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Helmut Schmidt

© ddp

Gesprächskultur: Auf der Kippe

Eine Mischung aus Politischem, Privatem und erlebter Geschichte, dazu der leicht schnoddrige Ton: Helmut Schmidt und sein letztes Zigarettengespräch – Friedrich Küppersbusch gibt noch mal Feuer.

Die Kunstform der Zigarettengespräche – 90 Mal vorgeführt auf der letzten Seite im Magazin der „Zeit“ von Helmut Schmidt und Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Hamburger Wochenzeitung und Herausgeber des Tagesspiegels (beide Zeitungen gehören zur Verlagsgruppe Holtzbrinck). Die Mischung aus Politischem, Privatem und erlebter Geschichte, dazu der leicht schnoddrige Ton, mit dem Schmidt, Herausgeber der „Zeit“, seinem Chefredakteur gegenübertrat, hat diese Form des Polit-Interviews zum Kult gemacht, auch unter jüngeren Lesern. Ob zum Thema SPD oder Joschka Fischer – der Alt-Kanzler, 90, redete und rauchte und rauchte. Am Donnerstag erscheint im „Zeit“-Magazin zum letzten Mal „Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt“, dazu eine Auswahl der besten Gespräche als Buch. Wir haben Ex-Raucher und Fernsehmacher Friedrich Küppersbusch um seine Meinung gebeten.

Gott verrät uns nicht, mit welchem Würfel er seine Lebenslänglichen ausknobelt. Gespenster wie Ernst Jünger, Leni Riefenstahl oder Johannes Heesters taugen immerhin, die Jenseitshoffnung erheblich zu steigern. Wenn die so lange hier bleiben mussten, ist es drüben vielleicht doch besonders schön? Ein Benjamin im Kreise der Greise nährt mit besonderem Fleiß den Verdacht, die Erde sei ein Jammertal, je öller, desto Geböller: Helmut Schmidt. Musiker mit maladem Gehör, Aufrechter mit Krückstock, Macher ohne Macht. Warum jedoch lässt uns Gott den unbescholtenen Schmidt so lange? Nun, in seinem Spätwerk, der wöchentlichen Kolumne im „Zeit“-Magazin, gab der Meinungsforscher dazu Auskunft. Er ist alt genug, alles auszudrücken. Außer seiner Kippe.

„Erbsensuppe, auf Speck gekocht“ taugt dem Staatenlenker zum Leibgericht. Und, endlich spricht es einer aus: „Moderne Architektur passt überall hin, nur nicht nach Hamburg!“ Als Schmidt so jung war wie viele seiner heutigen Leser, hieß man ihn „Schmidt Schnauze“, und wie alle großen Rock’n’Roller kommt er im Alter auf den ehrlichen, einfachen Beat der frühen Jahre zurück. Er hatte seine harten Zeiten, als er nur noch die kleinen Hallen bespielte. Kurzgigs in den „Tagesthemen“, und nur die treuesten Fans zählten anerkennend mit: Eine „Reyno“, eine Prise Schnupftabak und ein Fläschchen Cola in 3:30 – Respekt! Schmidts gnadenlose Strenge mit sich und der Welt ist auf leicht psychologisierbare Weise mit finster entschlossener Zügellosigkeit verpaart. „Wegelagerer“ raunzte der Kanzler Journalisten an – um nach der Amtszeit sogleich selbst einer zu werden. Eher als „Hereingeber“ apodiktischer Analysen befruchtete Schmidt außenpolitische Debatten. Das war so hilfreich wie unpersönlich. In einer „Zeitpunkte“-Beilage zur Diskussion um die „Wehrmachtsausstellung“ gefährdete er sein Ansehen: Die Wehrmacht, der er als Offizier angehört hatte, sei der „einzig anständige Verein“ gewesen, von „Verbrechen der Wehrmacht“ könne füglich keine Rede sein. Bei diesem Grad von Sturheit ist glücklich der, der Freunde, vielleicht Söhne und Enkel hat, die ihm in den Arm fallen.

„Ich wollte so viel Helmut Schmidt im Blatt wie möglich“, bilanziert Giovanni di Lorenzo in einem kleinen kolumnistischen Manifest, das nun der Buchausgabe Schmidt’scher Zigaretten voransteht. Der „Zeit“-Chefredakteur ist ein Meister der Konjunktivstapelei, fragt gern in der dritten Person, vermeidet Konfrontation. „Manche sagen…viele würden einwenden…man hat immer gedacht, dass…“ Johnny Cash hatte sich mit übel überorchestriertem Bekenntnisschwulst in die Unhörbarkeit geklampft. Dann fand ihn der junge Hip-Hop-Produzent Rick Rubin, strich alles aus dem Arrangement, was nicht Cash selbst war – und fertig war „sein großes Comeback als The Man“. Di Lorenzo ist Schmidts Rubin. Seine am Menschen interessierte, von Respekt getragene und nie den Großraum „Frage“ verlassende Gesprächshaltung taut den alten Mann auf. Da beichtet er seine „verborgene kleine künstlerische Ader“, die ihn, 17-jährig, vierstimmige Chorsätze abfassen ließ. Und er zeigt eine tiefe Verletzung, indem er einen Joschka Fischer zum auch in dieser Härte verdienten „Demagogen“ erklärt. Ja, er, Schmidt, habe Prinzipientreue bewiesen mit seinem Nato-Doppelbeschluss. Ein Fischer hingegen sei „bis gestern Friedensbewegung, dann plötzlich, 1998, ein Bellizist!“ Hier schimmert ein Schmidt durch, der sich mit Respekt begnügte, wo Jubel nicht zu haben war. Und speit dem früheren grünen Liebling der Bewegung angewidert hinterher: „Und das dann auch noch im Namen von Auschwitz, das ist Fischer.“ Das Bündnis der Großeltern, die aller Zwänge ledig um sich hauen, mit den Enkeln, die alle Zwänge noch gering achten – das mag jüngere Leser das „Zeit“-Magazin hinten aufschlagen lassen, wo es die Elterngeneration ordentlich besorgt bekommt.

Dass Schmidt mit seiner „Prinzipientreue“ – viel unduldsamer als Brandt, über den Kopf kluger Genossen wie Eppler und Glotz hinweg – so das Grünen-Potenzial von der SPD absprengte, wird ihm hier erspart: „Es hat Ihnen nur bedingt geschadet“, beendet Interviewer di Lorenzo das Thema. Dort, wo eine interessante Debatte über die aktuelle Vielteilung der SPD beginnen sollte. Diese „Zigaretten“ eines Herausgebers mit seinem Chefredakteur „dienten ja auch der Unterhaltung“, findet Schmidt an anderer Stelle ein Wort für den hie und da konsequent small geratenen talk. Ansonsten gibt sich der routinierte Medienschmäher ungebrochen. „Warum gehen Sie selber in Talkshows, wenn Sie das Fernsehen so sehr kritisieren?“ fragt di Lorenzo, immerhin auch Talkmaster, um von Schmidt knapp und erhellend beschieden zu werden: „Ich war noch nie in einer Talkshow.“ Was, nach seinen zuletzt reichlichen Auftritten bei Sandra Maischberger und Reinhold Beckmann nur bedeuten kann: Durch die Mitwirkung von Helmut Schmidt hört eine Talkshow automatisch auf, eine Talkshow zu sein.

Besonders reizvoll an der Figur Schmidt wie dieser nun endenden Kolumne scheint: Wo andere eine Meinung haben, hat Schmidt recht. Schmidt gibt sich unbedingt diesseits von Gut und Böse und bei der Wahl seiner Kombattanten dabei erschütternd schmerzfrei. So hatte der unsägliche Schill „solange er Richter war – übertrieben, aber nicht Unrecht“, meint Schmidt. Und di Lorenzo sekundiert, „die SPD hat Schill ins Rathaus geholfen, weil sie das Sicherheitsbedürfnis sträflich vernachlässigt hat“. Schade, dass ausgerechnet hier die Konjunktive gerade alle waren. Dass Schmidt vor fast 70 Jahren einem ganz anderen „Richter Gnadenlos“ bei der Mordsarbeit zusah, wird seltsam tonlos gestreift, nicht erörtert.

Es ist diesem Entschluss, das Lesepublikum zu unterhalten, geschuldet, dass man hier wie da jäh im Nichts landet. Wenn Gott auswählt, wer uns Jüngeren aus eigener Anschauung unsere Geschichte berichten darf, dann ist Schmidt ein glücklicher Griff. Er bringt uns neben Geschichte auch gleich noch große Lust bei, hie und da heftig anderer Meinung zu sein. Als er.

Der Autor führt die TV-Firma probono, die auch Talkformate produziert. Das Buch: „Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt“, KiWi, 288 Seiten. 16,95 Euro.

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