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Medien: Gefühlte 21

Zentralorgan der Generation Praktikum: Warum die Zeitschrift „Neon“ so erfolgreich ist

In jeder Ausgabe fragt die Zeitschrift „Neon“ Prominente nach dem Soundtrack ihres Lebens. Jetzt hat die Redaktion den Mix zum Magazin zusammengestellt. Die Songs können von den Lesern kostenlos aus dem Internet heruntergeladen werden. Im Begleittext heißt es, die Musik „sagt ein paar sehr persönliche Dinge darüber, was ,Neon’ sein will. Sie sagt mehr als tausend Worte. Und wir sind irgendwie sicher: Ihr werdet verstehen.“

Das Programm und der Erfolg der Zeitschrift „Neon“, die seit Sommer 2003 auf dem Markt ist und im vergangenen Jahr einen Auflagenzuwachs von 40 Prozent verzeichnete, liegen in diesen unverbindlichen Sätzen verborgen. „Neon“ vermittelt ein Gefühl, trifft einen Ton, schafft einen Sound, mit dem sich ein nicht unbedeutender Teil der heute 20- bis 35-Jährigen offenbar identifiziert. Es ist die Zeitschrift einer Jugend, die jede Erfahrung – vom ersten Kuss bis zum letzten Urlaub – mit bestimmten Songs identifiziert. Folglich kommt auch „Neon“ nicht ohne musikalische Untermalung aus.

166 000 Exemplare verkauft die von Gruner + Jahr verlegte Zeitschrift mittlerweile jeden Monat, 30 000 davon im Abonnement. Ihr Leitsatz lautet: „Eigentlich sollten wir erwachsen werden.“ Soll heißen, wir fühlen uns aber nicht so. Mit diesem Eingeständnis trifft „Neon“ den Nerv einer Generation, die formell zwar längst erwachsen ist, gemessen an Verantwortung und Lebensentwurf aber im Stadium der Jugendlichkeit verharrt. So hat „Neon“ den schwierigen Markt der jungen Menschen erobert, die immer weniger Zeitschriften kaufen. Chefredakteur Timm Klotzek, 32, der sich den Posten mit Michael Ebert, 31, teilt, führt den Erfolg auch darauf zurück, dass „Neon“ auf dem Markt ohne direkte Konkurrenz sei, weil es sich gleichzeitig an junge Männer und Frauen richte.

Die Zeitschrift wird von einem gebildeten, urban geprägten Publikum gekauft, der Durchschnittsleser ist 27 Jahre alt. Den stärksten Auflagenzuwachs verzeichnete „Neon“ jedoch zuletzt in mittelgroßen Städten wie Bielefeld. „,Neon’ ist für Menschen gemacht“, so Klotzek, „die mehr Fragen ans Leben haben als einfache Antworten.“ Doch das Heft wolle kein „Ratgeber“ sein. „Einen Erziehungsauftrag von der Bundesregierung haben wir jedenfalls nicht.“

Tatsächlich hängt der Erfolg von „Neon“ damit zusammen, dass es seine Leser ernst zu nehmen scheint – und sich somit absetzt von den unzähligen Frauen- und Männerzeitschriften mit ihren ständigen Optimierungsvorschriften für Po und Psyche. Die Zeitschrift erfüllt das Bedürfnis nach Identifikation in einer Gesellschaft, die arm ist an Identifikationsmöglichkeiten. Was bleibt, ist ein ständiges Suchen. „Zwei Schritte vor, einen zurück“ nennt Klotzek das. Es ist das Leben im Ausprobierland, wo man während unzähliger Praktika testet, welcher Job der richtige ist. Genauso funktioniert die Partnerwahl. Auf diesem Weg zum Erwachsensein versucht „Neon“ seine Leser zu begleiten, die Ansprache lautet: „wir“ und „du“. Die Redaktion lässt die Leser zudem in einem Internetforum zu Wort kommen. Dort findet sie dann auch schon mal die Protagonisten für ihre Geschichten.

In diesen erforscht sich die Generation dann am liebsten selbst. Beispielhaft dafür steht einer der erfolgreichsten Titel: „So sind wir.“ „Neon“ wird von Journalisten gemacht, die ihre Zielgruppe zu kennen glauben. Sie gehören ihr schließlich an. Die Chefredakteure Klotzek und Ebert haben sich bei „Jetzt“, dem ehemaligen Jugendmagazin der „Süddeutschen Zeitung“, kennen gelernt. Von dort kam auch Artdirektor Mirko Borsche, der „Neon“ mitentwickelte und jetzt beim „SZ-Magazin“ arbeitet. Wenn „Neon“, das ebenfalls in München entsteht, also wie eine Kreuzung aus „Jetzt“ und „SZ-Magazin“ anmutet, ist das kein Zufall.

Es ist zudem das Produkt einer Journalistengeneration, die alles erst mal ausprobiert, bevor sie es aufschreibt. Der Selbstversuch legitimiert den Inhalt: Der Autor eines Artikels über Alkohol besäuft sich. Um die Tauglichkeit verschiedener gesellschaftlicher Organisationsformen zu prüfen, zieht eine Gruppe Jugendlicher auf eine Berghütte und probiert Anarchie und Oligarchie aus. Für einen Beitrag über Hypnose lassen sich die Autoren, na klar: hypnotisieren. Das ist zwar selten erkenntnismehrend, meistens aber kurzweilig. Und: Es vermittelt den Eindruck von Authentizität.

Für die Fotos rekrutiert „Neon“ gerne Schauspielschüler, weil Models „leicht etwas Künstliches und Unwahres“ haben, wie Klotzek meint. Auch die „Neon“-Kontaktgesuche versprechen in erster Linie eins: Ehrlichkeit. Dies scheint eine Generation zu sein, die nichts mehr fürchtet als den falschen Schein. Dementsprechend klar ist auch das Layout von „Neon“. Jede Seite ist ausschließlich einem Themenkomplex gewidmet. Jedes Heft ist in die Ressorts „Sehen“, „Fühlen“, „Wissen“ und „Kaufen“ unterteilt.

Diese Struktur ermöglicht es, so gut wie jedes Thema unterzubringen: aufwendig produzierte Reportagen rund um den Globus, von Manaos bis Shanghai; selbstironische Modestrecken (Models von hinten), Tests („Wie kriminell bist Du?“). Und „Neon“ kann jeden Monat schillernde Interviewpartner wie Pete Doherty oder Joaquin Phoenix präsentieren.

Vor wenigen Wochen hat „Neon“ den „Lead Award 2006“ gewonnen. Das Magazin stehe für eine Neuorientierung „hin zur individuellen Zielgruppe“, heißt es in der Begründung. Zeitschriften hätten nur noch eine Chance, wenn sie ihre Zielgruppe genau kennen, sie zu einer Community formen würden. Genau das hat „Neon“ erreicht. Auch wenn der Song „We Are Family“ auf dem Soundtrack fehlt.

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