zum Hauptinhalt

Medien: „Ich hätte kritischer sein müssen“

ARD-Programmdirektor Günter Struve über alte Verträge mit Jan Ullrich und den neuen Vertrag mit Günther Jauch

Herr Struve, im Rückblick auf 2006: Welche Note würden Sie sich als ARD-Programmdirektor geben?

Mir selbst eine Vier bis Vier minus, dem Programm eine Zwei plus. Und was den Erfolg angeht: zweifellos eine Eins. Die ARD wird das Jahr 2006 als Marktführer abschließen. Sie war so erfolgreich wie seit 1991 nicht mehr. Nimmt man die Dritten Programme hinzu, übertrifft der Erfolg sogar den von 1991.

Das ist ja absolut toll. Wie kommen Sie auf die Vier minus bei sich selbst?

Mir sind Irrtümer unterlaufen, die mir so nicht hätten unterlaufen dürfen.

Sie meinen die Nibelungentreue zu Sportkoordinator Hagen Boßdorf und das Nichtlesen der Jan-Ullrich-Verträge?

Das macht die Vier minus aus. Das Nichtlesen würde ich mir eher verzeihen, weil ich glaubte, 26 andere in der ARD hätten die Kontrakte gelesen, ich könnte also darauf verzichten. Aber keiner hatte sie gelesen. Bei Hagen Boßdorf führt das Wort Treue in die Irre. Ich habe in dem Bemühen, ihn gegen zum Teil völlig unberechtigte Kampagnen zu verteidigen, sicher vernachlässigt, dass es auch bei Boßdorf Punkte gab, die ich kritisch hätte hinterfragen müssen. Das betrifft aber auf keinen Fall die Causa Stasi. Diese Akte würde Hagen Boßdorf eher ent- als belasten. Er hat niemandem geschadet, niemanden verraten. Das geht eindeutig aus den vorliegenden Akten hervor. Was dagegen sicher richtig ist: Ich hätte bei jemandem, der so nahe dran war am Radsport, kritischer sein müssen. Mein Schutzbedürfnis hat den kritischen Verstand überlagert. Das war eindeutig mein Fehler. Bei den Ullrich-Verträgen verteilt sich die Schuld auf zahlreiche Personen.

Wollten Sie damals aufgeben?

Nein, aber ich hätte es ohne ein Wort des Wehklagens akzeptiert, wenn die Intendanten gesagt hätten, den Struve schicken wir in die Wüste.

Woran ist Hagen Boßdorf am Ende gescheitert? An der Becel-Affäre?

Nein, weder an Becel noch an der Stasi. Es war im Kern der Ullrich-Vertrag, an dem er ohne mein Wissen aktiven Anteil hatte.

Beim Programm waren Sie mit einer Zwei plus dabei. Was schließen Sie aus dem Fernsehjahr 2006: Was will der Zuschauer unbedingt sehen, wo sagt er nein?

Es gibt Tendenzen. In diesem Nicht-Wahljahr hatten es politische Informationen unglaublich schwer. Das Schmerzhafteste dabei war: Nicht einmal die diversen Landtagswahlen haben das ändern können. Wenn Sie unser aktuelles Programm nehmen, dann haben wir 46 Prozent mit Information, sieben Prozent mit Unterhaltung und vier Prozent mit Sport gefüllt. Nur eine aktuelle Informationssendung im deutschen Fernsehen, die „Tagesthemen“, hat zugelegt. Und das auch nur durch die Vorverlegung auf 22 Uhr 15. Immerhin haben auch zwei politische Magazine, „Kontraste“ und „Panorama“, an Zuschauern gewonnen. Alle anderen Sendungen, auch die „Tagesschau“, haben verloren. Eine zweite Tendenz: Das fiktionale Erzählfernsehen hat sich als stärker erwiesen als die übrige Unterhaltung von Show bis Musiksendung – man sehe sich nur die Pilcher-Verfilmungen beim ZDF an.

Ist Pilcher attraktiver als „Tatort“?

An manchen Sonntagen ist die Zuschauerzahl bei „Pilcher“ größer. Insgesamt ist der „Tatort“ 2006 aber mehr gesehen worden als 2005. Mit den Wiederholungen in den Dritten werden in diesem Jahr 350 „Tatorte“ gelaufen sein. Bei einer solchen Flut kann schon mal der Reiz einer Erstaufführung schwinden.

Nichts gegen den „Tatort“. Aber die höchst erfolgreichen „CSI“-Formate sind an der ARD spurlos vorbeigegangen. Bewusste Entscheidung oder schlichtes Übersehen?

Das ist ein Preis, den wir bewusst bezahlen. Auch wenn es weh tut. Aber wir sind auf dem amerikanischen Markt nicht mehr präsent, weil die Trefferquote nicht sehr hoch war. Wir haben zuletzt nur noch Enttäuschungen erlebt. Aber vor allem: wir als ARD müssen die hungrigste Programmfamilie in Deutschland mit Senderechten füttern. Das heißt: wir brauchen eigene Inhalte. Wir müssen klug haushalten. Deshalb hat die ARD auch bis heute keine Rechte an der Fußball-EM 2008 gekauft.

Hat nicht „CSI: Miami“ eine höhere Produktqualität als irgendeine ARD-Serie?

Jeder „Tatort“ ist „CSI“ überlegen. Bei kürzeren Krimi-Formaten sind wir nicht im Wettbewerb. Und dann sehen Sie doch bitte eines: RTL hat die US-Krankenhausserie „Dr. House“ gegen unsere Krankenhausserie „In aller Freundschaft“ gesetzt. Glauben Sie, dass sich das für RTL gelohnt hat?

In der Frage liegt die Antwort, also nein. Aber bei der Arztserie „Grey’s Anatomy“ müssen auch Sie mit der Zunge schnalzen, oder?

„Grey’s Anatomy“ ist noch besser als „Dr. House“. Und trotzdem landen die amerikanischen Serien beim deutschen Publikum ganz weit hinten.

Am Sonntag, dem stärksten ARD-Tag in der Woche, läuft nach dem „Tatort“ immer „Sabine Christiansen“. Im nächsten Sommer ist Schluss damit. Wollte Frau Christiansen oder sollte sie aufhören?

Sie wollte aufhören, es war ihr eigener Wunsch. Und diesem Wunsch wurde natürlich entsprochen. Frau Christiansen wollte mehr Zeit für sich und ihr Privatleben. Wir mussten Ersatz suchen. Und wir haben ihn mit Günther Jauch gefunden.

Was wird der Nachfolger denn anders machen?

Es wird ein gesellschaftspolitischer Diskurs werden. Jauch ist ein Zoon politicon. Wenn Politik in der Luft liegt, wird auch er anspringen, also politischer werden. Jauch hat da eine bessere Nase als viele andere.

Haben Sie den Jauch-Vertrag gelesen?

Davon dürfen Sie ausgehen.

Wird Günther Jauch mehr Rechte und Freiheiten bekommen als irgendein anderer ARD-Mitarbeiter?

Was ich absolut ausschließen kann, ist, dass es bei Günther Jauch zu irgendwelchen Problemen kommen wird. Wenn es aber doch zu einem Problem kommen sollte, würde ich sofort das Handtuch werfen. Aber sofort.

Ein anderes Problem der ARD ist die Unterhaltung. Florian Silbereisen versucht sich am Rudi-Carrell-Klassiker „Am laufenden Band“, Harald Schmidt reaktiviert ab Februar 2007 „Pssst“. Die große Ratlosigkeit?

Alle Formate kommen irgendwann irgendwie wieder. Sie müssen nur das richtige Timing erwischen. Nehmen Sie den „Scheibenwischer“. Dieses Kabarett-Format wurde totgesagt und hat doch in diesem Jahr mehr Zuschauer als jede andere ARD-Sendung dazu gewonnen, mehrere Hunderttausend. Einen solchen Erfolg wünschen wir uns auch für „Pilawas Zeitreise – Die große Geschichtsshow“, die im kommenden Jahr startet.

Und Harald Schmidt muss derweil versuchen Werbezeiten attraktiver zu machen.

Dass der Mann sich überhaupt an ein so harmloses Format wie „Pssst“ wagt, finde ich sehr beachtlich. Ein solches Risiko einzugehen! Der Vorabend ab 18 Uhr 50 ist schwierigstes Terrain. Also: Chapeau, Herr Schmidt!

Dann stimmt es also ganz und gar nicht, dass Schmidt sich jetzt gar nicht mehr anstrengen will, sondern nur noch dem Geld nachjagt?

Eine absolut unsinnige Frage. Und Blödsinn dazu. Für eine Sendung wie „Pssst“ braucht es allen Mut.

Schmidt ist also mutiger als klug. Ist das klug?

Er ist mutig und klug. Das Herausragende an Harald Schmidt ist, dass er zu seinem jeweiligen Arbeitgeber steht und auch schwierige Aufgaben übernimmt. Dafür hat er meinen ganzen Respekt.

Die ARD wird der Jauch-und-Schmidt-Sender. Alle beide Fernsehstars in der Götterdämmerung ihrer Karrieren.

Als Opernfan kenne ich mich mit Götterdämmerungen wahrscheinlich besser aus als Sie. Ich sehe die Herren auf dem Höhepunkt ihrer Karrieren. Und dieser Höhepunkt kann bei beiden noch mehrere Jahre dauern.

Das Interview führten Thomas Eckert und Joachim Huber.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false