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Ein höfliches Nichtverhältnis scheinen Thomas Gottschalk (l.) und Dieter Bohlen bei RTLs „Supertalent“ zu pflegen. Da kann auch Michelle Hunziker nichts retten. Foto: dpa

© picture alliance / dpa

Medien: Gottschalks Wahnsinn

Der Neujuror zeigt im „Supertalent“ keine seiner Stärken. Bohlen bleibt Chef.

Am Ende der zweistündigen Show werden uns für den nächsten Samstag „die ganz großen Emotionen“, „Sensationen“, „Spektakel“ und eine „Katastrophe“ angekündigt. Kleiner geht es nicht. Die RTL-Show „Das Supertalent“ will eine Art Übershow sein. Schon der Trailer ist mächtig, die Musik dröhnt pathetisch, die Bühne hat gigantisches Ausmaß, die Lichteffekte sitzen, es wird mit Rückblenden und Zeitlupen hantiert, ständig erhebt sich das Publikum zu „Standing Ovations“ und vorne spricht die berühmteste Jury des deutschen Fernsehens Urteile wie „absolut super“ (Michelle Hunziker), „I love it“ (Thomas Gottschalk) oder „hammermäßig“ (Dieter Bohlen).

RTL ist stolz auf den Coup, mit Gottschalk und Hunziker gleich die komplette vormalige „Wetten, dass...?“-Riege übernommen zu haben, aber wie sich beide schlagen, kann man kaum sagen, weil die Show selbst unwirklich zusammengeschnitten ist. Schon in der ersten Szene hatten Bohlen, Gottschalk und Hunziker etwas anderes an als bei ihrem Einmarsch. Schnitt, bei der nächsten Vorführung sahen sie schon wieder anders aus. Letztlich ist die Show ein etwas willkürliches Mosaik aus viel, viel aufgezeichnetem Material – was nicht weiter schlimm wäre, würde man es nicht so sehr merken.

Dabei gibt es in der Sendung durchaus niedliche Momente, wenn sich etwa ein Papagei aus Bochum erst mal richtig in Form bringen muss, bis er fröhlich ein ums andere mal kräftig „Hänschen klein“ singt. Mit Rasierschaum verpasst sich ein Kandidat wechselnde Masken. Auf so eine Idee muss man erst einmal kommen. Neben solchen Laien gibt es eingeflogene Profis aus London oder den USA, die ihre Körper verrenken oder mit den Händen solche Pups-Geräusche machen können, dass der Modern-Talking-Song „Cheri, Cheri Lady“ zu erkennen ist.

Letztlich ist es aber das Handwerk, das die Show zusammenhält. In Vollendung war es zu bewundern, als sich Helmut, ein 87-jähriger Opa aus Dortmund, mit einem Kran auf 80 Meter Höhe hieven ließ und von da aus einen Bungee-Sprung unternahm – mit der kleinen Besonderheit, dass ein Mensch, nämlich Franz, ein echtes Kraftpaket, das Seil in seinen Händen hielt. Mit vielen „Ahs“ und „Ohs“, bangem Hinaufschauen und erklärenden O-Tönen, Musikakzenten, Zeitlupen und Wiederholungen wurde diese eine Vorführung aufwendig in Szene gesetzt. Allein diese Sequenz ist bestimmt tagelang montiert worden. Das Resultat wirkt perfekt, aber nicht herzlich. „Das Supertalent“ ist ein Großwerk der Arbeiter an der Fassade. Diese Show wird vom Äußeren her zusammengehalten. Sie hat keine menschliche oder stilistische Mitte.

Auch von anderen seiner Marotten kann RTL nicht lassen. Immer muss mindestens einer als Depp vorgeführt werden. Diesmal war es ein Georg, der Wolle Petrys „Wahnsinn“ im Voll-Playback singen wollte. Eine Sängerin kam überhaupt nur vor, weil sie gegen den Vorhang rannte und dann war da noch Vito, ein dickes Kind, das mitsamt seinem Schicksal (ein früher Herzfehler) furchtbar ausgestellt wurde. Da kennt RTL keine Scham.

Was aber macht nun Thomas Gottschalk in einer solchen Show? Auf jeden Fall spielt er nicht die Hauptrolle. Die ist Bohlen vorbehalten. Schon vom ersten Auftritt an wird er als Chef inszeniert. Gottschalk sitzt halt mit am Jury-Tisch und kann keine seiner Stärken, etwa die besondere Schlagfertigkeit oder das Aufleben vor dem Publikum, ausspielen. Zu Bohlen scheint er ein höfliches Nichtverhältnis zu pflegen. Manchmal wirkte es, als seien sie gar nicht im selben Raum. Dann und wann murmelt er etwas von „Niveau“, das er hochhalten wolle. Interaktion mit dem Publikum findet nicht statt. Spätestens nach dem Bungee-Sprung des 87-Jährigen leuchtet auch nicht mehr recht ein, dass er „Wetten, dass …?“ wegen der gefährlichen Wetten verlassen haben will. Gottschalk, das war einmal ein besonderer Entertainer, der zwar auch einfache Späße machte, aber nebenbei auch noch mit Marcel Reich-Ranicki debattieren konnte. Wer unter Bohlen als Nebenfigur auf einem schrillen Jahrmarkt auftritt, kann dieses Flair leicht verlieren.

RTL hat bereits verloren: Mit durchschnittlich 6,34 Millionen Zuschauern (Marktanteil 22,0 Prozent) schalteten am Samstag eine Million Menschen weniger ein als zum Staffelstart von das „Supertalent“ im vergangenen Jahr.

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