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Medien: Graf von Nayhauß: "Berlin vertraulich"

"Wie heißt denn der Herr neben dem Staatssekretär?", fragt eine Dame den Grafen Nayhauß beim Stehempfang.

"Wie heißt denn der Herr neben dem Staatssekretär?", fragt eine Dame den Grafen Nayhauß beim Stehempfang. Klar weiß der das, und der Verdacht scheint nicht ganz abwegig, außer dem Gastgeber könnte er der einzige sein, der alle Gäste kennt. Wolfgang Ischinger, künftiger deutscher Botschafter in Washington, gibt einen Empfang zu Ehren des scheidenden amerikanischen Gesandten John Kornblum. Im Palace Hotel trudeln die Gäste ein und gesellen sich in kleine Grüppchen. Solche Empfänge besucht Mainhardt Graf von Nayhauß-Cormons gerne, denn oft ergibt sich aus einem kleinen Gespräch ein neues Thema für seine Kolumne "Berlin vertraulich". Vier Mal pro Woche erscheint die Kolumne auf Seite 2 der "Bild"-Zeitung. Seit 1981.

Wie Nayhauß zwischen den Honoratioren steht, die meisten etwas größer als er, erinnert er ein bisschen an Heinz Rühmann. Behände bewegt sich der 1 Meter 70 große und eigentlich unscheinbare Mann zwischen den Stehtischchen, plaudert, hört zu, schaut mit wachen Augen in die Runde, schüttelt Hände, sucht nach einer günstigen Gelegenheit, den ein oder anderen abzugreifen, eine Info "abzuschöpfen". Sekt schlürfen auf Empfängen, shake hands mit den Mächtigen, sieht so seine Arbeit aus? "Von wegen", wiegelt er ab. "Das meiste erledige ich vom Telefon aus. Aber solche Empfänge gehören zum täglichen Brot." Und so hofft er, dass auch heute ein paar Brocken für ihn abfallen werden. Seit 54 Jahren verfolgt der 74-Jährige die deutsche Politik. Genauer gesagt: ihre Politiker, samt deren Macken, Frauen und Frauengeschichten. Man kann dieses Geschäft unseriös nennen, würde ihm damit allerdings Unrecht tun. "Der recherchiert wirklich, und was er schreibt, stimmt", sagt der ehemalige "Bild"-Chefredakteru Peter Boenisch. Und auch, wenn manche seiner Geschichten das Privatleben der Politiker ziemlich detailliert beschreiben: Schummerlicht-Stories sind seine Sache nicht. Er ist kein Frontschwein. Eher ein Trüffelschwein. "Er hat einen guten Riecher", weiß Hans-Hermann Tiedje, ein weiterer ehemaliger "Bild"-Chefredakteur. Kollege Boenisch pflichtet ihm bei: "Der findet immer einen neuen Dreh." Und Udo Röbel, bis Ende 2000 "Bild"-Chef, charakterisiert Nayhauß mit den Begriffen "journalistische Lebendigkeit, Wissbegier, immenses Gedächtnis und vollendete Umgangsformen".

Prägend für seine Entwicklung war die "Nationalpolitische Erziehungsanstalt" in Spandau, eine Art Kadettenanstalt und "Elitenschule", in der Schüler "Jungmannen" hießen und ein Jahrgang "Hundertschaft". Er war elf Jahre alt, als ihn seine Mutter dorthin schickte. "Das mag für viele befremdlich wirken, doch mein Vater, ein stramm-preußischer Kavallerieoffizier, wollte für seine Söhne die gleiche Ausbildung, die er genossen hatte." Ein Wunsch, den ihm seine Frau erfüllen wollte. Vom Tod seines Vaters erfuhr Nayhauß allerdings erst nach dem Krieg. Sein Vater war 1933 von der Gestapo ermordert worden ("Er deckte kriminelle Machenschaften einzelner Parteigenossen auf"). Bis dahin glaubte er an den "Endsieg" und Hitlers "Wunderwaffe". Zielstrebigkeit, Selbstverantwortung und Pflichtbewusstsein habe er dort gelernt, sagt Nayhauß.

Wenn ein Politiker mit Nayhauß spricht, muss er damit rechnen, am nächsten Tag in "Bild" zu stehen. Manchmal passiert das auch unverhofft, etwa wenn Joschka Fischer über seine Eheprobleme redet. "Die Leute, die mit mir reden, wissen doch, was ich von Beruf bin. Und wenn ich über jemanden schreiben möchte, dann tue ich das auch, wenn der Betreffende nicht mit mir redet. Aber die Politiker sind mir in der Regel nicht auf ewig gram."

So sehr er die Nähe zu den Mächtigen also braucht, so genau weiß er, dass das auf Gegenseitigkeit beruht. Auch von ihm geht Macht aus, auch er setzt seine Macht ein, und er lässt sich auch aus Gründen der Macht einsetzen. Doch er ist sich dessen bewusst, und das gibt ihm Unabhängigkeit. Unabhängigkeit von den Politikern, die ihn fürchten, aber auch von den Springer-Oberen, denen gefällt, wie die vornehm glänzende Patina des alten Grafen auf das Blatt abstrahlt.

Die Liste der Publikationen, in denen Nayhauß unter anderem veröffentlicht hat, ist vielfältig: "Spiegel", "Stern", "Wirtschaftswoche", "Bunte", "Welt" sind darunter. Unter Kollegen gilt er als schillernde Figur. Wohl deshalb kleben ihm so viele Etiketten auf der Stirn. Sie zeugen von widerwillig eingestandener Bewunderung ("Kanzlerschatten", "Großmeister des substantiierten Politik-Klatsches") über respektlose Anerkennung ("Schnüffelmaxe") bis zur Beleidigung à la "Hofschranze" oder "Dickdarmbewohner bei Kohl".

"Schillernd" nennt man etwas, auf das das Licht von mehreren Seiten fällt. Was macht Graf Nayhauß schillern? Es ist der innere Widerspruch eines Journalisten, der stets im feinen Tuch unterwegs ist und doch schmutzige Wäsche wäscht. Er ist der Graf, der dem Volk die große Politik erklärt, indem er sie auf die zwischenmenschliche Ebene projiziert. Damit gibt er der abstrakten Politik ein Gesicht. Er schöpft aus seinem Erfahrungsschatz, doch überfordert die Leser damit nicht. Für sie ist er sowohl Respektsperson als auch Identifikationsfigur. Ein primus inter pares.

Mittlerweile ist Nayhauß immer mal wieder auch Gast in Talkshows. Bei Beckmann war er, bei Schmidt auch. Dort ist er der Geschichtenerzähler. Die wollen vor allem wissen, wie es nun mit Fischers vierter Ehe steht und wie Franz Josef Strauß einmal einer Sekretärin der "Bild"-Zeitung von hinten ins Dekolletee fasste. So was erzählt er gerne, beklagt aber, als politischer Kommentator kaum wahrgenommen zu werden.

Nayhauß wohnt direkt am Pariser Platz. Auf seinem gläsernen Schreibtisch steht ein Ständer, proppevoll mit Visitenkarten, davor der Laptop, zwei Handys. Eines schrillt die Melodie von "I did it my way". Wie zum Beweis für seine Fähigkeiten als politischer Kommentator kramt er aus dem Schrank ein Buch hervor, zeigt auf Kolumnen, in denen er die Wehrmachtsausstellung kritisiert oder gegen eine pauschale Entschädigung von Wehrmachtsdeserteuren argumentiert. Mit ein bisschen bösem Willen kann man solche Ansichten reaktionär nennen. "Ich bin parteilos und ein klassischer Wechselwähler" - Nayhauß will sich nicht einordnen lassen. Zu Recht, wie ein Kollege findet: "Er gibt uns Dinge an die Hand, die sich für die politische Analyse lohnen, nimmt diese aber nicht selber vor". Vielleicht macht ihn dieser Pragmatismus so erfolgreich. Er ist kein Glaubenskrieger - was er sucht, ist die Nähe zur Macht. Und wie das so ist mit der Macht: Wer sie einmal gerochen hat, will nicht von ihr lassen. "Der kann gar nicht loslassen, selbst wenn er wollte", sagt Boenisch.

Was würde Nayhauß machen, wenn er seine Kolumne abgeben müsste? "Ich würde versuchen, sie woanders zu veröffentlichen." Kein Gedanke an Rente? Er wundert sich: "Einen Schriftsteller oder Maler würden Sie so etwas nicht fragen." Er liebt seine Arbeit. Dabei sein ist alles.

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