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Nichts wie weg hier. Hacker fürchten eigentlich weder Tod noch Teufel, aber erwischt werden wollen sie auf keinen Fall. Foto: AFP

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Gespräch über Hacker: "Computer schaffen eine bessere Welt"

Immer wieder tauchte ein Name in der Diskussion um Wikileaks auf: Das "Anonymous"-Kollektiv wurde verdächtigt, hinter Attacken auf Gegner und Saboteure der Enthüllungsplattform zu stecken. Die Anthropologin Gabriella Coleman hat sich mit Anonymous beschäftigt.

Frau Coleman, Sie haben sich intensiv mit „Anonymous“ beschäftigt. Die Computeraktivisten sind bekannt geworden, als sie die Server von Paypal und Mastercard lahm gelegt haben, nachdem beide Unternehmen die Konten von Wikileaks gesperrt hatten. Wer oder was ist Anonymous?

Anonymous versteht man vielleicht am besten aus seiner Entstehung. Es gibt zwei Stränge. Der eine Strang engagiert sich gegen die Scientology-Sekte. Der andere Strang, der zuletzt für Wikileaks eingetreten ist, ist aus einem Internetforum entstanden, das sich 4chan nennt. Das ist eine Diskussionsseite, auf der es vor allem darum ging, jedes denkbare Tabu zu brechen. Dort wird alles gepostet, vom Hardcore-Porno bis zu Beleidigungen. Die beiden Stränge teilen vor allem das Äußere – sie treten in der Öffentlichkeit mit Masken auf – und eine Chat-Infrastruktur.

Es gibt gar keine Organisation?

Es gibt keine Anführer, aber wechselnde Personen, die Aktionen koordinieren. Die echten Hacker unter ihnen haben eine natürliche Autorität. Ansonsten ist das Prinzip spontaner Konsens.

Nicht alle Anonymous-Aktivisten sind Hacker?

Nein. Anonymous ist eine Infrastruktur, die von Hackern aufgebaut wurde, aber von viel mehr Leuten genutzt wird. Viele sind „Geeks“, Computerfreaks. Programmieren können sie nicht unbedingt. Anonymous ist eine Tür in die Welt der Hacker für Leute, die das interessiert, selbst aber technisch nicht so versiert sind.

Kann denn jeder einfach so mitmachen, ist das nicht sehr geheim?

Nein. Sie treffen sich in Chat-Kanälen im Netz. Und da kann sich jeder einklinken, der will. Geheimniskrämerisch sind sie nur, was ihre Klarnamen angeht.

Haben Sie sich in den Chat-Kanälen umgetan?

Ja, es ist nicht schwierig, sie zu finden. Schwieriger ist es, ihre Normen und ihre Etikette zu verstehen. Sie haben zum Teil einen sehr eigenen Humor, sehr aggressiv, sehr beleidigend. Da muss man sich erst daran gewöhnen.

In Großbritannien sind fünf Anonymous-Mitglieder verhaftet worden, junge Männer zwischen 15 und 26 Jahren. Sind die repräsentativ?

Einige sind tatsächlich noch sehr jung. Die Älteren sind um die dreißig. Viele von ihnen sind Studenten oder Doktoranden, viele kommen aus linken Bewegungen. Interessant ist, dass es eine lebendige schwule Kultur gibt. Aber es ist nicht leicht, Persönliches über die Leute zu erfahren, sie geben nichts preis.

Was macht Anonymous, wenn es nicht gerade die Gegner von Wikileaks angreift?

Die Bandbreite ist ziemlich groß. Zuletzt hat Anonymous Software unter den Revolutionären in der arabischen Welt verbreitet, die es ermöglicht, sicher zu kommunizieren. Ein gemeinsamer Nenner ist die Informationsfreiheit, es ist aber ein Sammelbecken für Unterstützer aller möglichen Ziele. Es kann vorkommen, dass jemand sagt: Hey, da läuft dies oder jenes in Italien. Lass uns das unterstützen.

Anonymous hat gedroht, das Pentagon anzugreifen als Rache dafür, dass das US-Militär den Wikileaks-Informanten Bradley Manning unter sehr inhumanen Bedingungen in Haft hält. Ist das Prahlerei?

Anonymous will die Medienaufmerksamkeit auf den Soldaten lenken, und Prahlerei ist ein guter Weg, das zu erreichen.

Die Hacker-Methoden, mit denen das Netzwerk arbeitet sind technisch gesehen eher steinzeitlich. Was denken andere Hacker über Anonymous?

Nicht viel Gutes. Anonymous arbeitet mit Denial-of-Service-Attacken, das heißt, ein Server wird mit einer großen Zahl automatisierter Anfragen überfordert und bricht zusammen. Eigentlich gilt das nicht als Hacken. Echte Hacker verachten Anonymous.

Bei Hackern denken viele an blasse junge Männer in unaufgeräumten Zimmern, die keine Freunde haben und deshalb den ganzen Tag vor dem Rechner sitzen. Wie viel von diesem Klischee trifft zu?

Natürlich findet man immer Einzelne, die einem Klischee entsprechen. Aber auf die meisten trifft es nicht zu. Was an den Computerfreaks immer unterschätzt wird, ist, wie ausgeprägt ihre Kontakte untereinander sind. Sie sind alles andere als sozial isoliert.

Meinen Sie Treffen im Netz oder Treffen in der echten Welt?

Beides. Hacker kommunizieren praktisch permanent über Chats. Es gibt sehr enge, alltägliche Bindungen zwischen ihnen. Sie treffen sich auch in der echten Welt. In großen Städten wie Berlin, Amsterdam, New York, Montreal und San Paolo haben sich Communities gebildet, natürlich auch, weil es dort Arbeitsplätze für IT-Spezialisten gibt. Geeks leben zusammen und arbeiten zusammen.

Stimmt es, dass alle Geeks Männer sind?

Ja, das stimmt schon.

Wie definiert man denn einen Hacker?

Die Zugehörigkeit funktioniert zum einen über die Selbstzuschreibung. Ein Hacker ist ein Computer-Fan, der sich selbst als Hacker beschreibt. Wenn man genauer werden will, muss man verschiedene „Genres“ von Hackern unterscheiden. Eine Richtung beschäftigt sich vor allem damit, lizenzfreie Software zu entwickeln. Eine andere Richtung entwickelt Systeme, mit denen sich Informationen und Daten schützen lassen, zum Beispiel Verschlüsselungen. Dann gibt es die transgressiven Hacker.

Was ist das?

Das sind die, die Grenzen überschreiten und auch Gesetze brechen. Die Richtung geht zurück auf die sogenannten „Phreaker“ in den späten 60er Jahren. Die Phreaker entdeckten, dass sie kostenlos telefonieren konnten, indem sie die Signaltöne nachahmten, mit deren Hilfe die Gesprächsverbindungen hergestellt wurden. Mit den Phreakern entstand eine Hacker-Subkultur, die einerseits der Ethik folgte, dass man seine technischen Fähigkeiten nicht zur persönlichen Bereicherung oder zum Schaden anderer einsetzen sollte. Andererseits war das Hacken eine große Versuchung, diese Hacker haben oft gegen Gesetze verstoßen.

Und was ist mit Hacker-Manifesten? Ein berühmtes ist ja das von Steven Levy von 1984. Er benannte mehrere Säulen einer Hacker-Ethik: Informationsfreiheit, Misstrauen gegenüber Autoritäten, Meritokratie. Hat das keine Bedeutung mehr?

Ja und nein. Steven Levy hat damit sehr gut die ethischen Prinzipien beschrieben, die sich in den universitären Hacker-Gemeinschaften entwickelt haben. Schon zu seiner Zeit sprach Levy aber nicht für die ganze Hacker-Gemeinschaft. Was sie alle verbindet, ist eine überwältigende Leidenschaft über Computertechnik. Sie glauben, dass Computer die Grundlage für Schönheit sind, für eine bessere Welt, eine bestimmte Ästhetik, das Spektakel. Es geht immer um das Wagnis, das Aufsehenerregende, die Prahlerei.

Der Wikileaks-Gründer Julian Assange ist häufig als Anarchist bezeichnet worden. Wie stark ist die anarchische Tradition unter den Hackern?

Es gibt Strömungen unter den Hackern, die antikapitalistisch und gegen Staatlichkeit und Hierarchien sind. Julian Assange gehört aber nicht zu dieser Tradition. Er ist Anarchist nur insofern, dass er keine Regeln mag. Ansonsten ist er ein Liberaler, er glaubt an Marktfreiheit, an Informationsfreiheit, an Transparenz.

Gabriella Coleman ist Anthropologin an der New York University. Am heutigen Mittwoch stellt sie in Berlin auf der re:publica ihre Forschungsarbeit zu den Computeraktivisten Anonymous vor. Mit ihr sprach Anna Sauerbrey.

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