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Showdown im Reich der Mitte: Brigitta Roslin (Suzanne von Borsody) und ihr Mann Staffan (Michael Nyqvist) sind die Letzten auf der Liste des Killers. Foto: Degeto

© ARD Degeto/Yellow Bird/Meng-San

Freitagsfilm: Hass in Hesjövallen

Showdown im Reich der Mitte: In der Verfilmung des Mankell-Romans „Der Chinese“ prallen unterschiedlichste Kulturen aufeinander.

„Der Chinese“ ist nichts für empfindliche Zuschauer, das wird gleich in den ersten Minuten der neuen Mankell-Verfilmung, die das Erste an diesem Freitag ausstrahlt, deutlich. Der Fotograf wollte eigentlich nur die Schönheit und Idylle des mittelschwedischen Dorfes Hesjövallen einfangen. Als er aber zufällig einige der Opfer des grausamen Massakers an den Bewohnern des so scheinbar friedlich daliegenden Dorfes findet, nimmt er Reißaus. Bei seiner panischen Flucht wird er von einem Holzlaster gerammt, und die herbeigerufenen Polizisten entdecken insgesamt 19 zerhackte Leichen. Nur zwei Dörfler haben überlebt.

Wie viel Hass braucht es für eine solche Tat und welches Motiv könnte dahinterstecken? Mit dieser Frage beginnt der Roman von Deutschlands beliebtestem Kriminalautor Henning Mankell. Über 37 Millionen Mal haben sich die Bücher des Schweden inzwischen verkauft. Für die ARD sind die Verfilmungen seiner Romane ein sichere Bank. Vor einem Jahr am Neujahrsabend kam „Der Mann, der lächelte“ mit Kenneth Branagh als Kurt Wallander auf einen Marktanteil von 15 Prozent bei 5,6 Millionen Zuschauern. Für diesen Freitag erwartet Volker Herres als Programmchef des Ersten mindestens ebenso gute Werte. Für ihn ist „Der Chinese“ unter der Regie von Peter Keglevic nicht nur wegen seiner Länge von fast drei Stunden „ein Mankell der Sonderklasse“.

Im Gegensatz zum Vorjahr handelt es sich dieses Mal nicht um einen Kommissar-Wallander-Fall. Die Ermittlerin heißt Vivi Sundberg und wird von Claudia Michelsen dargestellt. Im Zentrum des Films aber steht Suzanne von Borsody in der Rolle von Brigitta Roslin. Die Strafrichterin stammt wie auch ihre gesamte Verwandtschaft aus dem kleinen mittelschwedischen Ort, ihre Eltern gehören zu den Opfern des Mörders. Die Geschichte geht weit über die anscheinende Wahnsinnstat hinaus. „Der Chinese“ ist ein Film der Gegensätze. Es geht um Recht und Rache, um Schuld und Sühne, Ost und West und die globalisierte Welt. Weil die örtliche Polizei die Richterin nicht über die Ermittlungen informieren will, recherchiert Brigitta Roslin auf eigene Faust – und eigenes Risiko. Nach und nach deckt sie die Hintergründe der schrecklichen Tat auf, die weit zurück in die Geschichte reichen, auch die ihrer eigenen Familie. Ihr zur Seite steht nur Ehemann Staffan (Michael Nyqvist). Im wirklichen Leben sind Suzanne von Borsody und Claudia Michelsen seit zwanzig Jahren eng befreundet, Borsody ist die Patentante von Michelsens Tochter. Michael Nyqvist wiederum ist mit Henning Mankell befreundet und spielte bereits in anderen Verfilmungen seiner Romane mit. Nyqvist hat nach eigenen Worten geradezu eine kindliche Freude daran, Hennig zu überraschen und ihm zu zeigen: „Schau, der Charakter, den du erfunden hast, kann auch all dieses …“

Das Drehbuch des Vater-Tochter-Autorenteams Fred und Léonie-Claire Breinersdorf hat es trotz aller Verdichtung und Dramatisierung des Stoffes geschafft, die wichtigsten Elemente dieses äußerst komplexen Gesamtbildes in den Film zu retten. Angesichts des 650 Seiten starken vielschichtigen Romans eine beachtliche Leistung. Mit Schweden und China prallen nicht nur grundverschiedene Welten aufeinander. Die Wurzeln der Geschichte, zu denen der Film in Schwarz-Weiß-Rückblenden führt, reichen 150 Jahre zurück in die Zeit des Eisenbahnbaus im amerikanischen Nevada, wo Tausende von chinesischen Zwangsarbeitern unter unmenschlichen Bedingungen die Bahntrassen vorantreiben mussten. Und bei der in Mankells Roman ein Vorfahre von Strafrichterin Roslin eine äußerst unrühmliche Rolle spielte.

Der Clash der Kulturen findet aber auch im China der Gegenwart statt – zwischen den Verfechtern der reinen kommunistischen Lehre und den Anhängern des ungehemmten Turbokapitalismus. Ein Kapitalismus, in dem China inzwischen selbst zum „freundlichen“ Kolonialherren in Afrika wird. Finanzhilfen gegen Land heißt das neue Modell. Das Reich der Mitte ist nach Mankells Schilderungen dabei, große Gebiete in Afrika aufzukaufen, um dort die Hunderttausenden von unzufriedenen Wanderarbeitern anzusiedeln, die in China jeden Tag neue Aufstände anzettelten.

Die Birken in Film-Hesjövallen sind indes genauso wenig schwedisch wie die Dornenbüsche in alten Karl-May-Filmen. Von den 55 Drehtagen entfielen 28 auf Taiwan, 24 auf Österreich und nur drei auf Schweden. Die Szenen von der Ermittlungen in den schmucken Holzhäusern in Hesjövallen entstanden genauso in Niederösterreich wie die Aufnahmen vom Eisenbahnbau im amerikanischen Nevada. Das ist durchaus legitim, zumal Szenenbildner Christoph Kanter ganze Arbeit geleistet hat. In China selbst wurde nicht gedreht, das Risiko von unvorhersehbaren Schwierigkeiten bei den Dreharbeiten war den Produzenten und Regisseur Peter Keglevic („Kongo“) zu hoch. Die eindrucksvollen Aufnahmen für Kanton entstanden in Taipeh.

An anderer Stelle hätte hingegen etwas mehr Schwedisch nicht geschadet. Michael Nyquist, der in den Verfilmungen der Millennium-Trilogie von Stieg Larsson Mikael Blomkvist darstellte, steht als Repräsentant seines Landes auf verlorenem Posten. Die deutsch-österreichische Koproduktion schlägt sich unübersehbar in der Besetzung nieder. Das chinesische Casting ist dagegen stimmig: Der auf Rache sinnende chinesische Kapitalist Ya Ru (Jimmy Taenaka), seine Schwester, die linientreue Parteifunktionärin Qui Hong (Amy J. Cheng), aber vor allem der gedungene Killer Liu (Derreck Ee Ping Hin) machen den Mangel an schwedischen Darstellern durchaus wett.

Es muss nicht immer Wallander sein, das meinen auch die Produzenten um Oliver Schündler. Bislang sei Henning Mankell beim Film noch nicht als Autor jenseits des Thrillers entdeckt worden. Dabei habe er große Familientragödien geschrieben, wie etwa die „Italienischen Schuhe“, die nun von Kenneth Branagh verfilmt werden. Für Schündler ist er ein unentdeckter Romancier jenseits des Krimis. Er dürfte somit auch in Zukunft eine feste Größe in der öffentlich-rechtlichen TV-Planung bleiben.

„Der Chinese“, ARD, 20 Uhr 15

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