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Medien: Hörsturz

Die Hälfte ihrer Auflage hat sie verloren. Mit Reportagen und Rezepten will die „Hörzu“ nun neue Leser gewinnen

Die „Hörzu“ verkauft jede Woche 1,8 Millionen Exemplare. Das ist annähernd so viel, wie „Stern“ und „Focus“ zusammen verkaufen. Eine gigantisch hohe Auflage. Und doch erschreckend gering, bedenkt man, dass die „Hörzu“ vor zwanzig Jahren noch 3,7 Millionen Exemplare verkaufte – das war mehr als das Doppelte.

Hamburg, Donnerstagmorgen, zehn Uhr. Bei der „Hörzu“ ist Ressortleiterkonferenz. Morgen ist Schlusstag. Das Heft, das in zwei Wochen erscheint, ist weitgehend fertig. Aber auch die Themen der nächsten, übernächsten und überübernächsten Ausgaben werden schon besprochen. Die Formel 1 beginnt wieder, dafür gibt es eine Doppelseite. Ein Streitgespräch über Qualitätsfernsehen ist noch im Stehsatz. Bei den Rezepten gab es in den vergangenen Wochen genug Fleischiges, sagt die zuständige Redakteurin. Jetzt ist mal „Erbsensuppe mit Minze“ dran. „Gibt es eine Renaissance des Cowboyfilms?“, fragt der Chefredakteur in die Runde. Die kommt nach ein paar Minuten Diskussion zum Schluss: Nee, nicht wirklich. Aber einen Niedergang der Institution „Tagesschau“ könnte man feststellen, sagt einer und zeigt auf seinen mitgebrachten Zettel mit den Quoten drauf. Warum schauen so viele „RTL aktuell“ und „heute“ beim ZDF, wieso sind es immer die „Tagesschau“-Sprecher, die „Bild“-Schlagzeilen füllen, und ist das vielleicht der Grund dafür, wenn immer mehr Zuschauer die „Tagesschau“ nicht mehr einschalten? Für den Artikel über Osteoporose ist kaum Platz, also wird es jetzt darin nur noch um den Ernährungsaspekt gehen. Dafür kriegt die Rückengeschichte vier Seiten.

An der Wand des Konferenzzimmers hängen die Titelbilder des vergangenen Jahres. Chefredakteur Thomas Garms zeigt auf eines vom August 2003 – das erste, das er produziert hat. Seitdem sind die Cover der „Hörzu“ viel mehr von Sachthemen geprägt. „Die ,Hörzu’ entwickelt sich zu einer aktuellen Illustrierten mit Schwerpunkt Fernsehen“, sagt Garms. „Die Rentengeschichte zum Beispiel“, fügt er hinzu, „war keinen Deut schlechter als die vom ,Stern’.“

Jede „Hörzu“ scheint gleich strukturiert. Auf dem Titel ist meist ein Star aus Film und Fernsehen, daneben werden drei Themen aus dem Heft angekündigt: ein Reise-, ein Geld- und ein Gesundheitsthema. „Dass die ,Hörzu’ eine Fernsehzeitschrift ist, wissen die Leute. Also geht es bei der Titelgestaltung darum zu zeigen, was die ,Hörzu’ diese Woche obendrein noch zu bieten hat“, erklärt Garms.

Betrachtet man die Kurve, die zeigt, wie sich jede einzelne Ausgabe der „Hörzu“ am Kiosk verkauft, erkennt man eine Zickzack-Bewegung. Immer wenn die 14-täglichen Programmtitel „TV Spielfilm“, „TV Movie“ oder „TV 14“ erscheinen, ist die Kioskauflage der „Hörzu“ gering. In den Wochen, in denen keine der 14-Täglichen erscheint, verkauft sich die „Hörzu“ besser.

Mehr als zwei Dutzend Fernsehzeitschriften erscheinen in Deutschland. Vor allem von 1991 an – das Privatfernsehen war gerade sechs Jahre alt geworden – erlebte dieses Genre einen Boom durch die Geburt der 14-täglichen Programmtitel. Alle großen Verlage brachten einen heraus – nur Springer nicht. Denn Springer wollte seine große, gute, alte „Hörzu“ nicht schädigen. 1946, im Gründungsjahr des Verlags, erschien sie zum ersten Mal. Drei Jahre später bekam sie als Maskottchen die Igel-Puppe „Mecki“ zur Seite gestellt. Dieses Sinnbild der Biederkeit wollte einer von Garms Vorgängern einmal abschaffen. Es hagelte Leserproteste. Der sakrosankte Mecki-Comic, der auf eine halbe Seite gedrängt war, hat unter Garms wieder Raum auf einer ganzen Seite gefunden, die Zeichnungen fallen aufwendiger aus als früher. Wenn schon, denn schon, mag sich der Chefredakteur gedacht haben.

Ja, der „Hörzu“-Leser ist mit 51 Jahren nicht der Jüngste. Ja, die „Hörzu“ hat ein altbackenes Image, weil schon die Oma sie gelesen hat. Ja, in den vergangenen Jahren schlingerte die „Hörzu“ konzeptionell stark. Ja, die Auflage sinkt. „Die Auflage der ,Hörzu’ wird auch weiter sinken. Diese Entwicklung ist in einem insgesamt rückläufigen Markt nicht zu stoppen. Mein Ziel ist es, den Rückgang abzubremsen“, sagt Thomas Garms. Viele zappen sich so durchs Programm und kaufen gar keine Fernsehzeitschrift mehr, viele nutzen nur das Programm aus den Tageszeitungen oder Supplements wie „rtv“ und „Prisma“. Da ist es für Garms eine positive Nachricht, dass im vierten Quartal 2003 alle 25 Programmzeitschriften im Durchschnitt 4,8 Prozent an Auflage verloren haben, die mit 1 Euro 40 vergleichsweise teure „Hörzu“ aber nur 3,4 Prozent.

Im August 2003 wurde der 45-Jährige zum „Hörzu“-Chef berufen, ein halbes Jahr lang hatte er die kuriose Aufgabe, sowohl seinen alten Job als Chefredakteur der „Welt am Sonntag“ in Berlin weiterzuführen als auch an der Spitze der 52-köpfigen „Hörzu“-Redaktion in Hamburg zu stehen. Vorgänger Jörg Walberer war mit seinen journalistischen Fehlgriffen und seinem Hang zu aktualitätsfreier Prosa für den Verlag untragbar geworden. Einmal produzierte Walberer eine „Hörzu“-Ausgabe mit einer riesigen roten Rose auf dem Titel inklusive dazu gehörendem, mehrseitigem Besinnungsaufsatz. Aus welchem Anlass, weiß niemand so genau. Eines muss man Walberer lassen: Gerade die älteren Leser liebten ihn für seine besinnliche Prosa und den regen Briefverkehr, in dem er sich mit Lesern gern persönlich austauschte.

Für die „Hörzu“ wäre es der falsche Weg, mit den Lesern zu altern, denn das hieße, mit ihnen zu sterben. Also sieht Garms es als seine Aufgabe an, nachkommende Leser für die „Hörzu“ zu gewinnen. Zum Beispiel die der 14-täglichen Zeitschriften, die sich irgendwann satt gesehen haben an den Frauen, die in jeder Ausgabe vom Cover lächeln – der Hintergrund stets blau, die Arme stets vor dem üppigen Busen verschränkt.

Garms will wieder recherchierte, relevante Geschichten im Blatt haben, sagt er. Und er will an die Zeit anknüpfen, als Andreas Petzold Chefredakteur der „Hörzu“ war. Heute ist er an der Spitze des „Stern“. „Petzold hatte das richtige Konzept“, sagt Garms und meint damit das, was Springer die „winning generation“ nennt: Das sind jene nicht mehr wirklich jungen Menschen, die eine Familie gegründet haben, in der sich die Mutter für die Erbsensuppe mit Minze und die Osteoporose interessiert, der Vater für die Artikel zum Rückenleiden und die Finanzierungstipps beim Hausbau und das Kind für den Mecki-Comic. Entsprechend wichtig ist Garms die „Hörzu“-Aktion „Schau hin!“, bei der Eltern Informationen für verantwortungsbewussten Umgang mit elektronischen Medien im Familienkreis finden. „Hörzu“-Leser sind Bildungsbürger, das spiegelt sich im Blatt. Es beginnt damit, dass sie sich als eine der ganz wenigen TV-Zeitschriften den teuren Luxus eines Radioprogramms leistet und endet mit „Original und Fälschung“, dem „Hörzu“- Klassiker unter den Ratespielen. Jede Woche bekommt der Leser ein Kunstwerk zu sehen, in das Fehler eingebaut sind. Daneben gibt es kunsthistorische Infos, darunter steht der Hinweis, in welcher Ausstellung das Kunstwerk gerade zu sehen ist. Auch dies ist ein sakrosanktes Element, ähnlich wie der „Mecki“.

Aber Dinge ändern, Altes abschaffen, Neues schaffen, das will Garms durchaus. Es gibt jetzt zum Beispiel eine Vater-Kolumne, das wöchentliche Foto eines x-beliebigen niedlichen Tieres weicht einer üppig bebilderten Tier-Reportage mit Verweis auf eine entsprechende Sendung. Jede Woche wird es eine ganzseitige aufwendige Infografik geben, und es passiert sogar, dass Garms ein Foto aus der Edel-Design-Zeitschrift „Wallpaper“ für die „Hörzu“ haben möchte. Wie damals, als er das Männermagazin „Men’s Health“ erfand, geht er auch bei der Umgestaltung der „Hörzu“ äußerst rational und systematisch vor: Konkurrenzbeobachtung, Marktforschung – Garms ist keiner, der aus dem Bauch heraus arbeitet. So tüftelt er in seinem Büro im dritten Stock des Hamburger Zeitschriftenhauses von Springer – immer im Blick von Axel Cäsar Springer, dessen Porträt rechts von Garms’ Bürotür hängt.

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