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Günther Jauch hatte bei seiner Premiere in der ARD Marcy Borders, die als „Dust Lady“ bekannt gewordene Überlebende der Anschläge auf das World Trade Center zu Gast.

© dpa

Talk-Premiere in der ARD: Günther Jauch versucht es mit Gemächlichkeit

Günther Jauch geht bei seiner Premiere in der ARD erstmal auf Nummer sicher - beim Thema und bei seinen Gästen. Ein Joker aber hätte der Sendung gut getan.

Auge besiegt Ohr. Der Ort von „Günther Jauch“ überwältigt schier. Was mal ein Gasometer in Berlin-Schöneberg war, ist jetzt eine Mischung aus Moulin Rouge, Industriedenkmal und Reichstagskuppel. Rottöne dominieren, Fotos und Bilder werden in rostige Rahmen gesetzt. Der Gastgeber ist nervös, gebremst wirkt er, Jauch hält sich an einem Stoß von Notizen fest.

Dabei ist wirklich jedes Detail auf Nummer sicher gearbeitet.  Am Tag von „Günther Jauchs“ Premiere, am zehnten Jahrestag von „9/11/ geht nur „9/11“ als Thema. Das Thema kennt jeder, das Thema kann jeder, das Thema hat die Qualität, dass sich der Talk-Novize warmlaufen kann. Eine Debatte über, sagen wir, Eurobonds ist komplex, fasert aus in komplizierte Details, schnell kann sich das große Publikum ausgeschlossen fühlen. Da kann jeder Moderator blöde aussehen. Das wollen weder ARD noch Jauch. Bloß nix falsch machen, das ist das Gebot der ersten Talk-Stunde.

Mit  „9/11“ wird die Bilanz-Frage verbunden „War es richtig, in den Krieg zu ziehen?“ Jauch will die verschiedenen Positionen in den Antworten sehr unterschiedlicher Gäste spiegeln. Die Autorin und Kriegsgegnerin Elke Heidenreich sitzt neben Springer-Chef Mathias Döpfner. Autor und Kriegsgegner Jürgen Todenhöfer und Peter Struck, im September 2001 SPD-Fraktionsvorsitzender und später Bundesverteidigungsminister, bilden das andere Paar.

Marcy Borders, die als „Dust Lady“ bekannt gewordene Überlebende der Anschläge auf das World Trade Center,  und Tanja Menz, Mutter eines in Afghanistan gefallenen Bundeswehr-Soldaten, besetzen den „Schicksalsfaktor“. Mit Borders eröffnet Jauch seine Sendung, mit ihr wie später auch mit Menz unterhält er sich auf der „Betroffenen-Insel“. Mit der einsilbigen New Yorkerin soll die Re-Emotionalisierung der Tragödie gelingen. Dieses Gespräch wie auch die übrigen biographischen Einspielfilme sind pures „Stern TV“, Privatfernsehen, dicker Schwulst auf einem noch dickeren Musikteppich. Nichts gegen Mitgefühl, doch hier wird’s peinsame Ranschmeiße.

Bunt und breit gestreut ist die Gäste-Mischung, gesittet das Gespräch. Niemals wird es heftig im Für (Döpfner/Struck) und Wider (Heidenreich/Todenhöfer), gewagte Thesen werden nicht gewagt. Die Einladungspolitik sorgt für die Wiedererweckung nahezu aller Argumente zum Thema. Deutlich wird, dass die Beteiligung der Bundeswehr in Afghanistan längst eingepreist ist in der Deutschen Gefühls- und Gedankenhaushalt. Günther Jauch hält die Runde am Reden, das ist seine Leistung während der 60 Minuten. Erkennbar sein Problem, die zuweilen mäandernde Diskussion aufs Generalthema zurückzuführen. Ein Sammler, kein Jäger ist da am Werk. Ihn treibt die Neugier nach Positionen, nicht das Problem „Krieg oder nicht Krieg“. Individuelles geht vor Abstraktem. Günther Jauch will was erfahren, er lässt seine Gäste erzählen und ausreden. Eine Konfrontation zu wecken, gar zu schüren, das ist seine Sache nicht. Ein Volks-Talker mit dem Ziel der Wir-Inszenierung präsentiert sich.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Jürgen Klinsmann der Maßstab für Günther Jauch ist.

Die große Runde soll das Thema an jeder Ecke abdecken, nur das Zentrum, das politische, bleibt unbehaust. Keine Prominenz aus Regierung und Opposition ist geladen, der frühere Verteidigungsminister Struck muss ganz allein für die Entscheidung zur „uneingeschränkten Solidarität“ seines Kanzlers Gerhard Schröder einstehen. Er tut das, mit ruhiger Stimme, der Friedensapostel Todenhöfer bringt ihn nicht in Rage.

Jürgen Klinsmann, der Trainer der US-Fußball-Nationalmannschaft, ist auch noch da. Er soll berichten, wie die Amis ticken. Klinsmann fängt jeden Satz an mit „Der Amerikaner...“ er kennt offenbar jeden von ihnen. Seine Beiträge sind von schlagender Schlichtheit. Mag es böse Absicht sein oder nicht, als „Klinsi“ sagt, wie wenig gut der Amerikaner informiert ist, wechselt Jauch das Sende-Element „60 Sekunden“ ein: Für den weniger gut informierten Deutschen werden die Kosten und Nutzen des Afghanistan-Engagements bilanziert. „Günther Jauch“ will keinen Zuschauer überfordern, Jürgen Klinsmann scheint dafür sein Maßstab zu sein.

Nach der Premiere ist die Zukunft dieser laut Ankündigung „politischen Gesprächssendung“ schwer vorherzusagen, aber ist die Entpolitisierung, genauer: die Entpersonalisierung von Politik ein Projekt mit Zukunft? Sind die Volksvertreter so ein Affront für das Fernsehvolk, ein Ausschaltimpuls, der Ruin der groß gedachten Einschaltquote? Erstaunlicher Vorgang in einem Studio, dessen Ambiente dem Bundestag  nachempfunden ist. Wenn Frank Plasberg, Jauchs ARD-Konkurrent, zugesehen hat, dann weiß er, was er am Montag zu tun hat: klare Kante in einer politischen  Kampfarena. Das wäre die interessante Alternative. Onkel Günni probiert’s erst mal mit Gemächlichkeit.

Der performative Widerspruch unterbleibt. Zwischen der Gestik des Herrn Jauch und der Rede desselben ist Deckungsgleichheit festzustellen. Er macht nicht auf „Millionär“, wo sich ein Kandidat nie ganz sicher sein kann, ob der gefürchtete „Dackelblick“ beim Gewinnen oder beim Scheitern helfen will. Allerdings blinkt in der Gasometer-Arena kein Joker weit und breit, wenn der Talk hakt. Die Spannung kommt aus dem Premierencharakter der Sendung, nicht aus dem Ablauf, nicht aus der Dramaturgie, nicht aus dem Gespräch.

„Günther Jauch“ ist gestartet. Die Erde in Deutschland hat nicht gebebt. Aber 5,1 Millionen Zuschauer haben eingeschaltet.

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