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Günter Netzer hat sich vom Fernsehen nicht verbiegen lassen.

© ARD

Günter Netzer im Finale: "Warum ich aufhöre? Ich habe nichts mehr zu sagen"

Günter Netzer macht Schluss als ARD-Experte. Ein Gespräch über den richtigen Zeitpunkt, die WM in Südafrika und wüste Gelage.

Herr Netzer, das Essen in Südafrika scheint Ihnen zu schmecken.

Wenn Sie den Fisch meinen, der ist wirklich vorzüglich.

Wir meinen überhaupt. Zur WM in Asien 2002 sind Sie angeblich nur deshalb nicht gefahren, weil das Essen da so schlecht sei.

Inzwischen mag ich asiatisch ganz gerne. Aber die Priorität in Südafrika liegt auf dem Fußball, nicht auf dem Essen.

Volker Herres, Programmdirektor der ARD, hat Sie auf der gemeinsamen Pressekonferenz von ARD und ZDF zur WM geradezu in den Himmel gelobt. Hat Ihnen das gefallen?

Ich tue mich immer etwas schwer mit überschwänglichem Lob, aber ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es mir nicht doch auch schmeichelt. Ich bin nur nicht gerne Mittelpunkt einer großen Gesellschaft. Aber gegen Komplimente habe ich nichts. Das wäre ja auch albern.

Mehmet Scholl wird Ihnen als Fußball-Experte im Ersten nachfolgen. Welche Ratschläge geben Sie ihm?

So etwas würde ich nie tun. Es geht darum, vor der Kamera das eigene Ich erkennen zu lassen. Es muss und wird sich zeigen, wer Mehmet Scholl ist. Aber er darf sich auf keinen Fall verbiegen oder verbiegen lassen. Ich habe nur deshalb einen solchen Erfolg gehabt, weil ich absolut authentisch war und bin.

Hat Ihnen das Fernsehen nichts anhaben können?

Ich weiß nicht, ob es überhaupt jemals jemandem gelungen ist, mit mir etwas zu machen. Ich bin durch die Auseinandersetzungen, von denen es ja in meinem Leben einige gegeben hat, vor allem schlauer geworden. Charakterlich verändert haben sie mich nicht. Ich bin bis zum heutigen Tag lernfähig geblieben. Mich um des Erfolges willen zu verändern, das ist niemandem gelungen.

Mussten Sie sich in Ihrer Karriere, in Ihrem Leben nie gegen etwas wehren?

Nein, musste ich nicht. Weil ich schon früh ein gefestigter Mensch war. Es gibt Menschen, die sagen, der Netzer, der ruht in sich. Die Dinge, die mir passiert sind, haben nur beschleunigt, was ohnehin in mir angelegt war. Es gab in meinem Leben nicht einen Morgen, an dem ich nicht in den Spiegel schauen konnte.

Sie sind mit Gerhard Delling befreundet. Hat Herr Delling etwas von Ihnen lernen können?

Ich hatte sicher einen positiven Einfluss auf Herrn Delling. Das konnte aber nur so sein, weil Delling einen erstklassigen Charakter hat, intelligent ist und lernfähig. Ich habe Gerhard Delling nicht verändert. Aber ich bin mir sicher, dass ich ihn weiter gebracht habe.

Sieht er das auch so?

Das weiß ich nicht. Wir haben nie darüber gesprochen.

Über wichtige Dinge sprechen Sie überhaupt nicht, oder?

Es gibt Dinge, über die muss man nicht sprechen, wenn man befreundet ist. Wäre es anders, würde eine Beziehung wie die unsere nicht funktionieren. Es geht um das Wesentliche. Mich interessieren nicht alle Dinge dieser Welt. Mich interessiert, je älter ich werde, immer weniger. Aber das umso mehr.

Wenn Sie sich so gut verstehen, warum hören Sie dann auf?

Jedenfalls nicht, weil Delling und ich uns nichts mehr zu sagen hätten. Weil es bei dem, was wir machen, in erster Linie um Fußball geht, ist es auch gar nicht wichtig, ob wir uns persönlich etwas zu sagen haben oder nicht. Der wahre Grund, warum ich aufhöre, ist: Ich habe einfach nichts mehr zu sagen. Ein Journalist hat einmal geschrieben, der Netzer höre auf zu sprechen, wenn alles gesagt ist. Können Sie sich vorstellen, wie mir das gefallen hat? Ich finde, es ist genug. Ich finde mich genug. Wenn jetzt Leute kommen und sagen, der Netzer kokettiert aber ganz schön, dann kann ich nur sagen: Es ist mir ernst.

Wird nicht sowieso im Fernsehen, wenn es um Fußball geht, viel zu viel geredet?

Es ist ein Graus, was manche Kommentatoren abliefern. Ich lehne das ab. Und ich könnte es auch nicht.

Wird man Sie nicht doch irgendwann wieder im Fernsehen erleben können?

Ich will es nicht ausschließen. Ich habe in all meinen Karrieren sehr früh gespürt, wann es genug ist. Ich habe mit 31 als Spieler aufgehört, und ich hätte auch als Manager beim HSV zwei Jahre vor dem tatsächlichen Ende aufgehört – wenn Felix Magath, damals Spieler, mich gelassen hätte.

Wann wollten Sie bei der ARD aufhören?

2006. Aber der damalige ARD-Programmdirektor Günter Struve hat mich davon überzeugt, weiterzumachen. Das war damals einzig und allein das Werk von Günter Struve.

Man hört, dass es nach den Sendungen immer wieder zu Gelagen gekommen sein soll. Die werden Sie vermissen, oder?

Welche Gelage meinen Sie?

Kellergelage mit viel Rotwein. Volker Kottkamp, der frühere Sportchef des Südwestfunks, hat da mal etwas erwähnt.

Ach das. Ja, das gab’s tatsächlich. Aber das waren keine Gelage, sondern Kulturveranstaltungen. Ich bin ein Genussmensch, in jeder Beziehung. Zu leben und zu genießen, das war mir immer wichtig.

Welches Bild haben Sie von Südafrika?

Ich weiß nichts von dem Land. Ich war nur einmal dort, bei der WM-Auslosung in Durban. Aber das ist nichts Neues für mich. Als Spieler war ich drei Mal in Rio de Janeiro und habe die Copacabana nicht ein Mal gesehen. Stadion, Hotel, Flugplatz, das war’s.

Worauf freuen Sie sich am meisten in Südafrika?

Vielleicht auf die Ungewissheit. Ich habe das Glück, in meinem Alter von 65 Jahren und mit all der Erfahrung, die ich habe, mit einer hochanspruchsvollen Aufgabe konfrontiert zu sein – und nicht einmal eine Ahnung davon zu haben, was da auf mich zukommt. Das ist eine ungeheure Herausforderung und ein Glück für mich.

Ist Südafrika ein gefährliches Land?

100 Prozent Sicherheit gibt es nicht, die gab es nicht einmal bei der WM in Deutschland. Was ich so höre, werden enorme Anstrengungen unternommen. Die Südafrikaner leiden ein wenig darunter, dass so viele negative Geschichten in der Welt sind. Auch deshalb werden sie alles unternehmen, damit nichts passiert. Warum sollte bei der Fußball-WM nicht klappen, was bei der Rugby-WM bestens funktioniert hat?

Werden Sie weinen müssen, wenn Sie zum letzten Mal als Kommentator bei der WM zu sehen sein werden?

Versprechen Sie sich bitte nicht zu viel von mir. Aber ich weiß schon, dass es etwas Besonderes ist, so lange im Fernsehen in herausgehobener Funktion tätig gewesen zu sein, wie ich es war. Aber vergessen wir doch um Himmels willen nicht, dass es nur um Fußball geht.

Vom Fußballstar zum Fernsehstar – ein kleines Wunder?

Ich weiß, es ist unglaublich. Das Geheimnis ist aber ganz einfach: Es heißt Authentizität. Die meisten Leute können gar nicht glauben, dass ich in der Realität genauso bin wie im Fernsehen. Das ist zu komisch. Für mich aber nichts Besonderes.

Wie wird Delling die Trennung verkraften? Für ihn wird es ein großer Einschnitt.

Wir beide betrachten das, was wir da hatten, als unglaublichen Glücksfall. Das erleben Sie sonst im Fernsehen kaum, wenn überhaupt. Wenn ich ihm etwas raten würde, dann, dass er dieser Zeit nicht nachtrauern soll. Nach dem letzten Spiel der WM ist alles vorbei. Aber weil Gerhard Delling ein kluger Mann ist, wird er vorbereitet sein. Aber ich fürchte, mit einer Frage wird er noch ein paar Tage leben müssen.

Welche Frage?

„Wo hast du denn deinen Netzer gelassen?“

Das Interview führten Joachim Huber und Thomas Eckert.

ZUR PERSON

MEISTERMACHER

Günter Netzer wurde mit Borussia Mönchengladbach 1970 und 1971 Deutscher Meister, 1972 Fußballer des Jahres, mit der Nationalmannschaft 1974 Weltmeister, danach spanischer Meister mit Real Madrid 1975 und 1976. Nach Ende der aktiven Karriere war er von 1978 bis 1986 Manager des HSV, der in dieser Zeit dreimal Deutscher Meister wurde.

TV-KARRIERE

Seit 1998 ist Netzer ARD-Fußballexperte an der Seite von Gerhard Delling. Das Duo wurde mit dem Goldenen Löwen, dem Grimme-Preis und dem Medienpreis für Sprachkultur geehrt.

WM 2010

Beim Turnier in Südafrika starten Günter Netzer und Gerhard Delling am 11. Juni mit dem Eröffnungsspiel der Gastgeber gegen Mexiko. sag

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