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Herausforderung: Auf der Achterbahn

Thomas Gottschalk zeichnet „Menschen 2010“ auf. Erst allmählich entspannt sich der Moderator.

„Schauen Sie Delling an, nicht mich!“, flachste Thomas Gottschalk Günter Netzer an, als dieser von seinem Ruhestand als Fußballkommentator erzählte. Oliver Kahn dagegen bescheinigte Gottschalk: „Ich hätte früher nie gedacht, dass du solche langen Sätze sagen kannst.“ Nach gut drei Stunden unter dem künstlichen Sternenzelt des Bavaria-Filmstudios Nummer 9 in München hatte sich Deutschlands Familienmoderator Nummer eins sichtlich entspannt. Alles verlief nach Plan, nur Michael Schumacher war in der Schweiz eingeschneit. Gottschalk, der dem Anlass angemessen einen dezenten grauen Anzug mit Weste trug, war rein äußerlich sechs Tage nach dem tragischen Unfall bei seiner „Wetten, dass...?“-Show fast wieder der Alte. In sehr niedergedrückter Stimmung habe er in Düsseldorf die Spielfläche verlassen, sagte er bei der Anmoderation fürs Studiopublikum.

Um eine „journalistisch aufbereitete“ Jahresrückschau sollte es also gehen, mit nur wenigen musikalischen Einlagen und umso mehr Rückblicken auf Natur- und andere Katastrophen von Haiti über den Golf von Mexiko bis zur Duisburger Love Parade. Das Gespräch mit NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und zwei Augenzeugen der Love Parade über das „Unglück vor der eigenen Haustür“ geriet zum eindrücklichsten des Abends: „Man beginnt etwas mit einer ungeheuren Freude und begreift nicht, dass es so gekommen ist“, meinte Thomas Gottschalk vielsagend.

Immer wieder verwendete er das Bild von der Achterbahn. Das Fahrgeschäft wurde zur prägenden Metapher: die Bewegung von oben nach unten, der sekundenschnelle Umschlag von Spaß in bitteren Ernst. Gerade für solche Allgemeinplätze scheint Fernsehdeutschland den in die Jahre gekommenen Gottschalk unverbrüchlich zu lieben. Eine Woge von Sympathie und Verständnis trug den 60-jährigen „Thommy“, der dieses Jahr Großvater wurde, durch die Aufzeichnung. Keck fragte er die gleichaltrige Iris Berben, ob denn die Stilettos, auf denen sie zur Sitzlandschaft stolzierte, begleitet vom wie immer blendend aussehenden 80-jährigen Mario Adorf, für ihr Alter nicht zu hoch seien: „Das Sicherheitsmodell ist das nicht!“ Adorf sagte im Rückblick auf seine Jahre in Rom: „Ich empfinde Wehmut für Italien. Die Italiener haben sich leider verändert, ich nicht.“ Bravo-Rufe allerdings erntete nur der erste Studiogast Karl-Theodor zu Guttenberg, für den der Auftritt im großbürgerlichen Grünwald ein Heimspiel war. Auch der Bundesverteidigungsminister sprach viel von Demut und Bodenhaftung und davon, wie schnell eine (politische) Karriere vorbei sein könne.

Das Publikum war erleichtert, nach dem Schock seinen Lieblingsmoderator wieder zur gewohnten Form zurückfinden zu sehen. „Hast du doch ein bisschen Angst vor ihr?“, fragte Gottschalk den bedenklich infantilisierten Comedian Michael Mittermeier („Achtung Baby!“), als er ihn neben die leicht enerviert wirkende Alice Schwarzer platzierte.

Noch vor der Aufzeichnung hatte Thomas Gottschalk ein zwölfminütiges Gespräch mit dem Vater des verunglückten Samuel Koch geführt, nicht als recherchierender Journalist, sondern als Betroffener, wie er betonte. Es wird erst heute Abend in der Sendung ausgestrahlt – vorausgesetzt, Gottschalks Gesprächspartner stimmt zu.Katrin Hillgruber

„Menschen 2010“, ZDF, 20 Uhr 15

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