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History-TV: „Petja, drück nicht ab“

Arte erinnert mit einer Dokumentation an die Panzerkonfrontation am Checkpoint Charlie von Oktober 1961.

Klavdija Mika ist eine Rentnerin aus Dnjepropetrowsk in der Ukraine, eine einfache, offenbar nicht gerade wohlhabende Frau. 1961 lebte sie in Berlin, mit den Kindern und ihrem Mann Vasily, dem Kommandeur eines Panzerbataillons der Roten Armee. Als der am 27. Oktober die Panzer am Checkpoint Charlie auffahren ließ, hätten die Menschen freundlich reagiert und den Fahrern Blumen, Tee und Kaffee gebracht, sagt sie in der Dokumentation „... Sekunden vor einem neuen Krieg“. Doch zugleich hätten die Berliner die Soldaten gebeten, dass es keinen Krieg geben möge. Sie sagten: „Petja, drück nicht ab.“ Vermutlich weiß Klavdija Mika das aus den Berichten ihres Mannes, der vor einigen Jahren gestorben ist. Im Schrank hängt noch seine ordensgeschmückte Uniform, sie ist Klavdijas ganzer Stolz. Sie selbst war im Oktober 1961 ebenfalls in Sorge. Die Kinder des Panzerkommandeurs schliefen in ihrer Kleidung, und Klavdija packte schon mal die Koffer – falls die Familie bei Ausbruch des Krieges flüchten müsste.

Die Muskelspiele im Kalten Krieg zwischen Ost und West waren bis dahin – die Kuba-Krise folgte erst ein Jahr später – noch nie so gefährlich wie an diesem 27. Oktober 1961 in der Friedrichstraße in Berlin-Kreuzberg. Wenige Wochen nach Beginn des Mauerbaus hatten DDRGrenzpolizisten begonnen, amerikanische Diplomaten und Militärs am Checkpoint Charlie zu kontrollieren – dabei war der Besatzungsmacht USA der freie Zutritt auch des Ostteils der Stadt garantiert. Vor zahlreichen Schaulustigen, wie die Bilder belegen, schaukelte sich das offene Ringen um den Status der Stadt hoch. Erst schickten die Amerikaner Panzer an die Grenze, schließlich auch die Sowjets: Was wäre geschehen, wenn ein einzelner, nervös gewordener Soldat losgefeuert hätte?

Dass sich daraus ein nuklearer Konflikt hätte entwickeln können, „war absolut in allen Köpfen“, erinnert sich John Nix, damals Leutnant der US-Infanterie. Für die im Film interviewten amerikanischen Ex-Soldaten ist die Konfrontation im Oktober 1961 Teil einer ganz persönlichen Heldengeschichte und ein Höhepunkt ihres Lebens. Daniel Southard, damals Sanitäter, salutiert für die Kamera mit Militärjacke am Grab des früheren Präsidenten John F. Kennedy in Arlington. Eine Schulklasse lässt sich mit dem Veteran fotografieren und bedankt sich persönlich für dessen Einsatz vor 50 Jahren in Deutschland. Die Nachkriegszeit in Berlin gilt offenbar als ein Militäreinsatz, auf den man noch stolz sein darf.

Die Frankfurter Dokumentarfilmer Wolfgang Schoen und Frank Gutermuth, die zuletzt für ARD und Arte den Zweiteiler „Hitlers Polizei“ gedreht hatten, halten sich in ihrem Film an die mehr oder weniger direkt Beteiligten. Es galt offenbar die Devise, die Ereignisse im Oktober 1961 aus beiden Perspektiven – Ost und West – möglichst hautnah zu schildern. So kommt auch der ehemalige DDR-Grenzpolizist Heinz Schäfer zu Wort, der damals einen US-Panzer wieder zurücksetzen ließ, weil der zu weit über den weißen Strich gefahren war. Aber die politische Ebene bleibt ausgespart: Zwar werden Vorgeschichte und Zusammenhänge mithilfe des Historikers Florian Weiss auch für ein wenig vorgebildetes Publikum nachvollziehbar erläutert. Aber wer da mit wem im Hintergrund verhandelte, wer die Befehle erteilte und dafür sorgte, dass der Spuk am 28. Oktober scheinbar unvermittelt wieder vorbei war, bleibt im Dunkeln.

„... Sekunden vor einem neuen Krieg“; Arte, 20 Uhr 15

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