit und Abstiegsängste“, die er im Deutschland der Nach-Schröder-Ära ausmachte, inspirierten Bülent Akinci (40) zu seinem lebensmüden „Lebensversicherer“ (9.7., ZDF). Dieter Wagner (Jens Harzer) lebt im Auto und wäscht sich auf der Raststätte. Dass er bei seinen Verkaufsgesprächen öfter in ein irres Kichern ausbricht, gehört zu den surrealen Elementen, mit der der in Berlin lebende Regisseur seinen Film gegen den Trend ausstattete. „Es ist doch alles gesagt. Mir ging es darum, meine Wahrnehmung der Welt darzustellen.“

Weil für Alain Gsponer (31) Familie das ist, „was er am besten kennt“, wählte er sich dieses Thema für sein Langfilm-Debüt „Rose“ (25.6., ARD). „Das hat etwas mit Mut zu tun.“ In dem heiteren Problemfilm kapituliert Corinna Harfouch als alleinerziehende Mutter dreier Söhne. Mit der Kumpeltour geht es nach Drogenparty und Hausdurchsuchung nicht mehr. Oder doch? Die Familienkonstellation hat ein reales Vorbild im Bekanntenkreis des Drehbuchautors. Eigene Kindheitserfahrungen verarbeitete der gebürtige Schweizer Gsponer in der Familiensatire „Das wahre Leben“, die unlängst im Kino lief.

Die funktionierende Familie als Wunschort und unerreichbares Ziel, diese Leerstelle umkreisen weitere Filme: Der Rettungssanitäter Crash (Matthias Schweighöfer) aus „Kammerflimmern“ (6.8., ARD) flüchtet sich in Tagträume und Liebesvisionen. Eine frustrierte Hausfrau verschwindet und überlässt Mann und Kinder ein „Schönes Wochenende“ (13.8., ARD) lang sich selbst. Einen heimlichen „Urlaub vom Leben“ (4.7., ZDF) nimmt der von Job und Familie angeödete Bankangestellte (Gustav-Peter Wöhler).

Sprachlosigkeit, Beziehungslosigkeit, diese Motive tauchen immer wieder auf. So bei der einsamen Ärztin, die einen entlaufenen Häftling in ihre Wohnung bittet („Gefangene“, 2.7., ZDF) oder die verkorkste Kellnerin, die eine Zugbekanntschaft in ihr Leben lässt („Katze im Sack“, 27.8., ARD). Zwei Hauptrollen für Jule Böwe, die als Schauspielerin auch an der Berliner Schaubühne zu sehen ist. „Ich hatte Lust, eine wilde, existenzielle Liebesgeschichte zu drehen. Der deutsche Film ist so schrecklich seriös“, meint Florian Schwarz (33), der bei „Katze im Sack“ Regie führte. Zu den Sprachlosen gehört auch die Protagonistin von „Unter dem Eis“ (9.7., ARD), dem kühlen Protokoll eines zusammenbrechenden Vorstadtidylls. Ein totes Mädchen liegt im Wald. Der kleine Tim (herausragend: Adrian Wahlen) hatte mit ihr gespielt. Um ihren Sohn zu schützen, errichtet seine Mutter (Bibiana Beglau) eine Festung aus Schweigen. „Ich interessiere mich für Abgründe. Ich will den Zuschauer verstören“, formuliert Regisseurin Aelrun Goette (39) ihre Intention.

Um verschwiegene Wahrheiten geht es auch in „Rabenbrüder“ (25.6., ZDF), einem düster-hochgetunten Drama um drei Freunde, die sich nach einem tödlichen Unfall in falsch verstandene Loyalität verstricken. Ihn interessierte das „Ausweglose“ des Konflikts, sagt Regisseur Bernd Lange (33). Lange ist an sich Drehbuchautor und schrieb die Vorlage für den Berlinale-Erfolg „Requiem“. In „Rabenbrüder“ verarbeitete er ein Stück eigener Vita, aus Stuttgart, wo er herstammt.

Das Fernsehen fördert die Kinokultur indes nicht ganz uneigennützig. Begabter Regienachwuchs wird so an das eigene Haus gebunden. Heike Hempel, Leiterin vom „Kleinen Fernsehspiel“: „Die gehen innovativ mit Genres um. Das sichert unser Erzählfernsehen für morgen.“ Im Fernsehen habe man als Regisseur mittlerweile mehr Freiheiten als im Kino, ist WDR-Redakteurin Andrea Hanke überzeugt, die das „Debüt im Ersten“ verantwortet. Via Bildschirm lassen sich jedenfalls mehr Zuschauer als über die Leinwand erreichen, trotz später Sendezeiten. Das ARD-„Debüt“ (22 Uhr 45) erreichte im Vorjahr bis zu 1,5 Millionen Zuschauer. Bei „Gefühlsecht“ (23 Uhr 15/0 Uhr 20) waren es höchstens 1,4 Millionen, die nach Mitternacht platzierten Filme schnitten deutlich schlechter ab.

„Keine Lieder für die Liebe“, ZDF, 22 Uhr 45

Barbara Bückmann

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