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Medien: „Für mich ist die Welt grauer geworden“

Fünf Jahre nach der Terrorattacke vom 11. September 2001: RTL-Anchorman Peter Kloeppel zieht persönliche und andere Bilanzen

Herr Kloeppel, Sie haben am 11. September 2001 siebeneinhalb Stunden lang durchmoderiert. Haben Sie sich das alles jemals wieder angesehen?

Nie in voller Länge, nur in Ausschnitten. Und auch nicht aus eigenem Antrieb. Manchmal wurden zehn oder fünfzehn Minuten auf Veranstaltungen gezeigt, zu denen ich eingeladen war. Dann musste ich mir das wohl oder übel ansehen. Aber es ist für mich immer sehr schwer, weil ich dann wieder die Qual sehe, die es auch war, an diesem Tag zu moderieren.

Ihre Leistung ist mit diversen Preisen geehrt worden. Aber haben Sie nicht einfach nur Ihre Arbeit gemacht?

Es stimmt: Ich habe mir damals vorgenommen, „einfach nur meine Arbeit zu machen“. Alle meine Kollegen haben ihre Arbeit gemacht, nämlich das, was man von Nachrichtenjournalisten in einer solchen Situation erwartet: Informationen transportieren, sie einordnen, keine Panik verbreiten, Emotionen so gut wie möglich auszuschalten, so neutral und objektiv wie möglich zu berichten. Ruhig zu bleiben, so gut es geht. So gesehen haben Sie recht: Ich habe nur meine Arbeit gemacht. Allerdings unter erschwerten Bedingungen.

Zyniker würden sagen, dass dieser Tag Ihr Glückstag war.

Da muss man schon sehr zynisch sein. Ich habe ihn nie als Glückstag empfunden. Im Grunde waren alle Preise eine Anerkennung für die Arbeit der ganzen Redaktion. Denn man sollte auch nicht vergessen: Was wir an diesem Tag geleistet haben, wäre ohne die Arbeit in den Jahren davor nicht denkbar gewesen, und ich habe der Redaktion am Ende dieses schrecklichen Tages spät abends um elf gesagt: „Denkt dran, morgen geht das alles weiter. Wir müssen mit derselben Kraft weiterarbeiten.“ So gesehen bedeutete dieser Tag für die Redaktion keine Zäsur.

Ist nach dem 11. September Ihre Nachrichtenwelt eine andere geworden?

Ich habe mich sehr bemüht, mich nicht von dem beeinflussen zu lassen, was der 11. September aus der Sicht der Terroristen erreichen sollte: Kulturen gegeneinander aufzubringen, Angst und Zwietracht zu säen. Ich nehme mir immer wieder vor, mich nicht in diesen Strudel hineinziehen zu lassen.

Hat sich Ihre ganz persönliche Sicht verändert?

Mir hat dieser Tag eines noch mal ganz deutlich gemacht: Dass wir in einer Welt leben, in der nicht alles lauter Harmonie ist und wohl auch nie sein wird. Es gibt Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, den Konflikt suchen. Ich habe Abschied genommen von dem schönen Traum von der großen, friedlichen Menschenfamilie. Schön wär’s ja, aber es scheint nicht zu gehen.

Befinden wir uns im Kriegszustand, wir, der Westen, gegen die Islamisten?

Die Formulierungen „Krieg dem Terror“ oder „Krieg gegen den Islamismus“ finde ich unpassend. Wir befinden uns in einer Auseinandersetzung, von der ich heute noch nicht sagen kann, wie sie ausgehen wird.

Werden wir ausreichend informiert?

Ich denke schon. Wir bei RTL berichten zum Beispiel regelmäßig über die Aktivitäten der Amerikaner und der Europäer in Afghanistan. Wir berichten auch über indirekte und direkte Auswirkungen des 11. September. Nehmen wir nur als einfaches Beispiel die verstärkten Kontrollen auf Flughäfen und in anderen Lebensbereichen. Wir leben ja in einer latenten Situation des Alarmismus, der auch Einschränkungen bei den Bürgerrechten mit sich bringt.

Wie steht es mit den Rechten und Freiheiten der Presse?

Da sehe ich im Augenblick kaum Gefahren. Vorauseilender Gehorsam bei den Medien selber aber gegenüber den Regierungen, wie wir ihn bei vielen amerikanischen Medien nach dem 11. September beobachten mussten, hat mir mehr Sorgen gemacht.

Arbeiten Sie seit dem 11. September anders, alarmierter?

Schnelligkeit ist nicht alles. Es ist viel wichtiger, dass man sich gerade in solchen Breaking-News-Situationen fragt: Habe ich es hier mit nachprüfbaren Nachrichten zu tun? Wir dürfen nicht bei jedem Gastank, der irgendwo in der Welt in die Luft fliegt, gleich die große Terrorkiste aufmachen. Schnelligkeit nützt einem gar nichts, wenn man einer Falschmeldung aufsitzt. Wir müssen uns auch trauen zu sagen, nein, wir gehen jetzt nicht auf Sendung. Weil wir die Nachricht nicht überprüfen können. Das sind schwere Entscheidungen, aber manchmal müssen sie sein.

Sortieren wir heute nicht allzu schnell nach Schwarz und Weiß, nach Gut und Böse?

Die Gefahr besteht. Für mich ist die Welt allerdings grauer geworden. Es gibt viel mehr Zwischentöne. Und viel mehr Gefahr, dem Schwarz-Weiß-Denken zu erliegen. Weil es so einfach ist, so einleuchtend. Auf den ersten Blick. Aber die Welt ist in ihren Zwischentönen viel komplizierter geworden, nicht einfacher.

Wir brauchen also umso mehr kritischen Journalismus und kritische Journalisten?

Auch die Arbeit der Journalisten ist komplizierter geworden. Es gibt so vieles, was wir nicht erfassen und begreifen können.

Werden wir jemals Selbstmordattentäter begreifen? Müssten wir sie nicht verstehen lernen?

Unsere damalige Nahost-Korrespondentin hat mir Anfang der neunziger Jahre erzählt, wie Acht-, Neunjährige ausgebildet werden, sich eines Tages zu opfern. Wir wussten also, was auf uns zukommen konnte. Die Frage ist, ob wir es hätten verhindern können, dass diese Kinder zu Selbstmordattentätern werden. Ich glaube nicht.

Sind Sie nach dem 11. September skeptischer geworden?

Eine schwierige Frage. Ich habe an mir selbst beobachten müssen, dass auch ich gegen Schwarz-Weiß-Malerei nicht gefeit bin. Jedenfalls im ersten Impuls. Manchmal ist es nicht leicht zu entscheiden, wer sich von wem entfernt, wer sich wem gegenüber abwartend verhält. Entsprechen „die anderen“ vielleicht nur nicht meinem Bild vom „normalen“ Bürger? Für „die anderen“ sind wir die anderen. Deshalb muss man höllisch auf sich selbst aufpassen. Das ist eine der Aufgaben, die ich mir nach dem 11. September gestellt habe.

Ist es nicht so, dass viele Menschen Feindbilder geradezu brauchen, um über die Runden zu kommen?

Feindbilder machen das Leben scheinbar leicht. Das Dumme ist nur: Es ist nicht leicht. Wir müssen all die, die Vorurteile und billige Feindbilder benutzen, davon abbringen. Das ist eine Aufgabe, die uns alle angeht. Deshalb bringen wir auch immer wieder Nachrichten, die Mut machen. Um den Leuten zu zeigen, dass man sein Schicksal durchaus und erfolgreich in die eigenen Hände nehmen kann.

Wir sind Kinder der Ära Kohl mit ihrem Dreiklang aus Wohlstand, Sicherheit und Ruhe. All das scheint in Gefahr zu sein. Reagieren wir auch deshalb so nervös?

Ist es wirklich in Gefahr? Werfen wir doch einfach mal einen Blick zurück auf das letzte Jahr: Waren wir nicht zu 99,9 Prozent fernab von jeder Gefahr? Waren wir nicht sehr sicher aufgehoben? Geht es uns wirklich so viel schlechter? Mit anderen Worten: Wir sollten auf dem Teppich bleiben und damit realistisch. Für Panik besteht überhaupt kein Anlass.

Das Interview führten Thomas Eckert und Joachim Huber.

„11. September 2001 – Der Tag, der unsere Welt veränderte“, RTL, Sonntag, 23 Uhr 40; „9/11 – Die letzten Minuten im World Trade Center“, RTL, Montag, 22 Uhr 15

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