zum Hauptinhalt

Medien: „Ich blamiere mich total gern“ Viva-Moderatorin Charlotte Roche hat jetzt eine eigene Talkshow bei Pro 7.

Im Grunde ist sie so höflich wie Alfred Biolek. Nur der Scham und der Respekt fehlen ihr

Sie kann Angeber betören und Deppen entzaubern, sie liebt Elvis und Blutwurst, sie redet sehr verknäuelt, sie glaubt an Feminismus, gemütliches Familienglück und Rumfummeln im Heu, sie kann lustig lügen und korrekt durchdrehen, sie macht Fehler, weil sie ahnt, dass die ihr nützen, sie sagt Wörter wie „piefiges Schmusekackezeug für Schorletrinker“ oder „Crack rauchende Tischfußballer-Ersatzspielerfrauen“, sie ist stolz auf ihre Schweißflecken unter den Armen, und ihr gelingt in ihren Sendungen eine nicht nachäffbare Qualitätskomprimierung.

Charlotte Roche ist eine Fernsehfreude. Seit 1998 moderiert sie die Musikclip-Sendung „Fast Forward“ auf Viva, und jetzt bekommt sie eine eigene Talkshow auf Pro 7.

Sie wird auch dort das machen, was sie besonders gut kann: sie selbst sein und Gespräche mit Prominenten führen, an einem Ort, den die sich selbst aussuchen können. Im Mai dieses Jahres sprach sie, quasi als Probelauf, mit Robbie Williams, „dem sympathischen Power-Chansonnier“, den sie verehrt und den sie leicht aus der Fassung brachte: Als der nämlich sagte, er höre nur seine eigene Musik, meinte sie, das sei doch, als ob man das eigene Sperma trinke. „Das Gespräch lief danach viel besser“, findet die 25-Jährige, die 2001 für den Grimme-Preis nominiert war.

Ihr Stil wird oft mit den hilflosen Adjektiven „schrill“, „schräg“, „provokant“ beschrieben. Das trifft es nicht ganz. Denn Charlotte Roche, die in London aufwuchs, ist vor allem eins: höflich. Sie interessiert sich für ihr Gegenüber, gibt ihm ein gutes Gefühl, respektiert ihn, feuert ihn an, nimmt ihn ernst und ist akribisch vorbereitet. „Wenn man böse ist, könnte man sagen, ich schleime.“ Der Autor Benjamin Stuckrad-Barre, der ihr in „Allegra“ ein liebevolles Denkmal setzte, nennt dieses Phänomen „ihre wunderbar großäugige Zurkenntnisnahme der Welt“. Mit dieser Biolek- Methode machte sie schon aus Schock- Rocker Marilyn Manson oder Skandal-Rapper Eminem echte Charmegestelle. Ihre künftigen Gäste bei „Charlotte trifft …“, wie etwa Anke Engelke (heute Abend), Bruce Willis, Kylie Minogue, Die Ärzte und Will Smith, können sich also freuen. Und wenn das Ganze nichts wird, dann eben nicht. „Ich mache dann nicht um jeden Preis etwas anderes. Ich glaube, damit man nicht irgendwann Sonja Zietlow wird, ist das Wichtigste, dass man weiß, was man will und was nicht.“

Ihr zweites Erfolgsgeheimnis: ein unendlich entspannter Humor. Als eine Art Mischung aus Sandra Maischberger und Donald Duck macht sie Witze über Sexismus, Tod und Männer. Nach ihren Stärken befragt, sagte sie einmal: „tolle Bewegungen beim Sex und wirr im Kopf“. Diese Wirrnis führt zu herrlichen Wortkaskaden und geheimnisvollen Dada-Anmoderationen, die man sich am besten aufnimmt, um sie nach mehrmaligem Hören halbwegs zu durchdringen.

Ihr größtes Kapital ist wohl, dass sie keine Angst kennt. „Ich blamiere mich total gern in meinen Sendungen und bin dankbar, wenn mein Konzept kaputtgemacht wird.“ Tatsächlich wird bei „Fast Forward“ (dienstags bis sonntags, 23 Uhr), kein Fehler oder Versprecher herausgeschnitten. Dazu kommt, dass Charlotte Roche nichts peinlich ist. Ob Pickel oder pinkfarbene Leggins, es geht darum, ganz normal zu sein, und das heißt oftmals, eben ganz anders zu sein.

Als Teenager hängte sie sich kein Popstar- Poster übers Bett, sondern ein „Emma“-Plakat – Frucht einer feministischen Erziehung durch die Mutter. Deren vier Ehen führten sie und ihre fünf Geschwister von England über Holland nach Mönchengladbach, wo Charlotte den größten Teil ihrer „ziemlich hippiemäßigen“ Jugend verbrachte. Mit 15 zog sie aus – gut für alle Beteiligten, denn „in der Pubertät war ich eine Bestie“. Heute ist ihr Familie wichtiger denn je.

Im Sommer 2001 wollte sie in London den Viva- Redakteur Eric Pfeil heiraten. Charlottes Mutter und ihre drei jüngeren Brüder verunglückten auf dem Weg dorthin. Ihre Brüder starben, ihre Mutter erlitt schwere Brandwunden. Charlotte ging zwei Monate danach wieder auf Sendung. Ohne große Erklärung in eigener Sache, „weil man den Zuschauern einfach nicht klarmachen kann, was geschehen ist. Man denkt ja, da müsse dann die ganze Familie jahrelang auf dem Boden liegen und sich schreiend die Haare ausreißen. In Wirklichkeit geht alles weiter, und zwar ziemlich normal.“ Inzwischen hat sie eine 11 Monate alte Tochter und will ihre Hochzeit irgendwann nachholen. Äußerlich hat sie sich etwas verändert: Gesichtspiercing und Nina- Hagen-Make-up sind verschwunden. Geblieben sind die Quietschestimme und ihre Mädchenhaftigkeit. „Ab und zu ein bisschen Niedlichkeit tut der inneren Härte gut“, sagt sie.

„Charlotte Roche trifft …“, Pro 7, 23 Uhr 20

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false