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Medien: Gemeinsam überleben

ARD-Doku über zwei Schwestern, die sich im KZ wiedertrafen

Es ist warm auf der Terrasse der Lasker- Harpprechts. So warm, dass die Dame des Hauses, Renate, die Ärmel ihrer Bluse hochschiebt. Eine bläuliche Zahlenreihe kommt zum Vorschein. Zu Gast ist die Filmemacherin Inga Wolfram. Ihr Blick bleibt an der Tätowierung hängen, eine KZ-Häftlingsnummer? Sie traut sich nicht nachzufragen. Aber die fast 80-jährige Renate fängt von selbst an zu erzählen – von der Jugend in Breslau, der Zerschlagung ihrer jüdischen Familie, der eigenen Deportation. Und von dem Tag, an dem das Unfassbare passiert, an dem sie ihre jüngere Schwester Anita wiedertrifft. Zwischen Tausenden von Gefangenen in Auschwitz.

Die Geschichte der Schwestern lässt Inga Wolfram nicht mehr los. Sie spricht auch mit Anita Lasker, will beide überreden, vor der Kamera ihre Erlebnisse zu erzählen. Aber die Frauen zögern. Sie haben sich schon ausführlich und öffentlich über ihre Zeit in Auschwitz und Bergen-Belsen geäußert. Anita hat sogar ein Buch geschrieben („Ihr sollt die Wahrheit erben“) und berichtet als Zeitzeugin im Geschichtsunterricht. Doch der Nachdruck, mit dem Inga Wolfram sie bittet, überzeugt beide schließlich. Der Dokumentarfilm „Der Tod und die Mädchen“ entsteht.

Die Überwältigung der Autorin ob des Schicksals der Schwestern Anita und Renate Lasker klingt im Film nach. Die Textpassagen zwischen den Berichten der Frauen sind pathetisch geraten („Über Auschwitz sprechen, heißt das: über Gott sprechen?“), unterstrichen noch von gefühliger Musik (Filmmusik aus „Schindlers Liste“ und Schuberts Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“) und einer Überzahl von Weichblenden.

Der Überschwang der Autorin konstrastiert dabei stark mit der überraschend nüchternen Erzählweise der Schwestern, die vielleicht einer gewissen Routine geschuldet ist, vielleicht auch nur einem Sicherheitsabstand zur eigenen Geschichte. Das macht die Frauen indes nicht weniger beeindruckend. Man spürt die Kraft, die sie aus der Zeit nach dem Krieg geschöpft haben. Anita hat in England Karriere als Cellistin gemacht, Renate lebt in Südfrankreich. Beide haben große Familien. Diesen Teil ihres Lebens, ohne den die Stärke der Frauen kaum verständlich wird, spart der Film in der Kurzfassung, die heute gesendet wird, aus.

Eine 90-minütige Version des Films, geplant für Ostern, soll das ausgleichen. Auf sie freuen sich die beiden schon besonders: Dann werden nämlich auch die Enkel zu sehen sein.

„Der Tod und die Mädchen“: ARD, 23 Uhr

Hannah Pilarczyk

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