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Empathisch.  Hans-Dieter Grabe, 2001 bei den Dreharbeiten zu „Ich muss nicht Angst haben vor Bomben“.

© Wikipedia

Hans-Dieter Grabe zum 80. Geburtstag: Lebensvermesser

Trauer und trotziger Durchhaltewillen stets eng beieinander: Der Dokumentarfilmer Hans-Dieter Grabe wird 80.

„Hans-Dieter Grabe – Dokumentarist im Fernsehen“, heißt es auf dem Cover einer DVD-Box mit 13 Filmen des Regisseurs. Ein ungewöhnliches Bekenntnis in einer Zeit, wo deutsche Dokumentarfilme zwar in der Regel vom Fernsehen koproduziert werden, ihr Renommee aber fast ausschließlich aus der letztendlichen Bestimmung für die Kinoleinwand ziehen. Das war nicht immer so. Als Grabe 1962 beim neu gegründeten ZDF anfing, waren Ruf und Praxis des Mediums noch unverbraucht. Und die Tatsache, dass der Filmemacher fast 40 Jahre beim Sender angestellt war, bedeutete neben heute unvorstellbarer Kontinuität in der Produktion auch die Chance zur Realisierung sperriger Projekte.

Am 6. März wird der Mann, der mit seinem NDR-Kollegen Klaus Wildenhahn exemplarisch für fast zwei Generationen westdeutschen Dokumentarfilmschaffens steht, 80 Jahre alt. Zur Ruhe gesetzt hat er sich nicht. Vor erst zwei Jahren stellte er mit dem Kurzporträt „Raimund – ein Jahr davor“ seine bisher letzte ebenso minimalistische wie gewichtige Arbeit vor: Raimund war Grabes Nachbar. Im Film macht er einen Berg Baumstämme zu Kleinholz. Und er stirbt.

Am Sonntag ist „Raimund“ bei 3sat um 10 Uhr 50 Teil eines mit sechs Filmen bestückten Programmschwerpunkts, mit dem das ZDF Grabe würdigt. Es folgt um 11 Uhr 50 mit den „Geschichten vom Essen“ ein Stück von 2008, das mit einigen neu montierten Episoden aus früheren Arbeiten gut als einführender Überblick und vorläufiges Resümee seines Werks taugt.

Besonders prägend die Begegnung mit Vietnam

Mit kulinarischen TV-Nettigkeiten hat der Film aber höchstens als Gegenentwurf zu tun. Es geht, wie so oft bei Grabe, um den Krieg, die Folgen und die Opfer, wie den KZ-Überlebenden Mendel Schainfeld, der sich damit quält, dass er einem Toten ein Stück Brot nahm, um den eigenen Hunger zu stillen.

Zum ersten Mal erzählt Grabe in diesem Film auch von einem eigenen Kindheitserlebnis im Dresdener Feuersturm, das eine biografische Motivation für die sein Schaffen durchziehende Empathie geben mag: ein Mitgefühl und ein Interesse, das oft Jahrzehnte anhält.

Besonders prägend die Begegnung mit Vietnam und dem schwer verletzten Waisen Do Sanh, den Grabe über fast 30 Jahre immer wieder aufsuchte. „Do Sanh – der letzte Film“ (1998, ZDF, Sonntag, 0 Uhr 50) führt diese Geschichten in einer vielfach ausgezeichneten, beeindruckenden Montage noch einmal quer durch die Zeiten zusammen.

Wie oft bei Grabe liegen hier Trauer und trotziger Durchhaltewillen eng beieinander. Eine ganz andere Ambivalenz prägt seinen heute leider aktuellsten Film aus dem deutschen Krieg. „Er nannte sich Hohenstein – Aus dem Tagebuch eines deutschen Amtskommissars im besetzten Polen 1940–42“ (1994, Phoenix, Samstag, 22 Uhr 30) bietet in der klar konstruierten Gegenüberstellung von gesprochenen Tagebuchnotizen und Reisebildern aus dem Nachwende-Polen die rare Gelegenheit, die Entstehung eines „Herrenmenschen“ quasi live mitzuerleben. Ein erhellender Film zur deutschen Täter-Geschichte, der auch und gerade angesichts der neuen Nationalismen Sinne und Verstand schärft.

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