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Unbeeindruckt. Der Italiener Roberto Rosetti (rechts) leitete das EM-Finale 2008 zwischen Spanien und Deutschland. Foto: WDR

© WDR/Ministry of Sound

Fußball-Schiedsrichter: Buhmänner

Eine TV-Doku schildert die schwierige Aufgabe und das Leben der Schiris. Als besonderer Clou für die Fußballfeinschmecker wird erstmals der verblüffend rege Funkverkehr der Schiedsrichter untereinander dokumentiert.

Howard Webb sitzt in der Kabine und stiert ins Leere. Draußen schimpft der polnische Trainer Leo Beenhakker: „Verdammte Schweinerei!“ Drinnen, in der Kabine des englischen Schiedsrichtergespanns, breitet sich Schweigen aus – und die Ahnung, dass man es wohl nicht zu weiteren Einsätzen in der K.-o.-Runde des Turniers bringen wird. Ein umstrittener Elfmeter in der Nachspielzeit, ein übersehenes Abseits beim ersten Tor – das 1:1 zwischen der Schweiz und Polen schlug bei der Fußball-EM 2008 hohe Wellen. Webb erhielt Morddrohungen von polnischen Fans, seine Familie in England musste von der Polizei geschützt werden.

Kurz vor Beginn der WM erzählt der 75-minütige WDR-Dokumentarfilm „Die Schiedsrichter“, wie die unbeliebtesten Protagonisten im Fußball ein solch großes Turnier erleben. Vor zwei Jahren bei der EM in Österreich und der Schweiz durften der belgische Produzent Jean Libon und Regisseur Yves Hinant ganz dicht heran an die Buhmänner: Sie drehten in der Kabine, während der Spiele und bei den Nachbesprechungen in der Uefa-Zentrale, begleiteten das gut organisierte, aber abgeschottete Hotelleben der Schiedsrichter und besuchten auch deren Familien zu Hause.

Als besonderer Clou für die Fußballfeinschmecker wird außerdem erstmals der verblüffend rege Funkverkehr der Schiedsrichter untereinander dokumentiert. Es zeigt sich, dass die Assistenten an den Seitenlinien starken Einfluss nehmen. Aus deutscher Sicht besonders interessant ist das Spiel gegen Österreich, bei dem beide Trainer, sowohl Joachim Löw als auch Josef Hickersberger, vom spanischen Schiedsrichter Manuel Mejuto Gonzalez auf die Tribüne geschickt worden waren. „Ist alles okay?“, fragt Gonzalez den vierten Offiziellen, der an der Seitenlinie mit den lamentierenden Trainern alle Hände voll zu tun hat. „Nein, nein, komm her, hier gibt’s ein Problem“, antwortet der und fordert Gonzalez zum Handeln auf: „Raus.“ „Beide?“, fragt Gonzalez nach. „Beide, raus.“ Dass der Spanier die Aufforderung gehorsam umsetzt und den Trainern nicht noch eine letzte Chance gibt, wird ihm später von den Uefa-Beobachtern vorgeworfen.

Neben Webb und Gonzalez stehen auch die Schiedsrichter Peter Fröjdfeldt (Schweden), Massimo Busacca (Schweiz) und Roberto Rosetti (Italien), der das Finale zwischen Deutschland und Spanien leitete.

Kommentarlos sammeln die Autoren eindringliche Bilder aus dem Innenleben des Fußballs. Die Anspannung in der Kabine wird mit den Händen greifbar, die Sorge, einen Fehler zu machen, bedrückend deutlich. Die Ruhe und Einsamkeit der Schiedsrichter wirkt, während um sie herum das Spektakel tobt, gespenstisch – als befänden sie sich als Einzige im Auge des Hurrikans. Manches ist allerdings auch kurios und komisch. „Die blauen Trikots sehen gut aus, oder?“, sagt Rosettis Gattin im heimischen Italien. Die Verwandten der Schiedsrichter haben eben einen besonderen Blick auf das Spiel.

Angeblich hatte die Uefa selbst die Idee zu dem Film, laut WDR gab es völlige redaktionelle Freiheit und sogar eine finanzielle Unterstützung für die Filmemacher. Im Gegensatz zur Originalversion mit dem Titel „Referees at Work“, die als DVD erhältlich ist und zurzeit kostenlos auf dem Onlineportal www.myvideo.de zu sehen ist, werden die Protagonisten zu Beginn der TV-Fassung vorgestellt und die jeweiligen Spielpaarungen eingeblendet.

Howard Webb musste tatsächlich vor der K.-o.-Runde nach Hause reisen. Seiner Karriere hat es nicht geschadet. Zuletzt pfiff er das Champions-League-Finale zwischen Bayern München und Inter Mailand, und auch für die WM wurde er als bester englischer Schiedsrichter nominiert.

„Die Schiedsrichter“, WDR-Fernsehen, 22 Uhr

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