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© dpa

Flashmobs: Braunschweig vertreibt die Internet-Meute

Tausende Menschen versammeln sich ad hoc zu sogenannten Flashmobs. Sie wollen Spaß haben und Schabernack treiben. Doch in Deutschland findet das nicht jeder lustig.

Die Stadt Braunschweig hat gerade verfügt, dass ihr historischer Schlossplatz kein Ort für lustigen Blödsinn ist. Das zuständige Ordnungsamt ist der Meinung, dass Flashmobs – spontane, übers Internet organisierte Versammlungen – keinem öffentlichen Interesse genügen und auch nicht der stadtgeschichtlichen und städtebaulichen Bedeutung des Platzes Rechnung tragen. Dem Künstler Dirk Schadt, der auf dem Platz per Flashmob ein einstündiges Picknick gestalten wollte, wurde selbiges untersagt.

Es ist nicht das erste Mal, dass deutsche Behörden versuchen, dieses Phänomens per Verordnung Herr zu werden. Christoph Stüber beispielsweise, arbeitsloser Metallbauer aus Schleswig, wartet gerade auf den Prozess, den das Ordnungsamt von Sylt gegen ihn angestrengt hat. Stüber hatte über das Internetportal MeinVZ dazu aufgerufen, auf der Insel eine spontane Party zu feiern. 5000 kamen und hinterließen Müll und breit gelatschte Dünen. Gemeindeverwaltung, Nord-Ostsee-Bahn und der Tourismus-Service Sylt wollen nun viel Geld von ihm, immerhin sei er der Veranstalter der Sauerei gewesen.

Nach deutschem Recht stimmt das wohl, dem Selbstverständnis der Flashmobber aber läuft es zuwider. Stüber beispielsweise hält sich auf keinen Fall für einen Veranstalter. Er habe doch nur mit ein paar Freunden feiern wollen. "Darüber kann ich nur grinsen. Es war keine offizielle Veranstaltung, und ich war nicht der Veranstalter", zitieren ihn Medien.

Flash meint blitzartig, mob ist das Gelichter, hier eher die namenlose Menge – Flashmob also ist eine scheinbar aus dem Nichts sich zusammenrottende Gruppe, die seltsame Dinge tut und kurz darauf wieder verschwindet. Das Internet vernetzt die Menschen schnell und in großer Zahl. Irgendjemand hat eine Idee, verbreitet sie in entsprechenden Foren und hofft, dass viele ihr folgen. Tun sie es, lautet die Regel der Flashmobber, nicht einzugreifen, nicht anzuleiten, sondern die Masse machen zu lassen: Tritt beiseite und genieße.

Im Sommer 2003 war das Hobby entstanden. Als Erfinder gilt der Journalist Bill Wasik, weil er als Erster eine Menge versammelte und sie dazu brachte, Sinnloses zu tun. Wie er drei Jahre später im Harper's Magazine schrieb, habe er damit all jene vorführen wollen, die ständig auf der Suche nach dem nächsten großen Ding seien und dafür jeden Blödsinn mitmachen würden. Die Netzgemeinde störte es nicht, begeistert griff sie die Idee auf, und einen Sommer lang trafen sich weltweit Menschen, um synchron in den Himmel zu starren oder wie ferngesteuert immer wieder denselben Text aufzusagen.

Einige Jahre lang war es dann ruhig um diese Freizeitbeschäftigung, doch seit 2007 findet sie wieder Nachahmer. Mehr denn je. Im März 2008 beispielsweise ging bei einem Frikadellenbräter in Berlin eine Bestellung über 10.355 Cheeseburger ein. Auf eben jenem Schlossplatz in Braunschweig verharrten am 1. April Hunderte Menschen fünf Minuten lang regungslos. World Freeze Day hieß die Aktion – die Braunschweig ebenfalls nicht mehr tolerieren will. Sie fand auch in Stockholm, Wien und Vancouver statt. Höhepunkt der Flashmob-Aktionen hierzulande war die Strandparty auf Sylt Mitte Juli.

Warum machen die das? Aus Spaß, als subversive Kritik an der Gesellschaft, als Machtdemonstration, um schmunzelnd Unruhe zu stiften. Gründe gibt es einige, keiner davon jedoch überzeugt deutsche Ordnungsämter.

Wie aber verbietet man eine Veranstaltung, die sich innerhalb weniger Tage im Netz entwickelt? Wie erfahren die Ordnungshüter überhaupt davon? Das Braunschweiger Ordnungsamt offensichtlich bekam auf dem üblichen Weg Wind von den Plänen – über das Internet. Ein Mitarbeiter habe bei StudiVZ "eine Moderatorin der Flashmob-Gruppe ausgefragt" und seine Adresse "über StudiVZ, Myspace und die Subway herausgefunden", wie der Initiator Dirk Schadt bei Indymedia schreibt. Die Kreativität hat ihn offensichtlich verstört: "Bei den Wörtern 'aushorchen', 'ausspitzeln' und 'melden' musste ich irgendwie an eine Behörde aus einem ehemaligen Nachbarland der BRD denken ... Shocked."

Dennoch will sich der Künstler von seiner Idee des Platz-Picknicks nicht abbringen lassen. Ein Sprecher der Stadt sagte ZEIT ONLINE, Schadt habe das Ganze nun zu einem anderen Termin als Versammlung angemeldet. Ein politisches Thema solle dann im Vordergrund stehen, nicht der "Picknick-Charakter". Ein Problem habe man dann nicht mehr, schließlich gebe es damit einen ordentlichen Versammlungsleiter und die übliche Liste an Auflagen.

Doch anderen genügt das nicht. Hamburgs Innensenator Christoph Ahlhaus forderte nach der Syltparty via Bild bereits, Derartiges zu verbieten. "Es ist nicht hinnehmbar, dass Tausende unorganisiert feiern und anschließend die Gemeinschaft den Dreck wegräumen und die Folgen bezahlen muss", sagte er. Wenn es keine Handhabe gebe, Initiatoren solcher Partys die Kosten in Rechnung zu stellen, müsse die Möglichkeit einer Gesetzesänderung geprüft werden."

Der Verdacht liegt nahe, dass der Innensenator auf die Flashmobs schimpft, aber eigentlich über die mobilisierende Kraft des Internets verärgert ist. Interessanterweise mussten sich die Menschen erst tausendfach digital vernetzen, bis jemand derartige Gesetzesänderungen forderte. Immerhin hat sich die Stadt Berlin jahrelang mit den Betreibern der Love Parade gestritten, wer für den anfallenden Müll zahlen muss, da Tanzen keine politische Versammlung sei. Gesetze wurden deswegen aber nicht geändert.

Quelle: ZEIT ONLINE

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