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Medien: „Ich bin doch kein Beichtvater“

Warum hat Günter Grass so lange geschwiegen? Ulrich Wickert über sein Gespräch mit dem Schriftsteller

Herr Wickert, man könnte sagen, die ganze Grass-Sache sei ein gut geplanter Medien-Coup. Gibt es eine Verschwörung zwischen Ihnen, Herrn Grass und dem „FAZ“-Herausgeber Frank Schirrmacher?

Reiner Unsinn. Absurd.

Sie haben Grass in Dänemark interviewt. Wissen Sie jetzt mehr als vorher?

Ich habe eine endgültige Antwort nicht gefunden. Ich habe mich herangetastet über verschiedene Fragen, um das Schweigen besser erklären zu können. Wenn Sie das ganze Interview gesehen haben, dann werden Sie Grass wahrscheinlich etwas besser verstehen.

Was werden wir besser verstehen?

Ich glaube, man wird die Beweggründe von Grass besser verstehen. Es ist ja nicht so, dass Grass sich selbst einen Maulkorb verpasst hat. Es gab, was diese Dinge angeht, eine Kultur des Schweigens. Russische Soldaten haben in Danzig seine Mutter und vielleicht auch seine Schwester vergewaltigt. Darüber ist nie ein Wort gefallen. Ich habe Grass gefragt, ob das Verschweigen nicht ein Phänomen dieser Zeit gewesen sei. Und Grass antwortet, dass es Dinge gab, über die man eben nicht sprach.

Thema Waffen-SS. War Grass nicht einfach, wie so viele andere auch, fasziniert von der Waffen-SS?

Ja, sicher. Er fand das toll. Auch weil es Elite bedeutete. Das schreibt er auch so in seinem Buch. Auf die Frage nach einer persönlichen Schuld sagt Grass, es gäbe in seinem Leben viele andere Dinge, für die er sich mehr schuldig fühle als für seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS.

Können wir ausschließen, dass etwas Schlimmeres passiert ist?

Das können wir wohl.

Bleiben seine Motive, der Waffen-SS beizutreten.

Grass hat nie verschwiegen, dass er überzeugter Nazi gewesen ist, vom Pimpf an. Dass er erst nach dem Geständnis von Baldur von Schirach im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess begriffen habe, was da in Deutschland und im Besonderen mit den Juden passiert war. Er stellt sich die Frage, warum er so lange geschwiegen hat, warum er keine Gelegenheit genutzt hat, es öffentlich zu machen. Nicht einmal, als Helmut Kohl und Ronald Reagan in Bitburg waren und Kohl ausdrücklich von der Verführbarkeit der jungen Menschen sprach. Grass hat damals Kohl in sehr starken Worten angegriffen. Hier ist der Punkt, an dem Grass sich der Frage stellen muss, ob er das auch so gesagt hätte, wenn seine Vergangenheit damals bekannt gewesen sei.

War es eine Dummheit von Grass, gerade jetzt seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS einzugestehen?

Nein. Ich finde es gut, dass er es getan hat. Auch wenn er nicht vorhergesehen hat, welche Reaktionen das haben würde. Ich finde es immer besser, wenn jemand etwas spät, aber immerhin zugibt. Besser jedenfalls, als wenn er aus opportunistischen Gründen schweigen würde.

Ist er von der starken Reaktion überrascht?

Überrascht. Und verletzt.

Nicht erschüttert?

Erschüttert ist so ein schweres Wort. Dies ist ja nicht die erste Auseinandersetzung, die er führt. Grass kann vieles erklären. Wenn zum Beispiel Lech Walesa fordert, Grass solle die Ehrenbürgerschaft von Danzig zurückgeben, dann kann Grass erklären, warum Walesa so handelt, wie er handelt. Denn das hat auch einen sehr persönlichen Bezug. Im Übrigen hat der Stadtoberste von Danzig angerufen, um ihm zu sagen, dass Walesa nicht die Meinung der Stadt wiedergebe.

Ist die ganze Angelegenheit nicht ohnehin sehr persönlich? Wird da nicht auf einen eingeprügelt, der sich mächtig viele Feinde gemacht hat, die glauben, jetzt sei ihre Stunde gekommen?

Den Eindruck kann man haben.

Sie kennen den Schriftsteller sehr gut. Ist für Sie ein Held vom Sockel gestürzt?

Grass ist für mich kein Held. Ich halte ihn für den wahrscheinlich wortmächtigsten deutschen Dichter. Und das bleibt er auch für mich.

Sie halten nichts von der These, jetzt müsse man den ganzen Grass mit neuen Augen lesen?

Das sagen die Leute, die seine Arbeiten nicht gelesen haben. Man muss schon seine Biografie kennen. Dann weiß man auch, dass er vieles, was er gesagt hat, auch gesagt hat, weil er ein von den Nazis Verführter war. Das war auch mit ein Grund für seine Entscheidung, sich in der Zeit der Studentenrevolte nicht auf die Seite der dogmatischen Gruppierungen zu stellen.

Haben Sie Herrn Grass eine Beichte abgenommen?

Ich eigne mich nicht zum Beichtvater. Es war ein Gespräch.

Günter Grass hat gern etwas Mahnerisches an sich. Ist Ihnen das nie auf die Nerven gegangen?

Das ist Ihr Urteil.

Wird Grass die Erfahrungen, die er gerade sammelt, literarisch verwerten?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass er gerade jetzt auch nur einen Gedanken daran verschwendet.

Verstehen Sie die ganze Aufregung überhaupt?

Ich finde es schon sehr problematisch, dass man die Waffen-SS als Synonym für die Gräuel der Nazis ohne Umstände auf die Person Grass überträgt. Und das passiert leider. Natürlich hat Grass nichts mit den Massakern von Oradour und Lidice zu tun. Und jetzt sieht es manchmal so aus, als hätte Grass das mitgetragen. Das ist meines Erachtens nicht erlaubt.

Wird Grass auf Lesereise gehen, so als wäre nichts gewesen?

Ich habe daran keine Zweifel.

Was war Ihr wichtigster Eindruck nach dem Gespräch?

Das Grass anfängt, sich Fragen zu stellen, die er sich vorher nicht gestellt hat.

Was erleben wir? Eine Komödie, eine Tragödie, eine Farce?

Ein Lehrstück. Aus dem wir lernen, dass auch Günter Grass nur ein Mensch ist.

Das Interview führten Thomas Eckert und Joachim Huber.

„Wickerts Bücher“, 22 Uhr 45, ARD

Ulrich Wickert , 63, hat für ein Exklusivinterview mit Günter Grass den Start seiner neuen Sendung „Wickerts Bücher“ vorgezogen, vom 7. September auf den heutigen Donnerstag.

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