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Medien: Forum der Flüche

Nach Online-Attacke auf Ombudsfrau schließt die „Washington Post“ ihren Weblog

Die erste Version lag daneben: Die „Washington Post“ habe nach knapp zwei Monaten das Experiment beendet, ihre Leser auf zeitungseigenen Web-Seiten die gedruckten Artikel in so genannten Blogs kommentieren zu lassen: wegen zu vielen Regelverstößen und Beschimpfungen – so konnte man es vor wenigen Tagen unter anderem in Spiegel-online lesen. In Wahrheit geht es offenbar um den organisierten Angriff von Parteigängern der Demokraten auf die Ombudsfrau der „Post“, Deborah Howell, mit dem Ziel, ihre professionelle Integrität in Frage zu stellen und so im Wahljahr politischen Druck auf das Blatt auszuüben. Die persönlichen Angriffe auf Howell mit wüsten Beschimpfungen – „Hure der Republikaner“ war nach „Washington Post“-Angaben noch eine der sanfteren Formulierungen – nahmen ein solches Ausmaß an, dass die Zeitung den Blog für die online-Kommentierung der gedruckten Meinungsseite vorübergehend schloss. 29 andere Blog-Foren der „Washington Post“ seien aber offen geblieben, betont der Chefredakteur der Online-Ausgabe, Jim Brady.

Auslöser des Konflikts war ein Kommentar von Deborah Howell aus der vergangenen Woche zum Korruptionsskandal um den Lobbyisten Jack Abramoff. Auf seine Veranlassung hatten seine indianischen Klienten viele Millionen Dollar für den Wahlkampf von mehr als 300 Politikern gespendet mit dem Ziel, die Steuerfreiheit des Glücksspiels in Indianerreservaten zu erhalten. Nach übereinstimmenden Presseberichten flossen zwei Drittel des Geldes an Republikaner, ein Drittel an Demokraten. Howell hatte in ihrer Kolumne verkürzt geschrieben, Abramoff selbst habe sowohl an Republikaner als auch an Demokraten gespendet. Ein Sturm der Entrüstung brach in dem Blog über sie herein. Kern des Vorwurfs: Abramoff sei ein Skandal der Republikaner, Howell versuche die Demokraten mit hineinzuziehen.

Howell entschuldigte sich, erst im Blog, dann in ihrer Kolumne in der Sonntagsausgabe, und gestand ein: Korrekterweise hätte sie formulieren müssen, Abramoff habe seinen Klienten den Rat gegeben, an beide Parteien im Kongress zu spenden. Das fachte die Entrüstung der Blogger nur noch mehr an. Die „Washington Post“ brauche einen operativen Eingriff, als Erstes solle man Howell entfernen, hieß es in anzüglicher Sprache. Das Vier-Buchstaben „f“-Wort und das Schimpfwort „bitch“ ließen sich kaum noch zählen. Daraufhin schloss die „Washington Post“ diesen Blog. Zwar sei es Ziel des Bloggens, dass jeder frei seine Meinung veröffentlichen dürfe, verteidigte sich das Blatt. Aber die Gesetze müssten auch dabei beachtet werden: keine strafbaren Beleidigungen, kein Aufruf zu Hass und Gewalt.

Zum Wochenende stellte sich Jim Brady der Online-Debatte. Schärfster Vorwurf nun: Die „Washington Post“ zensiere ihre Online-Leser. Während der Diskussion kam es bisweilen zu vertauschten Fronten. Blogger schlugen vor, die „Post“ solle auch bei Blogs erst die Inhalte prüfen und nur die ins Netz stellen, deren Autoren sich an die Regeln halten. Brady entgegnete, Bloggen sei doch erfunden worden, um spontane Meinungsäußerungen ohne Kontrolle und Eingriffe zu ermöglichen. Freimütig gestand er seine Ratlosigkeit ein. Schon jetzt habe die Post zwei Vollzeitbeschäftigte, die nichts anderes täten, als gesetzeswidrige Blogs wenigstens im Nachhinein herauszufiltern.

Auch andere US-Zeitungen hatten bereits mit dem Dilemma zu kämpfen, wie sie in den prinzipiell kontrollfreien Blogs die Einhaltung der Gesetze sicherstellen. Die „Los Angeles Times“ musste ihr Experiment, Leser in der Online-Ausgabe die Meinungsseite gestalten zu lassen, im Sommer 2005 abbrechen – der Zugang war für pornografische Inhalte missbraucht worden.

Insgesamt haben die USA eine erste euphorische Phase des Bloggens offenbar hinter sich. Vor zwei Jahren galten Blogs als neue Medienform mit fast unbegrenzten Wachstumsmöglichkeiten. In Analysen aus jüngerer Zeit heißt es, ihre Bedeutung werde weit überschätzt. Für Blogs interessiere sich nur eine kleine Gemeinde, die durch hohe Aktivität, Geltungsbedürfnis und gegenseitige Verweise aufeinander größer erscheine, als sie sei. Sie habe kaum Einfluss über ihre Mitglieder hinaus.

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