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Medien: Gestohlenes Kapital

Tom Peuckert verrät, was Sie nicht verpassen sollten Wer sich weit in den Berliner Osten wagt, der kommt irgendwann auch nach Friedrichshagen. Der Müggelsee glänzt durch hohe Kastanien, die Luft ist frisch, manche Straße wirkt ausgesprochen malerisch.

Tom Peuckert verrät,

was Sie nicht verpassen sollten

Wer sich weit in den Berliner Osten wagt, der kommt irgendwann auch nach Friedrichshagen. Der Müggelsee glänzt durch hohe Kastanien, die Luft ist frisch, manche Straße wirkt ausgesprochen malerisch. Schon vor gut einem Jahrhundert hat Berlins Bohème die Reize dieses Vororts entdeckt. Erste Künstler siedelten sich an, durch steten Zuzug entstand bald eine veritable Kolonie. Im Feature „Der Friedrichshagener Dichterkreis“ erzählt Ralph Gerstenberg über die wilden Jahre in der Vorstadt. Friedrichshagen als Brutstätte der literarischen Moderne. Aber auch als Ort versponnener Exzentrik, romantischem Weltverbesserertums, bacchantischer Geselligkeit. So richtig ist Friedrichshagen nie aus der Mode gekommen. „Es herrscht hier“, schrieb der Dichter Johannes Bobrowski noch in den 60er Jahren, „eine schöne Toleranz gegenüber dicken und bärtigen Männern, welche ein bisschen lärmen“ (Radio Kultur, 9. Oktober, 21 Uhr, UKW 92,4 MHz).

Karl Marx dagegen saß nicht im Grünen, als er sein welterschütterndes Werk „Das Kapital“ schrieb, sondern in einer staubtrockenen Londoner Bibliothek. Ein paar Querstraßen weiter wohnte Sherlock Holmes. So jedenfalls hat es David Z. Mairowitz in seinem amüsanten Krimi „Sherlock Holmes und der Fall Karl Marx“ erfunden. Der „Fall Marx“ scheint sich für den Detektiv zunächst auf den Diebstahl eines Manuskriptes zu beschränken. Kurz danach ist der Autor selbst verschwunden. Obwohl Holmes als bürgerlicher Individualist jede Vereinsmeierei verabscheut, muss er sich nun intensiv mit der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts befassen. Zwischen den Herren Marx und Bakunin tobt ein Kampf um die Führung des Proletariats. Einerseits fühlt sich der Rationalist Holmes dem Marx’schen Vernunftsozialismus näher als der wilden russischen Anarchie. Andererseits ist ihm grundsätzlich jeder Versuch der Weltverbesserung suspekt (Deutschlandradio, 7. Oktober, 19 Uhr 05, UKW 89,6 MHz).

Apropos Rationalismus und Vernunft. Für diese Aktiva unseres Geisteslebens findet sich im Kulturradio stets reichlich Sendezeit. Nehmen wir nur die schöne Reihe „Wissen“ im Südwestrundfunk. Morgens zur Frühstückszeit wird hier eine halbe Stunde Bildung serviert: Technikgeschichte, politische Analyse, Erdkunde. Im Programm dieser Tage auch eine Auseinandersetzung mit dem Werk des serbischen Philosophen Slavoj Zizek. Das ist der interessanteste unter den lebenden Denkern, die sich auf Karl Marx berufen. Nur gut, dass Sherlock Holmes damals das gestohlene Manuskript des „Kapitals“ retten konnte (SWR 2, montags bis sonnabends, 8 Uhr 30, Kabel UKW 107,85 MHz).

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