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Medien: Fragwürdige Angebote

Schleichwerbeaffäre: Offenbar auch politische und soziale Themen platziert

Täglich neue Entdeckungen in der Schleichwerbungsaffäre bei der ARD. Täglich neue Verdächtigungen, Beteiligte und Versteckspiele, immer in der Art: Wer platziert am geschicktesten seine Produkte und Themen in Filmen, Serien oder anderen Sendungen? Im Skandal sind laut ARD-Prüfbericht bis jetzt schon 117 Fälle von verdeckter Werbung im Wert von rund 1,5 Millionen Euro für die Jahre 2002 bis 2005 nachgewiesen. Jüngster Vorwurf: Auch christliche Hilfsorganisationen und – indirekt – die Bundesregierung sollen zu Auftraggebern von Schleichwerbung zählen. Zumindest bei Ersteren hat es offenbar unlautere Anfragen aus Produktionskreisen gegeben.

Nach Tagesspiegel-Recherchen hat das katholische Hilfswerk „Misereor“ „in der Richtung“ Angebote bekommen, so ein „Misereor“-Sprecher. „Wir sind von Agenturen gefragt worden, ob wir uns gegen eine gewisse Gegenleistung an einer Produktion beteiligen. Wir haben abgelehnt.“ Dabei habe es sich nicht um fiktionale Programme gehandelt, sondern um Sendungen im Nachrichtenbereich, anlässlich von Konferenzen, „wo das Hilfswerk-Logo vor der Kamera hätte gezeigt werden können“. Sender- und Agenturnamen konnte der Sprecher nicht nennen. Das hieße im Klartext: Spendengelder von gemeinnützigen Institutionen für Schleichwerbung. Flossen in diese Richtung auch Steuergelder vom Staat? Gab es verbotene Geheimwerbung von Seiten der Bundesregierung? Bevorzugtes Thema könnte neben sozialen Themen die EU-Osterweiterung sein. Nicht nur Product Placement also, Waschmittel, Lotto und Jogurt, sondern auch so genanntes Political und Social Placement. Laut „Süddeutscher Zeitung“ habe die Bundesregierung Agenturen beauftragt, den Bürgern die EU-Erweiterung nach Osteuropa schmackhaft zu machen. Dieses Anliegen sei, möglicherweise ohne Wissen der Regierung, in der ARD-Soap „Marienhof“ platziert worden, genauso wie Schleichwerbung für Reiseunternehmen.

Die Regierung wehrt ab. „Die von der Bunderegierung beauftragten Werbeagenturen haben von sich gewiesen, mit der Bavaria in Kontakt getreten zu sein“, so eine Sprecherin. „Die Informationskampagne zur EU-Osterweiterung im letzten Jahr lief über Kinospots und Flyer.“ Das bestätigen die beiden Agenturen „Zum goldenen Hirschen“ und „Johannsen und Kretschmer“ dem Tagesspiegel. Dem steht laut Medienberichten eine interne Liste mit Auftraggebern von Schleichwerbung in ARD-Serien beim WDR entgegen, auf der auch der Staat als Auftraggeber auftauchen soll. WDR- Sprecher Rüdiger Oppers zum Tagesspiegel: „Es gibt eine solche Liste mit Auftraggebern, mit ganz interessanten Institutionen. Die internen Vorgänge laufen aber noch.“

Wie einfach Political Placement sein kann, zeigen zwei Beispiele. „Marienhof“-Sehern dürfte im April 2004 aufgefallen sein, wie der türkische Gemüsehändler Sülo Özgentürk vor einer Schulklasse für den EU-Beitritt der Türkei geworben habe. „Die Harems sind abgeschafft, ich glaube, wir können bei der Gleichberechtigung hoffen.“ Der Verdacht, dass dahinter eine Agentur mit einer Platzierungsofferte und der Verband Türkischer Unternehmer und Industrieller in Europa e.V. stecken könnten, wurde nach Recherchen von epd Medien nie dementiert. In jüngster Zeit wurden im „Marienhof“ politische Themen kaum angeschnitten. Schon während der Regierungszeit von Helmut Kohl gab es einen Fall von Political Placement. 1996 sind in die ARD-Serie „Klinik unter Plamen“ 276 000 Mark geflossen, aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. In der Serie hatten Darsteller wie Klausjürgen Wussow gut über Entwicklungshilfe geredet.

Der Mann, der das alles mit zu verantworten hat: Günter Struve, ARD-Programmdirektor seit 1991. Täglich neue Beispiele von Schleichwerbung und illegalen Geflechten bei der ARD – Struve wird mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. „Es widerspricht jeder menschlichen Erfahrung, dass die ARD-Spitze von den massiven Schleichwerbungen nichts gewusst hat“, so CDU-Mediensprecher Bernd Neumann. Der ARD-Vorsitzende Thomas Gruber hat die Forderung nach Struves Rücktritt inzwischen zurückgewiesen: „Nach derzeitiger Kenntnis ist diese Forderung nicht in Ordnung.“

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