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Weltstadt mit Herz.  Eine Szene aus der 1986 gestarteten TV-Serie „Kir Royal“ mit Franz Xaver Kroetz (als Reporter Baby Schimmerlos) und Senta Berger (als Mona). Regisseur Helmut Dietl nahm damit auch das Boulevardblatt „AZ“ und das Münchner Lebensgefühl aufs Korn.

© picture alliance / dpa

Harald Martenstein über die "Abendzeitung": Sättigungsbeilage

Der Niedergang der Münchner „Abendzeitung“ hängt mit einem Dilemma zusammen. Harald Martenstein erklärt die Pleite.

So etwas wie die „Abendzeitung“ gab es natürlich nur ein Mal in Deutschland: eine Boulevardzeitung, die politisch eher linksliberal gestrickt ist, noch dazu mit einem großen, in der Stadt respektierten Feuilleton. Dessen Aushängeschild war jahrzehntelang die Fernsehkritikerin. Ponkie galt in München als das Gegenstück zu Marcel Reich-Ranicki, nur halt fürs Fernsehen.

München ist wirklich Dorf geblieben

Das eigentliche Herz der Abendzeitung aber ist natürlich der Klatsch gewesen, so, wie es der Regisseur Helmut Dietl in seiner Fernsehserie „Kir Royal“ beschrieben hat. Prominente sind im kleinen München viel, viel wichtiger als in dem großen, schnell gelangweilten Berlin. München ist wirklich Dorf geblieben, mit allen Licht- und Schattenseiten. Die legendären Klatschreporter, Michael Graeter, später Marie Waldburg, die jetzt bei der „Bunten“ ist, haben zur Auflage sicher mehr beigetragen als jede noch so gut geschriebene Theaterkritik und jeder linksliberale Kommentar.

Verrisse waren sowieso schwierig. Die Verlegerin Anneliese Friedmann liebte es, ihr glänzendes München in glanzvollen Partys um sich zu versammeln. Sie war mit allen befreundet, und wenn einer ihrer Freunde über einen Artikel verärgert war und morgens zum Telefon griff, dann hatte der verantwortliche Redakteur anschließend keinen schönen Tag. Lieb musste man schon sein.

Die "tz" ist dagegen ein echtes Revolverblatt

Die Münchner mochten ihre „Abendzeitung“, aber viele von ihnen kauften sie trotzdem nur als Zweitblatt. Die „AZ“ belieferte sie mit dem Münchengefühl, für Informationen und Analysen und alles über die Welt außerhalb von München ist die „Süddeutsche“ natürlich die bessere Adresse gewesen. Die „AZ“ war das, was man im Wirtshaus schnell durchblätterte, während man auf die Schweinshaxe wartete.

Gleichzeitig gab es die zweite, viel knalligere Boulevardzeitung „tz“, ein, mit allem Respekt, echtes Revolverblatt. Der lange, allmähliche Niedergang der „Abendzeitung“, in dessen Verlauf ich einmal für ungefähr ein Jahr sein Feuilletonchef sein durfte, hängt mit diesem Dilemma zusammen. Man war nicht so robust bei der Bedienung der Publikumsinstinkte wie die „tz“, und man war, trotz aller Bemühungen, keine echte Konkurrenz für die „Süddeutsche“. Man war eben nur die Sättigungsbeilage.

In den 1990ern gab es die Idee, aus der „Abendzeitung“ eine Art „Tageszeitung“ des Südens zu machen – frech, links, angriffslustig, selbstironisch, respektlos. Dieses Konzept stieß in einer so liebesbedürftigen Stadt wie München schnell an seine Grenzen. Zuletzt schrieb der alte Michael Graeter wieder für das Blatt. Aber seit die Münchner Society immer mehr Zeit in Berlin verbringt, sind die Münchner Klatschreporter nicht mehr das, was sie mal waren. Was auch immer man sich als Rezept gegen die Krise einfallen ließ, alles stand unter der Prämisse, dass Geld einfach nicht mehr vorhanden war. So glich die „Abendzeitung“ in ihrer späten Phase einem Schiff mit klemmendem Ruder. Man kann nicht mehr umsteuern, obwohl die Besatzung genau weiß, dass der Kurs auf eine Sandbank führt.

- Harald Martenstein war Feuilletonchef der „AZ“

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