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Medien: Herz, Schmerz, Kommerz

Immer, wenn Rosamunde-Pilcher-Filme laufen, ist die Welt in Ordnung. Romantisch, schön und heil. Nicht nur im britischen Cornwall. Rund acht Millionen Zuschauer wollen jedes Mal wissen, warum unglückliche Frauen von Klippen blicken – und nehmen Ungereimtes in Kauf

Bislang ließen die Deutschen ihr Wochenende am liebsten mit Gewalt ausklingen. Mit dem „Tatort“. Zuletzt zeigte sich das Land jedoch sonntags häufiger von seiner romantischen Seite, wie im Januar, als sieben Millionen Zuschauer Rosamunde Pilchers „Sternschnuppen im August“ sahen. „Mutter Romantik“ („Bild“) hatte den Krimi geschlagen. War das die Flucht eines beunruhigten Volkes in die schöne, heile Welt? Kitsch statt Krieg also?

Man darf sich über das literarische Werk der 79-Jährigen keine Illusionen machen: Es ist erbarmungslos klischeebeladen, kann sich erzählerisch aber durchaus mit einem John Grisham messen. Wie Grisham ist die in Schottland lebende Autorin der „Muschelsucher“ ein Star der Trivialliteratur. Thomas Manns „Tod in Venedig“ brauchte Lucchino Viscontis Verfilmung, um seine Verkaufszahl zu verdreifachen. Bei Pilcher, sagt die Verlagssprecherin, merke man die Filme kaum. Eine Pilcher braucht das offensichtlich nicht: 1990 erschien ihr erster Roman in Deutschland, seitdem hat sie hier fast drei Millionen Bücher verkauft. 43 Pilcher-Filme hat das ZDF seit 1993 ausgestrahlt, erst die Romane, und weil die Quoten so großartig waren, die Kurzgeschichten. Der heute ausgestrahlte Film „Rosamunde Pilcher - Flammen der Liebe“ basiert auf einer unveröffentlichten Geschichte.

Filmgeschichte ist immer auch Literaturgeschichte: Drei Viertel aller Filme, die einen Oscar gewonnen haben, basieren auf einer literarischen Vorlage. Aus manchen wurde ein guter Film, „Tod in Venedig“ etwa, oder Andrej Tarkowskijs „Solaris“, andere wie „Der große Gatsby“ blieben eher hinter dem Original zurück. Die englischen E.M.Forster- Verfilmungen („Zimmer mit Aussicht“) sind berühmt, und auch die BBC hat sich immer wieder mit ausgezeichneten Literaturverfilmungen hervorgetan, nicht zuletzt mit Evelyn Waughs „Wiedersehen mit Brideshead“.

Doch die Beziehung ist schwierig, das wusste schon Ingmar Bergman: „Film hat nichts mit Literatur zu tun. Wir sollten vermeiden, aus Büchern Filme zu machen.“ Doch gerade weil Pilcher so wenig mit Literatur zu tun hat, eignen sich ihre Liebesgeschichten, die Gefühle wecken wollen, nicht Gedanken, ideal als Filmvorlage. Unterhaltungsliteratur, mit ihrer chronologischen Struktur, Dialoglastigkeit und holzschnittartigen Charakterisierungen, ist nah am Film. Zudem findet bei Rosamunde Pilcher die Welt vor der Tür statt, viel im eigenen Garten, noch mehr am Strand von Cornwall. Was die Romantiker vom Theater erhofften, das Naturnahe auf die Bühne bringen zu können, kann mit diesem romantischen Material leicht im Fernsehen erreicht werden: kleines Mädchen spielt mit Baby-Schaf, unglückliche Frau blickt von der Klippe. Das Leben wird zum Stilleben. Seelen sind zum Lieben dar; der Rest ist schöner Körper in schöner Natur. Und doch verflacht auch eine Rosamunde Pilcher im neuen Medium. Die Handlung ist vorhersehbar. Zu Beginn von „Die Rose von Kerrymore“ trifft die Fotografin Sally Wood drei Mal auf den Kinderarzt Tom Winter, drei Mal geraten sie sich wegen Kleinigkeiten in die Haare. Die erotische Spannung, in einer Erzählung über Seiten aufgebaut, wird mit der Brechstange in die ersten zehn Minuten gedrängt; dass sie sich am Schluss küssen werden, wird überdeutlich. Mehr ist nicht drin. Die Verfilmungen sind, hier dem Original treu, eher prüde.

Auch dass Lord Kerrymore seinen Landsitz schließlich der jungen Sally vermacht, die er erst wenige Wochen vor seinem Tod kennengelernt hat, ist natürlich vollkommen unrealistisch, folgt aber der Pilcher-Logik: Die Alten führen die Jungen zu ihrem Glück, die Guten werden belohnt, oft durch ein großzügiges Erbe. Die ursprüngliche Erbin, schön, aber schäbig, wollte aus dem Landhaus ein Golfhotel machen und geht deshalb leer aus.

In den Filmlexika werden diese Verfilmungen nicht landen, aber wer fragt danach, bei einem nicht aufwändig produzierten Quotenstar. Auch die Autorin ist offenbar zufrieden. „Ich mische mich in die Adaptionen nicht ein – das ist nicht mein Job“, hat sie gesagt. Darum kümmert sich das ZDF: „Wir setzen einen Autor oder eine Autorin dran, die machen aus den Geschichten ein Drehbuch“, erklärt Andrea Klingenschmidt von der Hauptredaktion Unterhaltung. „Frau Pilcher ist immer informiert, sie kriegt die Kassetten, wenn etwas abgedreht ist.“ Im letzten Jahr wurden fünf Geschichten abgefilmt, in diesem Jahr folgen weitere fünf. Nach dem bewährten Rezept: „Schöne Landschaften, schöne Liebesgeschichte, gute Schauspieler.“ Pilcher ist eine TV-Marke geworden.

„Ganz sicher gibt es das Großbritannien und die Menschentypen, die Rosamunde Pilcher in ihren Büchern darstellt“, sagt Paul Lever, der britische Botschafter in Deutschland. „Natürlich ist es in Cornwall so kitschig schön“, sagt die Kulturreferentin des Britisch Council, „aber auch dort gibt es Probleme“. Das Pilcher-Bild von England sei eines, „mit dem wir uns nur am Rande beschäftigen“. Ganz anders die British Tourist Authority, die auf Deutsch eine Broschüre zur Urlaubsgestaltung anbietet. Titel: „Auf den Spuren der Rosamunde Pilcher“. So greift, dank des Fernsehens, die Fiktion in die Realität ein.

Jenny Jürgens spielt in „Die Rose von Kerrymore“ die Erbin des prächtigen Landsitzes. In Wahrheit fungiert sie jedoch als Erbin von Blacky Fuchsberger, der einst als Inspektor Higgins in London Jagd auf Klaus Kinski machte. Die deutschen Edgar-Wallace-Verfilmungen, eine großartige Verschmelzung von Trash, Stars und Landeskunde, können als die stilistischen Vorläufer der Pilcher- Serie gelten. Aus dem „Hexer“ ist „Wilder Thymian“ geworden, aus Verbrechen Liebe, doch an der Absurdität, dass Manfred Zapatka einen englischen Mode-Magnaten gibt oder Dietmar Schönherr als Lord Rosen schneidet, hat sich nichts geändert. Als der deutsche Darsteller in „Bis ans Ende der Welt“ einen Cricketball werfen soll, wird mitten im ungeschickten Anlauf geschnitten. Man spricht eben deutsch an der Küste von Dorset. Das pseudo-authentische England, in dem bisweilen auch Uschi Glas und Klausjürgen Wussow leben, wird im dortigen Fernsehen gar nicht erst gezeigt.

Ist das Kult, liebevolle Ironie, ernsthafter Kitsch, Spaß? Merkwürdig kann dieses kulturelle Cross-over nur finden, wer die tiefe, durch Enid Blyton in allen Kinderköpfen verankerte England-Sehnsucht der Deutschen nicht kennt. Wie so oft ist auch dies eine Suche nach der eigenen Identität: Als ihm seine Großmutter 1889 eine englische Admiralsuniform verleiht, ist Kaiser Wilhelm außer sich vor Freude. So ausstaffiert nimmt er auf der Insel Wright, nahe dem pilcherischen Kernland, eine Parade ab. Als er den Hosenbandorden erhält, schreibt er an seine Großmutter: „Ja, an diesem Tag fühle ich mich ganz als Engländer. Und ich bin froh, sagen zu können: Ich bin auch Brite!“

Der Kaiser würde sich, wie so viele seiner Landsleute, sonntags vermutlich auch gegen den „Tatort“ entscheiden.

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