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Medien: „Gegen die Menschenwürde“

Nach Judenwitzen: Medienwächter fordern Sender auf, „Big Brother“ abzusetzen

Die Bayerische Landesanstalt für neue Medien (BLM) hat RTL 2 und Premiere aufgefordert, „Big Brother“ abzusetzen. Nach ihrer Aufsichtsratssitzung beschloss die BLM am Donnerstagabend eine Resolution, nach der das Gremium „alle Formate, die Menschen über längere Zeit in eine Käfigsituation bringen“, ablehnt und die verantwortlichen Sender auffordert, „diese Formate einzustellen“. Vor allem Bayerns Medienminister Erwin Huber, der dem Aufsichtsrat angehört, hat nach der Live-Übertragung von Judenwitzen im „Big Brother“-Container Druck gemacht und ein sofortiges Ende der Reality-Show verlangt. Noch nie haben sich die deutschen Medienwächter ähnlich deutlich gegen ein Format ausgesprochen. Erstmals ist mit den antisemitischen Witzen gegen den im Jugenmedienschutzvertrag von 2003 festgeschriebenen Schutz auf Menschenwürde verstoßen worden. Die Resolution ist jedoch nur eine Empfehlung an die Programmchefs, verbindliche Wirkung hat sie nicht.

Inzwischen haben sowohl Premiere als auch RTL 2 (die „Big Brother“ zusammen mit Endemol produzieren, aber nicht live, sondern nur geschnitten senden) verkündet, dass sie an dem umstrittenen Format festhalten wollen – auch wenn man beim Live-Fernsehen „Fehler nie zu hundert Prozent ausschließen kann“, wie Premiere-Chef Georg Kofler sagt. Um künftige Skandale zu vermeiden, hat der Sender seine Kontrollmechanismen verschärft. So wird die Übertragung von sofort an nicht mehr nur von zwei, sondern von drei Redakteuren pro Acht-Stunden-Schicht überwacht. Außerdem sollen die Verantwortlichen verstärkt in Fragen des Jugendschutzes geschult werden. „Big Brother wird nicht abgesetzt“, heißt es auch bei RTL 2. Die Kandidaten würden freiwillig im TV-Container wohnen, von Käfighaltung könne keine Rede sein, sagte Sprecher Conrad Heberling. Der Sender will den Container in Zukunft sogar noch ausbauen und die Sendung weiterentwickeln.

Nach dem „Big Brother“-Skandal ist die Medienpolitik für die privaten Anstalten vor allem hinsichtlich ihres Kontrollsystems in die Kritik geraten. Wolf-Dieter Ring, Präsident der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) bei den Landesmedienanstalten, sieht jedoch trotz der anhaltenden Debatte keinen Anlass zu Veränderungen. „Wir werden diesen Einzelfall, so bedauerlich und schlimm er auch ist, nicht zum Maßstab für eine grundlegende Änderung des Systems machen“, bestätigte er gestern noch einmal. Daran änderten auch die zahlreichen Protestanrufe nichts, die er seit Tagen bekomme. Die von den Landesmedienanstalten eingeführte Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) biete genug Möglichkeiten, dass die Sender problematische Programme vor der Ausstrahlung vorlegten und viele Verstöße dadurch gar nicht erst stattfänden. Eine darüber hinaus gehende Zensur sei in einem freien Mediensystem unvorstellbar. Ring, zugleich Chef der BLM, gab allerdings zu, dass die antisemitischen Äußerungen im „Big Brother“-Container einen neuen Höhepunkt im Bereich der Fernsehentgleisungen markiert hätten.

Deshalb leitete die KJM in dieser Woche auch Bußgeld- und Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen Premiere ein. Sollte dem Sender nachgewiesen werden, dass wichtige Kontrollmechanismen außer Kraft gesetzt wurden, die verantwortliche Redakteure etwa vorsätzlich handelten, als sie die Übertragung aus dem Container nicht abbrachen, drohen dem Sender hohe Geldstrafen. „Wenn man bei den Fakten bleibt, ist das aber sehr unwahrscheinlich“, sagte Ring. Immerhin seien bei Premiere für die Live-Überwachung extra Redakteure eingestellt worden. Trotz aller Emotionen gelte es doch, ein „rechtstaatlich sauberes Verfahren“ durchzuführen.

Für den Witzeerzähler Michele wird die öffentliche Judenverunglimpfung auf Premiere wohl ein juristisches Nachspiel haben: Die BLM hat gegen den Hamburger Kellner Strafanzeige erstattet. Ob auch gegen jene Kandidaten juristisch vorgegangen wird, die den Beschuldigten in der entsprechenden Nacht auf der Terrasse des Containers zu weiteren Witzen animiert haben, dazu wollte sich Ring gestern noch nicht äußern. Ausgeschlossen sei dies jedoch nicht.

Kathrin Schich

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