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Medien: Getümmel im Kleiderschrank

Warum die Medien am Boulevard nicht vorbeikommen

„Natürlich interessieren uns die Kleiderschränke“, sagt Paul Sahner. Sahner, das ist einer der ganz Großen des Boulevard-Journalismus. Mitglied der „Bunte“-Chefredaktion, des auflagenstärksten Boulevard-Magazins in Deutschland. Voller Neid erkennen Kollegen diesen in sich ruhenden Sahner mit seinen großen, feuchten Augen, dem nachlässig-eleganten Aufzug und der tiefen Stimme als „Meister seines Fachs“ an. Und er lüftet dann eines der Geheimnisse von gutem Boulevard: „Es interessiert uns, wenn Politiker uns den (Kleiderschrank, Anm. d. R.) zeigen möchten und es relevant ist. Sonst nicht.“ Dass gerade die „Bunte“ die Meinungsführerschaft im „Rosenkrieg“ hatte, als Gerhard und Hillu Schröder sich trennten, führt er darauf zurück, dass die Staatskanzlei in Hannover selbst über die Scheidung informierte. Damit waren die Kleiderschränke öffentlich. Und auch Verteidigungsminister Rudolf Scharping hatte die „Bunte“ an den Pool eingeladen, als er sich mit seiner Lebensgefährtin beim „Wasserspiel“ ablichten lassen wollte.

Paul Sahner stellte sich zum 8. Mainzer Mediendisput aufs Podium, um über „Boulevard-Journalismus – die neue Leitwährung in den Medien“ zu reden. Als Boulevard- Schlagzeile wäre das Thema glatt durchgefallen. Ebenso wie der Titel der Hauptveranstaltung: „Auf dem Boulevard der Öffentlichkeit – Was kostet uns die Meinungsfreiheit?“ Zu lang, zu schwerfällig klang das Thema.

Petra Kaminsky, die die Boulevard-Direktorin der Deutschen Presse-Agentur (dpa) ist, gestand jedenfalls: „Wenn die Meldungslage mal nicht so viel hergibt, dann melden wir auch mehr von dem, was reinkommt. Besonders wichtig ist aber, dass journalistische Standards nicht verloren gehen.“ Die Tendenz der Inszenierung und damit der Instrumentalisierung der Medien nehme zu, wie man an der Bohlen-Berichterstattung gut erkennen könne.

Trotzdem war den anwesenden 700 Medienmachern und -experten klar, was Paul Sahner formulierte: „Die Menschen interessieren sich nicht nur für Politik und Kultur, sondern eben auch für bunte Themen.“ Ein Dilemma also. Die Grundstimmung jedenfalls schwankte zwischen „boah“ und „bäh“. „Boah“ las man in den Gesichtern, wenn die Begriffe Markt-, Meinungs-, Auflagen- und Quotenführer fielen. Das wären alle gerne. „Bäh“, weil die wirtschaftlich erfolgreichsten Zeitungen und Zeitschriften sowie Fernsehsendungen fast alle dem Boulevard zugeordnet werden können.

Merkwürdigerweise wussten auch die seriösen Journalisten bei Stichworten wie „Besenkammer, Tabletten, Bier und Whisky, die ganze Wahrheit und Swimmingpool“ sofort, was gemeint ist. Der Ärger über den Boulevard entsteht mithin aus der Konkurrenz der „ernsten“ und der „weichen“ Themen, wie mehrfach zu hören war. Gewinner ist meistens der Boulevard.

Zu versprechen, dass man künftig auf People-Meldungen verzichten wolle – davon war jede Diskussion um den „Boulevard der Öffentlichkeit“ weit entfernt. Schließlich saßen hier Macher, Chefredakteure, Redaktionsleiter, Professoren und Gewerkschafter zusammen – viele davon so genannte „Entscheider“. Also solche, die über die Themen bestimmen und im Medienmarkt bestehen müssen.

Auch Bundestagspräsident Wolfgang Thierse ist klar, dass Unterhaltung legitim ist, er verwahrte sich aber in seiner Eröffnungsrede gegen die Tendenz, Politik nur als unterhaltende Sensationsberichterstattung zu präsentieren. Das Parlament als „Schwatzbude“ abzutun und den „Ernst der Politik“ der Unterhaltung unterzuordnen, gefährde die Demokratie. Die Frage, „was uns die Meinungsfreiheit kostet“, wurde aber kaum diskutiert. Wer sagen konnte: „Wir sind erfolgreich", wie der MDR- Chefredakteur Wolfgang Kenntemich über das ARD-Boulevard-Magazin „Brisant“, bekam wenig Widerrede. Und wer erfolgreich ist, hat volle Schränke. Und das interessiert die Leute.

Hardy Prothmann[Mainz]

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