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© Ausriss »Stern«, Nr. 9/2009, Repro: Tsp

HORCH-UND-GUCK-PRESSE: "Neue Qualität von Verrohung"

Medienanwalt Schertz zur "Bunte"-Recherche im Privatleben von Politikern.

Herr Schertz, der „Stern“ berichtet in seiner aktuellen Ausgabe, die „Bunte“ hätte das Privatleben der Politiker Lafontaine, Seehofer und Müntefering mit fragwürdigen Methoden ausspionieren lassen. Teilen Sie nach Lektüre diesen Eindruck?



Die „Bunte“ bestreitet zwar den Auftrag an die Agentur CMK nicht, bestreitet jedoch, von den konkreten Methoden Kenntnis gehabt zu haben. Unabhängig von der Frage, wie glaubwürdig diese Einlassung von „Bunte“ ist, gilt: Sollten die im „Stern“ beschriebenen Methoden der Wahrheit entsprechen, sollte also systematisch versucht worden sein, Politiker auch mit technischen Hilfsmitteln zu beschatten, wäre dies eine neue Qualität der Verrohung von Boulevardjournalismus in Deutschland. Mindestens seit der Caroline-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte steht fest, dass die Privatsphäre grundsätzlich tabu ist. Auch Politiker müssen es nicht dulden, dass über ihre privaten Beziehungen berichtet wird, es sei denn, sie haben diese zuvor vermarktet. Das Auflauern und Beschatten von Prominenten, um Informationen über eine rein private Liebesbeziehung zu erhalten, ist durch keinerlei Informationsinteresse der Öffentlichkeit gerechtfertigt. Die Berichterstattung hierüber wäre rechtswidrig.

Ist das tatsächlich eine neue Eskalationsstufe oder nur ein weiterer Fall unter anderen? Der „Stern“ war beispielsweise beim SPD-Politiker Rudolf Scharping nicht gerade zimperlich.

Beim „Stern“ ging es damals darum, Kontakte zwischen Herrn Scharping als Verteidigungsminister und einem Lobbyisten aufzudecken. Dies steht in hohem öffentlichen Interesse. Der „Stern“-Bericht führte ja dann auch zur Entlassung des Ministers durch Kanzler Schröder. Private Liebesbeziehungen gehen jedoch niemanden etwas an und rechtfertigen insbesondere nicht derartige Recherchemethoden.

Hat in der „Berliner Republik“ der Druck der Medien auf die Prominenten und die Politiker zugenommen?

Mit Sicherheit. Politiker und andere Prominente müssen ja in Berlin immer damit rechnen, dass sie bei einem Lokalbesuch mit einer neuen Lebenspartnerin gesehen werden, Fotografen sie „abschießen“ etc. Die Beteiligten sind sich sicherlich darüber im Klaren, dass man private Candle-Light-Dinner nicht mehr im „Borchardt“ machen sollte. Insofern gibt es eine „Flucht ins Private“. In Berlin-Mitte ist im Grunde jeder Meter vermint.

Das angebliche Verhältnis von Lafontaine mit Sahra Wagenknecht, Seehofers Geliebte, Münteferings neue Beziehung: Wer bestimmt eigentlich, dass das alles nur privat ist und damit der Berichterstattung entzogen?

Bei der Abwägung zwischen dem Schutz der Privatsphäre und der Pressefreiheit können wir auf eine langjährige Rechtsprechung zurückblicken, die uns hierfür Anhaltspunkte liefert. Im Gesetz steht das nicht. Im Falle von Lafontaine und Müntefering kann ich kein öffentliches Berichterstattungsinteresse über deren private Liebesverhältnisse erkennen. Im Falle Seehofer liegt die Sache etwas anders. So war ja in der Vergangenheit von Herrn Seehofer die Familie in den Wahlkampf eingebunden und als sozusagen gelebter „christsozialer“ Wert inszeniert worden. Entspricht diese Darstellung in der Öffentlichkeit nicht den tatsächlichen Verhältnissen, kann ein öffentliches Informationsinteresse nach dem Grundsatz „Wasser predigen und Wein trinken“ bestehen.

Wie beurteilen Sie das aktuelle Kräfteverhältnis zwischen den Journalisten und den Prominenten aller Art, auf wessen Seite neigt sich das Presserecht?

Aufgrund der immer intensiveren Eingriffe in die Privat- und Intimsphäre geht das Pendel in den letzten Jahren eindeutig in Richtung der Verstärkung des Persönlichkeitsschutzes. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte legte fest, dass Prominente bloße „Abschüsse“ beim Spazierengehen oder im Urlaub nicht mehr dulden müssen. Der Gesetzgeber schuf den § 201 a StGB, der bereits die bloße Herstellung von Bildaufnahmen aus dem Bereich der Intimsphäre unter Strafe stellte. Die Erfahrung lehrt und auch der aktuelle Fall zeigt, dass auch diese Verschärfungen bestimmte Medien nicht von rechtswidrigen Methoden abhalten. Es hat sich gezeigt, dass hier nur hohe Schmerzensgeldsummen helfen, um präventiv zu wirken.

Christian Schertz ist Medienanwalt und Lehrbeauftragter an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg. Er ist auch Anwalt dieser Zeitung. Mit ihm sprach Joachim Huber

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