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Medien: Hinter den Zahlen

Axel Prahl in „Der Grenzer und das Mädchen“ - der passende Film zum Visa-Untersuchungsausschuss

Die junge Ukrainerin Lippa bringt Menschen über die grüne Grenze, von der Ukraine nach Polen in Richtung Westen, illegal. Müller ist ein deutscher Polizeibeamter, der seinen polnischen Kollegen helfen soll, gerade dies zu verhindern. Doch im polnisch-ukrainischen Grenzgebiet gelten eigene „Spielregeln“, Müller wird vom Jäger zum Gejagten. Eine Liebesgeschichte entwickelt sich zwischen Müller und Lippa, so ungleich sie sind. Eine schüchterne Zärtlichkeit. Plötzlich ist nicht mehr klar, wer hier wem hilft. Durch Lippa lernt Müller wieder, zu lachen. Wenigstens ein bisschen, und das ist schon viel.

Hartmut Schoens Film „Der Grenzer und das Mädchen“ erzählt, wie Menschen über Grenzen gehen. Lippa (Margarita Breitkreiz) kennt die ukrainisch-polnische Grenzregion, sie überquert sie fast spielerisch, und weiß doch, dass sie auf der anderen Seite ohne „Papiere“ keine Chance hat. Hans-Werner Müller (Axel Prahl) ist als Polizist ein Grenz-Experte und doch in seiner ganzen Art „begrenzt“: Schüchtern, einsam, kaum in der Lage, zu sagen, was er will. Wie die spontane, emotionale Lippa und der verunsicherte Müller aufeinander zugehen, erzählt Regisseur Hartmut Schoen spannend und anrührend.

Das Thema des Wechsels von Ost nach West ist in diesen Tagen höchst aktuell. Die Diskussion über den angeblichen massenhaften „Visa-Missbrauch“ durch Menschen aus der Ukraine beherrscht die Schlagzeilen. Schoen ist allerdings Filmemacher, kein Journalist, und deshalb erzählt er uns eine Geschichte, die die Problematik der illegalen Einwanderung nur als Hintergrund nimmt.

Mit Axel Prahl als Darsteller des Polizisten Müller hat Schoen einen der derzeit interessantesten deutschen Schauspieler gewonnen. Prahl spielt Müller als einen verheirateten Mittfünfziger, der es allen recht machen will. Nur folgerichtig, dass seine Frau Claudia ihn verlässt: er sei halt immer so verständnisvoll gewesen, klagt sie, „immer lieb, lieb, lieb!“ Aus dem Gefängnis des Nettseins will sie ausbrechen. Gerade dann, wenn ihm sein bescheidenes Glück wegbricht, besteht Müller auf Regeln, Gesetzen, die einzuhalten sind. Doch auch diese Orientierung geht verloren, als Müller Lippa näher kennen lernt.

Margarita Breitkreiz ist Studentin an der Berliner Schauspielschule „Ernst Busch“. Vor Jahren kam sie als „Russlanddeutsche“ aus Sibirien, bringt also auch eigene Erfahrungen in ihre erste TV-Hauptrolle ein. Lippa ist schlacksig, größer als Müller, sie ist verspielt und rotzig, romantisch und misstrauisch. Lippa macht Müller schöne Augen, aber sie haut ihm auch eine runter, wenn Müller in Panik gerät. Ihr ist das Gesetz egal. Sie und ihre Landsleute: „Die haben doch das Recht, dass sie ein gutes Leben haben dürfen?“ Wenn man so ein Recht hat, dann darf man auch über die Grenze – so einfach ist Lippas Logik.

Eine Lösung des Konflikts auf gesellschaftlicher Ebene kann Schoen nicht anbieten, das ist auch nicht die Aufgabe eines Spielfilms. Schoen geht es darum, „dass man die Menschen, die da legal oder illegal zu uns kommen, nicht nur als Zahlen sieht, die in den Statistiken auftauchen. Dass es sich um Menschen handelt, die eine Seele haben, eine besondere Biographie, Würde – und sehr viel Hoffnung und Tatkraft.“

Von einer einseitigen Schilderung von „guten“ und „bösen“ Menschen ist Schoens Film weit entfernt. „Der Grenzer und das Mädchen“ bezieht ein gut Teil seiner Spannung daraus, dass er weitgehend offen lässt, warum hier welches Spiel gespielt wird. Lippa bietet dem Grenzer zunächst schlicht ein Geschäft an – in einer Situation, in der er nicht ablehnen kann. Später sagt sie, was sie wirklich will: Er soll sie mit nach Deutschland nehmen. Dass sie mit ihm lacht, ihn umarmt, sich unverhohlen anbietet, ist zunächst nur Strategie. Ob ihre Blicke, ihre aufmerksame Art auch später noch kühler Taktik entsprechen – wir möchten es nicht glauben. Und Müller, der so lange gehemmt Wirkende, er taut langsam auf, er träumt sogar, bescheidene Träume: Mit Lippa ins Kino gehen, Popcorn essen. Er lacht, er tanzt mit Lippa, auf dem Autobahn-Parkplatz in der Nacht, und hinter ihnen rasen die LKWs vorbei.

Hartmut Schoen, früher als Dokumentarfilmer, dann auch mit Spielfilmen im Fernsehen erfolgreich, ist ein überzeugender Film gelungen, der in seiner Spannung bis zum Schluss nicht nachlässt. Dabei setzt Schoen nicht vorrangig auf die „action“ spektakulärer Fluchtszenen. Schoens Blick auf Menschen an der Grenze verweist auch auf uns, die wir das Glück haben, dort zu leben, wo andere erst hinwollen. Beste Unterhaltung, provoziert Schoen doch auch einige Fragen, die im Kopf bleiben. Was wollen wir vom Leben? So formuliert, klingt es gleich wieder pathetisch. Schoen fragt es eben anders, wirkungsvoller. Durch seinen Film.

„Der Grenzer und das Mädchen“, ARD, Mittwoch, 20 Uhr 15

Eckart Lottmann

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