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Medien: „Ich bin mit allen Politikern per Sie“

„Berlin Mitte“-Moderatorin Maybrit Illner über Humor in Talkshows und ihre Dauergäste Struck und Glos

Frau Illner, der Held Ihrer Kindheit war Tim Thaler. Ein junger Mann, der seine Seele an den Teufel verkauft …

… nicht die Seele, sondern das Lachen. „Tim Thaler oder das verkaufte Lachen“ von James Krüss war mein liebstes Kinderbuch, ein Klassiker wie „Emil und die Detektive“ oder „Pooh, der Bär“, die ich auch sehr mochte. Als Kind fand ich die Geschichte so traurig – ist ja klar, wenn da einer sein Lachen verkaufen muss. Inzwischen bin ich aber eher Fan von „Pooh, dem Bären von geringem Verstand“. „Winnie, the Pooh“, gelesen von Harry Rowohlt – und Sie fahren wieder gerne lange Auto.

Schöne Märchenzeit.

Sie haben ja Recht. Wahrscheinlich sind wir gerade in einer Zeit, die alles andere als märchenhaft ist. Und auch nicht besonders lustig.

Apropos Heiterkeit: Sie haben sich in dieser Hinsicht schon mal selbst gelobt.

Widerwärtig – wann soll ich das getan haben?

Sie haben auf die Frage, wann Sie eine Sendung für gelungen halten, geantwortet, wenn die Sendung kurzweilig war, informativ und keine humorfreie Zone. Und bei Ihnen wird immerhin hin und wieder gelacht.

Können wir uns darauf verständigen, dass es höchstens ein indirektes Eigenlob war? Es gibt ja auch Gäste, die Humor durchaus etwas abgewinnen können.

Die Politiker sehen sich gern als ernsthafte Menschen. Da müssen Sie mächtig kitzeln.

Nicht immer. Wenn Sie 14 Stunden am Tag in Ausschüssen oder Sitzungen verbringen, dann wären Sie vielleicht sogar dankbar für ein bisschen freundliche Frotzelei.

Heute wird es in „Berlin Mitte“ um das Thema Arbeitsmarkt gehen. Mit den üblichen Verdächtigen?

Florian Gerster, Chef der Bundesanstalt für Arbeit, Horst Seehofer …

… und wo bleibt der Überraschungsgast?

Wie wär’s mit Klaus Zumwinkel, dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Post – oder Edgar Most, dem einzigen Ostler unter den TopBankern. Anderes Beispiel: Vor 14 Tagen haben wir es geschafft, Ottmar Schreiner, einen der zwölf Rebellen, und Olaf Scholz, den Generalsekretär der SPD, in eine Sendung zu bekommen. Damit fand der parteiinterne Richtungsstreit nicht hinter den Kulissen, sondern erstmalig und überhaupt in unserer Sendung statt. Das war schon ein echter Coup. Die entscheidende Frage ist, ob es uns gelingt, zu überraschen, uns selbst, die Zuschauer, die Gäste. Wenn ja, waren wir gut. Wenn nicht, dann nicht.

Und dann sind da noch Westerwelle, Stoiber, Glos oder Struck, die Herren mit Dauerticket.

Sie machen Scherze. Herr Westerwelle war in diesem Jahr noch nicht in unserer Sendung. Und einen Verteidigungsminister müssen Sie in Kriegszeiten erst mal zu fassen kriegen.

Und die Fragen will er auch noch vorher haben.

Die gibt’s aber nicht. Wenn er wissen will, wer sonst noch kommt, okay. Das ist aber auch alles.

Die Politiker kommen regelmäßig zu Ihnen. Wie halten Sie da Distanz?

Das ist eine Gratwanderung. Ich habe noch mit keinem Politiker vor einer Sendung ein Vorgespräch geführt. Keiner weiß, was ich fragen werde. Und ich bin mit allen per Sie. Überzeugt Sie das?

Noch nicht ganz. Wie steht es denn mit Sympathie oder Antipathie?

Ich will’s mal so versuchen: Eine Hebamme kümmert sich um ihre Schutzbefohlenen ja auch, ohne sich die Frage zu stellen, ob sie ihr sympathisch sind oder nicht. Ein Kind muss ans Licht der Welt – bestenfalls eine politische Idee, die am Ende sogar lebensfähig ist.

Sie sind aber eine richtige Talkshow-Diplomatin. Jetzt nennen Sie uns doch wenigstens einen, den Sie sympathisch finden. DGB-Chef Michael Sommer vielleicht?

Jeder mag den Sommer, nur dieses Umstellen der Uhrzeit finde ich ein bisschen lästig; außerdem klaut einem das immer eine Stunde Schlaf.

Ach, Frau Illner.

Es ist doch unerheblich, was Frau Illner über Herrn Sommer oder sonst wen denkt. Und was wäre denn der Nachrichtenwert der Feststellung: Maybrit Illner mag den Sommer?! Wo kommen wir denn da hin? Wie finden Sie den März? Das ist doch eine Story ohne Ende.

Dann eben ein bisschen Politik. Wie sieht es denn aus im Deutschland des Jahres 2003?

Großes Rumrudern. Große Ratlosigkeit. Es werden viele Dinge ausprobiert, aber wohin die Reise geht, das weiß eben keiner so genau.

Die politische Kaste – ratlos?

Die Politiker haben begriffen, dass es die große Heilslösung nicht gibt. Wir leben in unsicheren Zeiten. Deshalb schalten die Leute auch „Berlin Mitte“ ein.

Können Sie sich vorstellen, dass die Inflation der Talkshows zur allgemeinen Kurzatmigkeit der Politik beigetragen hat?

Die Politiker sind mehr und mehr zu Gehetzten geworden. Die Rolle des jovialen Weltenlenkers passt zu keinem mehr. Aber daran haben nicht die Talkshows Schuld. Und ich schon gar nicht.

Die „Süddeutsche Zeitung“ hat Ihnen und Frau Christiansen nach Ihrem gemeinsamen Auftritt bei Frau Maischberger Hybris und schlichte Gewissheiten attestiert. War das die größte anzunehmende Frechheit, die Sie je über sich gelesen haben?

Der Autor hatte offenbar eine andere Sendung gesehen. Mir liegt nichts ferner, als mich feiern zu lassen. Ich könnte mir nichts Langweiligeres vorstellen, als mir dauernd selbst auf die Schulter zu klopfen.

Glauben Sie wirklich, dass Frauen die besseren Fragen stellen als Männer? Wir haben doch bis hierher das Gegenteil bewiesen.

Erstens: Sie sind einfach klasse. Zweitens: Das habe ich nie gesagt. Ich habe gesagt, es gibt gute und weniger gute Frager, völlig unabhängig vom Geschlecht. Aber es gibt einen Unterschied, den ich privat beobachtet habe: Frauen können zugeben, wenn sie mal etwas nicht wissen .

Könnten Sie nicht einmal einen Politiker etwas ganz Persönliches fragen? Zum Beispiel Herrn Stoiber, wovor er Angst hat? Vielleicht fürchtet er sich ja, wie Sie vor drei Jahren unvorsichtigerweise in einem Fragebogen verraten haben, vor den Fischer-Chören.

Brillante Idee, damit fange ich die nächste Sendung an. Auch wenn ich damit erstmalig das Prinzip durchbrochen hätte, vorab keine Fragen zu verraten.

Einmal abgesehen von Herrn Stoiber, wie sähe Ihre Idealbesetzung von „Berlin Mitte“ aus?

Eine ganz kleine Runde: der wunderbar lakonische Pooh-Bär, unterstützt durch den „Professor“ aus „Emil und die Detektive“, „Ponny Hütchen“, die sich zu Frauenfragen äußern könnte, und Tim Thaler – zu Fragen der Handelspolitik.

Und das Thema?

Die Zukunft.

Das Gespräch führten Joachim Huber und Thomas Eckert.

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