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Medien: Fünf Hefte und ein Todesfall

Mitten in der Anzeigenkrise haben sich in Berlin eine Handvoll Magazine gegründet. Was ist aus ihnen geworden?

Von Barbara Nolte

Die erste „Dummy“-Ausgabe hat Jochen Förster mit seinem Kombi zu den Grossisten in ganz Deutschland gefahren. Eine Woche war er unterwegs. Außerdem hat er das Heft bei den Berliner Cafés vorbei getragen, damit sie es auslegen. Förster, den Packen „Dummys“ unterm Arm, muss an das alte Westberlin erinnert haben: an Hinterhofdruckereien und Handverkäufer, die ihren Korb schwer verkäuflicher Ware den Kneipen-Gästen feilboten: „Interesse an Gedichten?“

Jochen Förster schreibt keine Gedichte, sondern Reportagen, gute Reportagen. Gemeinsam mit dem ehemaligen Leiter der Berlin-Seite der „Süddeutschen“, Oliver Gehrs, gibt er das Magazin „Dummy“ heraus. „Ich sehe uns in der Berliner Independent-Tradition“, sagt er. Jedes Heft hat ein eigenes Oberthema, auch das Layout ist in jeder Ausgabe anders. Das ist journalistisch interessant, aber nicht gerade verkaufsfördernd. Denn Menschen lesen Magazine, weil sie etwas über Mode, Klatsch oder Aktien wissen wollen. „Dummy“ ist in diesem Sinne nutzlos. Für das Heft gilt da eher der Berliner Handverkäufer-Spruch, leicht abgewandelt: „Interesse an Geschichten?“

In „Dummy“ kann alles drin stehen. Sicher ist nur, dass die Qualität sehr gut ist. Die Hefte, zum Beispiel zu den Themen Verbrechen oder Spaß, verkauften sich zwischen 20000 und 30000 Mal. Seit dem Erscheinen des Heftes habe er viel über die kaufmännische Seite des Journalismus gelernt, sagt Jochen Förster: Ob es eine neue Zeitschrift letztlich schaffe, hänge von zwei Faktoren ab. „Erstens, ob du jemand Finanzkräftiges im Rücken hast. Zweitens, ob du ein Werbekonzept hast, das die Werbekunden verstehen.“ Beides, sagt er, habe „Dummy“ nicht.

Ein Jahr ist es her, dass im Berliner Journalismus eine Gründerzeit ausgebrochen war: Eine Handvoll neuer, konzernunabhängiger Zeitschriften kam auf den Markt. Entgegen jeder wirtschaftlichen Vernunft, wohl aus einer Ungeduld heraus, denn es herrschte eine schwere Anzeigenkrise. Die großen Verlage hatten ihre neuen Projekte eingefroren, die „Frankfurter Allgemeine“ und die „Süddeutsche Zeitung“ ihre Berlin-Seiten eingestellt. Da wirkten die Neuen wie eine Befreiung: In einer Vielzahl von Artikeln lobten Journalistenkollegen den Mut der Magazinmacher. In den vergangenen Monaten aber ist es um die neuen Hefte still geworden. Selbst in den gut sortierten Zeitschriftenauslagen wie im Charlottenburger „Café Savigny“ ist von den Berliner Magazinen nur noch „Cicero“ zu finden. Und „Cicero“, das Monatsheft des ehemaligen „Welt“-Chefs Wolfram Weimer, gehört streng genommen nicht dazu, es gehört zum Schweizer Großverlag Ringier. Ansonsten ist noch ein Todesfall zu notieren. Für „Voss“, die erste der Neugründungen, war nach drei Ausgaben Schluss. Zeit für einen Rundruf: Noch am Leben?

Florian Illies empfängt einen in einer geschmackvoll renovierten Ladenwohnung am Prenzlauer Berg. Illies hat den Bestseller „Generation Golf“ geschrieben und war Leiter der „Berliner Seiten“ der „Frankfurter Allgemeinen“. Im Frühjahr hat er „Monopol“ gegründet. Hinter ihm hängt der Anzeigenspiegel der neuen, vierten Ausgabe. Diesmal kann er 140 Seiten verplanen anstatt 132 in den Heften zuvor. Anders als „Dummy“ besetzt „Monopol“ eine Nische: Kunst. Aufgearbeitet in Reportagen und Fotostrecken. Zum Beispiel über den Mord an dem afrikanischen Maler Tonio Trzebinski oder mit einer Modestrecke, aufgenommen in der Warteschlange vor der MoMA-Ausstellung in Berlins Neuer Nationalgalerie.

Das Heft, sagt Illies, solle auch ein „Einsteigermedium in die Kunst“ sein: „Wir haben eine wachsende, attraktive Zielgruppe.“ „Eine Zielgruppe mit Strahlkraft“, ergänzt der Geschäftsführer Alexander von Oheimb. Die Botschaft an die Anzeigenkunden: Mit „Monopol“ erreicht man den Hyperkonsumenten und nur den.

Zu dritt haben sie vor dem Start von „Monopol“ das Heft auf einer Roadshow europäischen Unternehmen vorgestellt: Illies, seine Frau und Co-Chefin Amélie von Heydebreck, von Oheimb. Mit Anzeigenbuchungen von Boss und BMW und einem Joker im Ärmel kehrten sie zurück: Die Lufthansa orderte für die Businessclass auf ihren Langstreckenflügen gleich 10 000 Exemplare des Heftes. Ein gutes Polster, mit dem man sich als neues Magazin gemütlich Abonnenten suchen kann. „Bei einer Auflage von 10000 bis 15000“, sagt Florian Illies, „könnten wir letztlich überleben.“ Von der ersten „Monopol“-Ausgabe wurden 25000 Stück verkauft.

Das Modeheft „Achtung“ soll sogar mit Auflagen unter der 10000er-Schwelle, die als Mindestgröße für Zeitschriften gilt, auskommen. Das ist die Chance der Neuen: Eine kleine Klientel, die Großverlage wie Gruner und Jahr nicht interessiert. „Achtung“ ist das Phantom unter den neuen Berliner Neugründungen. Es gibt eine Homepage, aber keine Adresse, keine Telefonnummer, nur eine E-Mail. Markus Peichl, Vorsitzender der Lead-Academy, die jedes Jahr Preise für die kreativsten Magazine vergibt, sieht ein Prinzip dahinter: Man macht sich besonders wertvoll, in dem man sich den Marktmechanismen entzieht. Aber den neuen Berliner Magazinen bleibt auch nicht viel anderes übrig: Geld für Werbung haben sie nicht.

Dann antwortet Markus Ebner, der „Achtung“-Chef, doch noch auf eine E-Mail: Er sei gerade in New York, arbeite als freier Mitarbeiter für das Trendmagazin „Details“. Der Textchef von „Achtung“, der Schriftsteller Eckart Nickel, schreibe in Katmandu an einem Buch. Bei „Achtung“ versteht man Berlin offenbar sehr virtuell. Und nicht einmal das: „Wir begreifen uns als deutschsprachiges Magazin: Berlin, Wien, Zürich.“ Internationalen Anzeigenkunden sei wichtig, dass nicht nur Berliner Mode an Berliner Straßenecken fotografiert werde. „Achtung“ hat in seiner nächsten Ausgabe zwar nur neun Anzeigen. Dafür haben aber die meisten der Kunden eine Doppelseite für 7000 Euro gebucht. So lässt es sich überleben.

Auf internationale Markenartikler als Werbekunden haben es alle neuen Magazine abgesehen. Denn anders als deutsche Unternehmen, sagt Sandor Lubbe, seien „französische und italienische Firmen hohe Auflagenzahlen nicht so wichtig“. Internationale Marken sehen ein Magazin eher wie ein Wirtstier, das als Ganzes das Image der Marke transportiert. Sandor Lubbe kennt sich aus in der Welt der Modelabels, über Jahre gab er „Dutch“ heraus.

Als deutschen Nachfolger hat er im Herbst das Lifestyle-Heft „Zoo“ gegründet. Er hofft auf eine Lücke, denn bisher bleibe „internationalen Werbekunden nichts anders übrig, als ihre Anzeigen in der deutsche ,Vogue’ zu schalten“, sagt er, „obwohl die einigen zu altmodisch ist.“ Für seine Geschichten hat Lubbe große Namen gewonnen, die die Modelabels auch gerne für ihre Kampagnen verpflichten würden: Wolfgang Tillmans hat im neuen „Zoo“ eine lange Fotostrecke, die Tennisspielerin Venus Williams posiert auf den Modeseiten. Zwischen 50 und 60 Anzeigen hat Lubbes Heft durchschnittlich. Die letzte Ausgabe, sagt er, habe sich 40000 Mal verkauft. Ob es letztlich zum Überleben reicht, weiß er nicht. Ein Magazin, das sich nur über eine Haltung wie früher „Tempo“ und „Wiener“ verkaufen will, hat es heute schwer. „Vielleicht braucht man dafür doch einen großen Verlag“, sagt er.

Wolfram Weimers „Cicero“ hat eindeutig die beste Perspektive. Weimer hat mit Ringier einen Großverlag im Rücken, der Anfangsverluste abfedert. Beim Vertrieb ist „Cicero“ an das eng geknüpfte Netz des Burda-Verlags angeschlossen. Außerdem hat Weimer eine Villa in Potsdam, 20 Angestellte, einen großen Honorartopf und als „deutscher New Yorker“ das beste Etikett der Neuen. Nur muss er sich daran messen lassen.

„Cicero“ ist sehr ernst, sehr erwachsen, sehr männlich. Wolfram Weimer spricht von „gedrucktem Salon“, eine Aussage, die an Sabine Christiansen erinnert, die sich selbst als „Gastgeberin“ bezeichnet. „Cicero“ ist ein bisschen wie ein gedrucktes Christiansen. Mit prominenten Autoren: von Liz Mohn bis Rafael Seligmann. Doch die dürfen schreiben, so liest es sich jedenfalls, was sie wollen. 50000 Exemplare verkauft „Cicero“ angeblich, es hat 1000 Abonnenten, darunter die Pressestellen vieler Parteien, Verbände, Unternehmen. Das Heft ist offenbar über den Berg. In zwei, drei Jahren, heißt es bei „Cicero“, komme endgültig die Stunde der Wahrheit.

Wie lange „Dummy“ durchhält, weiß Jochen Förster nicht. Zwei Ausgaben gibt es aber ganz sicher noch. Förster und Gehrs suchen für ihre Zeitschrift einen Finanzier. Doch sie sind wählerisch, sagt Förster jedenfalls: „Wir brauchen einen Liebhaber mit Geld.“

Haben Sie, fragt man, es mal mit Anzeigenaquise versucht? Waren Sie wie der Kollege Illies mit einer Roadshow bei großen Unternehmen? „What the fuck is roadshow“, sagt Förster und lacht. So wie man in der Schule über die Streber gelacht hat.

Förster und Gehrs spielen die Cowboys des Berliner Journalistenszene. Sehr unversöhnlich, aber Journalisten wie sie sind auch sehr selten in einer Zeit, in der der Dreiteiler zur Uniform von Chefredakteuren geworden ist. Jochen Förster sitzt im Muscle-Shirt und Jeans im „Soda Club“ in Berlin Prenzlauer Berg. Den Businessplan, erklärt er, hätten sie auf einer Schmierpapierecke ausgerechnet. Hauptkostenpunkt: 20 000 Euro für den Druck. Die seien auch jedes Mal durch den Heftverkauf wieder reingekommen. Für ein Büro reicht das nicht, nur für einen Schreibtisch in einer Fabriketage, die sich freie Journalisten teilen. Um eine Sekretärin und normale Honorare bezahlen zu können, so ihre Rechnung, bräuchten sie doppelt so viele Anzeigen.

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