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Zu zweit ist man weniger allein. Oskar (Henry Hübchen) und Irmgard (Dagmar Manzel) lieben sich.

© NDR/Saxonia Media/Volker Roloff

Geburtstagsfilm für Henry Hübchen: Im Krebsgang

Henry Hübchen hat gerade seinen 65. Geburtstag gefeiert. In der ARD beschenkt er sich am Mittwochabend in dem Film "Hoffnung für Kummerow" selbst.

Der Flusskrebs wandert bedächtig über einen Bootssteg. Ein Eisenhaken am Mast klirrt im Wind. Ein Schwan hebt den Kopf. Mehrere Bilder und Schnitte weiter, immer stumm und im Flusskrebsschritt, fällt der Mast mit Haken um, fällt genau auf das Bootshaus des einst ruhmreichen Kanuklubs Kummerow, und mit einem letzten leisen Blub kehrt der Krebs zurück ins Wasser.

Welch vollendet komponiertes Still-Leben für einen mecklenburgischen Bootssteg und Statisten, Menschen ausgenommen. Jeder Schnitt eine Pointe! Wann hätte zuletzt ein Fernsehfilm so beiläufig, so menschenüberdrüssig, so wunderbar komisch begonnen? Es könnte traurig sein, wenn man nicht so lachen müsste. Eher leise, manchmal auch sehr laut, dann wieder leise, aber vielleicht ist das leisere Lachen ohnehin das schönste? Und vor allem: Das bleibt so.

Nennen wir die Namen der Hauptverantwortlichen für dieses kleine Wunderwerk des deutschen Fernsehspiels gleich. Drehbuch: Kerstin Höckel, Michael Wallner. Regie: Jan Ruzicka. Kamera: Gunnar Fuß. Schnitt: Marcel Peragine.

Und nachdem klar ist, wem Kummerow und sein See gehören – den Flusskrebsen, und zwar Vertretern einer eigentlich schon ausgestorbenen Art –, kommen auch zwei Vertreter einer Art ins Bild, die mit dem Aussterben noch nicht ganz fertig geworden ist: die Kummerower. Der Bürgermeister und seine Frau, Henry Hübchen und Dagmar Manzel.

Der NDR schreibt in seinem Presseheft unter den Filmtitel: „Henry Hübchen zum 65. Geburtstag“. Doch Hübchen – im deutschen Kriminalfernsehen vor allem Commissario Laurenti – scheint zu wissen, der beste Gratulant ist allemal man selbst. Also beschenkt er sich zum Geburtstag: mit sich selbst. Schon an Castorfs Volksbühne war er vor allem der ewige Kleinbürger mit unauslöschlichem Drang zum Höheren. Also irgendwie wie wir alle.

Das Ende der DDR, war es nicht gemeint als endgültiger Abschied vom Krebsgang? Schon darum rast der Bürgermeister durch sein Dorf, der neuen Zukunft entgegen, dem Kanumuseum, dem Fischrestaurant mit Pension, dem neuen Golfplatz, bis die atemlose Frau an seiner Seite fragt: „Welcher Golfplatz, Oskar?“ Dagmar Manzel kann solche Drei Wort-Fragen stellen, ganz ohne Ironie, weich fast, und doch fühlt man den Boden der Wirklichkeit nie härter als in ihrem Stimmklang. Der Augenblick bürgermeisterlicher Irritation ist eine gute Gelegenheit, ihren Mann mit einem ihm bislang unbekannten Umstand ihres Lebens zu konfrontieren: Sie hat sich beworben, „im Westen!“. Aber nur Absagen bekommen. Wahrscheinlich weil sie auch in den Kreissälen nur noch Praktikantinnen nehmen, vermutet die Hebamme in den mutterlosen Weiten der östlichen Seenplatte.

Die Restkummerower widmen sich inzwischen einer der letzten Herausforderungen des Daseins: mit leeren Flaschen farbgenau in die Öffnungen der großen Glasrecyclingtonne zu treffen, die gewissermaßen die Dorfmitte bildet.

"Hoffnung für Kummerow" ist kein Ost-Frust-Film

Es ist an dieser Stelle nicht zu beweisen, nur zu beschwören: Dies ist kein Ost-Frust-Film, sondern ein wunderbar feinnervig komischer Angehöriger des größten, unvergänglichsten Genres überhaupt: Es ist ein Das-Leben-ist-allemal-stärker-als-wir-nurmanchmal-vergessen-wir-das-Film.

Uwe Kockisch als ortsansässiger Künstler Niels Lause, mit einem Zopf, so lang und so dünn wie der Faden seiner Existenz, spielt hier gewiss die Hauptnebenrolle seines Lebens. Er hat schon jede Frau von Kummerow und Umgebung verführt, was sich jedoch erst nach und nach erahnen lässt, auch weil die Hauptfrau seines Lebens im Augenblick unzweifelhaft Desdemona ist, das schönste aller Hausschweine. Vergessen wir Kommissar Brunetti! Und wer dürfte die beispiellose Christine Schorn als Mutter des Bürgermeisters verschweigen? Wann wäre Demenz berückender und tröstlicher zugleich gespielt worden? Nicht zu vergessen Wolfram Koch als erster Hinterbliebener seiner selbst.

Das sind, wie bereits erwähnt, alle Kummerower, doch vorerst vergessen sie das, denn ein bayerischer Kanubauer will vielleicht bei ihnen einen Kanufertigteil-Zulieferer platzieren. „Hoffnung für Kummerow“ wandelt sich zum entschlossenen Die-Letzten-werden-die-Erstensein-Film. Die Bayern wollen einen Undercover-Standort-Ermittler schicken. Aber wer könnte das sein? Etwa eine der beiden „Weißwürste im Taucheranzug“, die ausgerechnet hier von ihren Rädern steigen und ein Bier wollen, obwohl die Kneipe gerade schließt? Und sollte man nicht endlich wieder eine „Regatta der Befreiung“ fahren, wie 1986, als Kummerow gegen die Schwarzadler von „Traktor Zechin“ siegte?

„Hoffnung für Kummerow“, ARD, um 20 Uhr 15

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