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Gutes Fernsehen, schlechtes Fernsehen: Versagen als Programm

"Generation Glotze" zieht das Fernsehen runter – als Zuschauer und als Mitarbeiter. Teil Eins einer Qualitätsdebatte.

Es sind diese Menschen zwischen 26 und 40, vielleicht auch 42. Sie sitzen seit mehr als 20, 30 Jahren vor dem Fernseher fest. Sie sind, eigentlich, Kinder des Privatfernsehens, aber was sie aus sich gemacht haben, dafür kann das Privatfernsehen so wenig wie das öffentlich-rechtliche. Das Fernsehsystem ist nicht entscheidend, entscheidend ist die Attitüde dieser seiner Nutzer vor und hinter dem Bildschirm: Es ist die „Generation Glotze“, die erste in diesem Land, die sich in ihrem Medienverhalten vom bewegten Bunt-Bild hat entscheidend prägen lassen (erst die nachfolgende Generation hat das Internet für sich entdeckt und in Besitz genommen). In der „Generation Glotze“ gibt es ein tief sitzendes, ja psychosoziales Einverständnis mit dem Medium. Nach Hause zu kommen heißt das Licht einschalten, heißt die „Kiste“ anmachen – Männer und Frauen, „born to chill“. Mit diesen TV-Hedonisten – der komplette Gegenentwurf zu den TV-Stalinisten, die pro Woche drei und nur drei Sendungen, darunter den „Tatort“ einschalten – konnte, musste das Fernsehen schlechter werden. Wie gesagt, nicht das Fernsehen, seine Zuschauer wurden es. Genauer: Das Medium wurde als eine anstrengungsfreie Zone arrondiert, in der sich die „Generation Glotze“ als Macher und die „Generation Glotze“ als Zuschauer treffen. Die Konsequenz ertragen muss vordringlich die „Generation Kukident", die vom Medium immer noch mehr Information und Bildung erwartet, mehr Anstrengung erwartet und sich anzustrengen bereit ist als die tonangebende Generation zu produzieren und zu konsumieren bereit ist. „Generation Kukident“ darf weiter fernsehen, wirklich (werbe-)relevant für ARD wie RTL ist aber die jüngere.

„Generation Glotze“ sitzt derart antriebsschwach und früh vergreist auf dem Sofa, dass sie unfähig und unwillig ist, sich um die notwendigen personellen Entsprechungen in den Sendern zu kümmern. Es kann gar nicht anders sein, das Fernsehen, im speziellen das Show- und Unterhaltungsfernsehen, hat ein massives Nachwuchsdefizit.

Erklärt sei das an seinem erfolgreichsten Prototypen, an Jörg Pilawa. Der Moderator ist - wie andere seiner Generation – nach zwei abgebrochenen Studien ins Mediengeschäft reingescheitert. Der Mann mit den sagenhaften Sympathiewerten ist das Symbol der „Generation Glotze“, er ist einer dieser Zuschauer unter den Fernsehmoderatoren. Als Gesichtsvermieter hat er sich ein Charming-Boy-Lächeln zurechtgelegt; so einer war sofort überfordert, als er die „NDR Talk Show“ mit moderieren sollte. Pilawa ist ein – siehe seine tausendundeine Quiz-Sendung – passgenauer Formatvollstrecker. Ein Formatgestalter wie Günther Jauch mit seinem Quiz „Wer wird Millionär?“ ist er nicht. Es ist nur konsequent, dass Jörg Pilawa sich anheischig macht, die ARD-Show „Verstehen Sie Spaß?“ von Frank Elstner zu übernehmen. Auch die „Generation Glotze“ wird älter, und in diesem Prozess setzt sie die Sendungen der Altvorderen fort. Ein bisschen Tempo hier, ein bisschen Umrühren dort, fertig ist das Jörg-Pilawa-versteht-Spaß-Fernsehbreichen. Pilawa ist 43 und will die älteste Showunterhaltung, dieses superspießige Bauerntheater im deutschen Fernsehen moderieren! „Generation Glotze“ geht in den Vorruhestand. Arbeitszeit gleich Altersteilzeit, herrlich.

Diese Gleichzeitigkeit von Präsenz und Abstinenz hat eben jenes sonderbare Phänomen gezeitigt. Die Generation, die fernsehen in ihre Gen-Struktur eingebaut hat, hat als TV-Nachwuchs versagt. Zu dumm? Zu faul? Zu genügsam? Einerlei. Die Folgen sind auf dem Bildschirm sichtbar. Der Mitteldeutsche Rundfunk, nach der Insolvenz der DDR und des angeschlossenen Staatsfernsehens vor gerade mal 16 Jahren auf Sendung gegangen, ist personell so ausgelaugt, dass für die Talkshow „Riverboat“ alle zwei Wochen ein 69-jähriger Ex-ARD-Programmdirektor aus Los Angeles nach Leipzig eingeflogen werden muss. Das Moderatoren-Trio kommt samt und sonders aus dem Westen.

Der MDR bringt keinen Nachwuchs hervor, der Rundfunk Berlin-Brandenburg auch nicht. Es kann an Jörg Thadeusz und seinen stets wechselnden Mit-Moderatorinnen liegen, aber selbst der dritte Versuch, am Freitagabend nicht das „Riverboat“ oder die „NDR Talk Show" übernehmen zu müssen, steht vor dem Scheitern. „Dickes B“ schafft es, wie bei der vergangenen Ausgabe, dass die Talkshow mit 90 000 Zuschauern startet und nach einer Viertelstunde 50 000 davon verloren hat. Das ist Massenpanik. Keiner hält das flüchtende Publikum auf, der Thadeusz nicht, die anderen nicht. In seiner personellen Not greift der RBB auch an anderer Stelle zu einem Gegenmittel, das gerne als „Gesichter-Bildung“ angewandt wird. Viele Sendungen – und ein Gesicht. Astrid Frohloff moderiert die Gesprächssendung „Im Palais“, jetzt kommen „Kontraste“ und „Klartext“ dazu. Die Frohloff kann was, kommt ja nicht aus der „Generation Glotze“. Was „Generation Glotze“ kann? „Zibb“ im RBB-Vorabend kann sie, und damit ist das freundlichste Urteil gefällt.

Bei Radio Bremen sorgen sie sich um die Nachfolge für Amelie Fried, die die Talkshow „3 nach 9“ zugunsten der ZDF-Literatursendung Elke Heidenreich a.D. aufgeben wird. Es ist nicht ausgeschlossen, dass „Feuchtgebiete“-Autorin Charlotte Roche an die Seite von Giovanni di Lorenzo treten wird. Nix dagegen, die Beste an der richtigen Stelle, das muss so sein, nur: Radio Bremen hat ganz und gar niemanden im eigenen Sender. In den Anstalten, egal, ob privat oder öffentlich-rechtlich, herrscht eine derartige Personalnot, dass das Fernsehen zum offenen System wird. Die Alten und die von außen, die haben die größten Chancen, weil „Generation Glotze“ versagt hat. Und die ist nicht mal traurig. Das anstrengungsfreie Dasein hinter dem Bildschirm paart sich mit dem anstrengungsfreien Sosein vor dem Bildschirm. Sie werden es noch büßen müssen, aber das hieße ja schon wieder, sie könnten Schmerz empfinden. Den aber gibt es in ihrem Fernsehverhalten, Fernsehgestalten nicht.

Der Autor ist 51 und schwebt zwischen den Generationen „Glotze“ und „Kukident“. Am kommenden Sonntag antwortet auf diesen Beitrag Matthias Kalle, 33, ein Vertreter eben jener „Generation Glotze“.

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