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Medien: „Ich kann die Welt auch nicht retten“

Man mag ihn sehr oder gar nicht: Seit zehn Jahren bringt Jürgen Fliege den Zuschauern den Glauben näher - und bald das Wort zum Sonntag

„Es gibt drei Leidenschaften“, lässt Jürgen Fliege sich zitieren, „Geld, Sex und Religion. Aus Geld mache ich mir überhaupt nichts.“ Das glaubt man sofort, schon wenn man sein Outfit begutachtet, das immer wirkt wie im Secondhand-Shop ergattert – zwar eine Nummer zu klein, aber macht nichts. Auch Flieges Selbstdarstellung, der stets zu Scherzen aufgelegte freche Junge von gegenüber, hat so gar nichts vom Big Spender. Bleiben die Fleischeslust und die Liebe zu Gott. Fernsehpfarrer Fliege „hat“ diese Leidenschaften nicht nur, er macht, indem er sie ineinander verschränkt, Fernsehen daraus, wie man es andernorts nicht findet. Dafür darf er am 13. März sogar das Wort zum Sonntag sprechen, zunächst zwar nur in einer einzigen Sendung, aber wer weiß.

Der Pfarrer ist eine wunderbare Tarnung. Obwohl Moderator Fliege in Jeans durch sein Studio turnt und einen jugendlich-saloppen Jargon pflegt, imaginiert sein meist reiferes Publikum wahrscheinlich von sich aus den Talar dazu – und eine saubere Gesinnung sowieso. Gedeckt durch diesen Kredit kann Fliege alles machen. Nicht, dass er seine Gäste oder sein Publikum auf Abwege führte, nein, was er sagt und empfiehlt, ist sehr weitgehend kompatibel mit der Frohen Botschaft. Meist läuft es auf ein schlicht-schönes „Der Mensch denkt und Gott lenkt“ hinaus, O-Ton Fliege: „Es scheint so zu sein – ich sag das immer mit großer Vorsicht – dass der Himmel einen anderen Weg geht“ – und wir Erdenwürmer tun gut daran, uns darauf einzustellen.

Fliege kann zuhören – und das, obwohl er viel zu oft ein regelrechtes „Zuhörgesicht“ aufsetzt mit umwölkter Stirn und Sorgenblick. Aber wie er dann gegen Ende der Sendung auf Geständnisse des Anfangs zurückkommt und sich auch nie mit Namen vertut – das ist Könnerschaft über die Routine hinaus. Auch was er sagt, ist keineswegs immer so banal, wie das Nachmittags-Talkformat es erwarten ließe. Die gerade erst von der Alkoholsucht befreite Minderjährige, die jetzt Gleichaltrigen hilft, fragt er: „Warum hör’n die auf dich und nicht auf mich?“, was ja in der Tat die Crux ist. Und vor dem Wort „Schnapsleichen“ schreckt er nicht zurück – sagt es aber „in Anführungszeichen“. Ein alerter Fernsehmacher und moderner Gottesmann mithin – was heißt hier „Tarnung“?

Alles nur Tarnung?

Nun ja, wie Herr Fliege sich darbietet, wie er agiert, fragt, tröstet und eine sehr spezielle Atmosphäre herbeizaubert, das ist schon genaueres Hinschauen wert. Was dieser Moderator sich herausnimmt, ist, dass er mit seinen Gästen, mit dem Saalpublikum, mit Ihnen zu Hause vor dem Fernseher flirtet, unverschämt und hemmungslos. Nicht indirekt oder bloß verbal, sondern wie sich das gehört: mit Blicken, Lächeln, Händen, Körpersprache. Und diese unverstellt erotische Selbstinszenierung ist wahrscheinlich mit den Benimmvorschriften für den guten Hirten auch schon von jeher vereinbar gewesen. Denn was ist ein Seelsorger wert, der nicht mit allen Mitteln die Gemeinde zusammenhält und ihre Glieder zu Gott führt? Und schließlich: Fliege macht ja nicht (bloß) evangelische Theologie, sondern Fernsehen. Dieses Medium kann jede Art Sexappeal prima gebrauchen. Ja, es giert sogar so sehr nach Erotik, das es sie allermeistens durch zu viel Absichtlichkeit totinszeniert. Es ist schon interessant, dass sich die erotische Würze ausgerechnet da, wo niemand sie vermuten würde und wo sie entsprechend in Ruhe gelassen wird, nämlich mitten in einer Betroffenheitstalkshow für die ältere Generation, in kräftiger Konzentration anfindet. Keine „Flirtshow“ kommt mit „Fliege“ mit.

Fliege , der Verführer

Fliege also ein Verführer? Er würde wohl sagen: Na klar, ich will verführen, – hin zu Gott, zum Guten und zur Bereitschaft, das eigene Schicksal anzunehmen. Aber die Sache mit den drei Leidenschaften steht nun im Raum, und da nach dem Wegfall des Geldes nur eine ganz und gar weltlich-kreatürliche Obsession übrig bleibt, muss sich Fliege auf sie hin befragen lassen. Sex am Nachmittag? Im Fernsehen? Vor lauter netten Omis? Wie geht denn das? Und jetzt kommt das Ablenkungsmanöver. Gemeint sind natürlich die Themen – nicht Fliege als Person. Da heißt es: „Ich liebe einen verheirateten Mann“ oder „Liebe im Alter“ oder „Prozess der Gefühle“, und obwohl zwischendurch auch mal Erziehungssorgen und Schicksalsschläge wie Krebs und Tod betalkt werden, sind es doch immer wieder seltsame Paare, die bei Fliege zusammenkommen oder auch nicht, und der Pfarrer gibt allen seinen Segen, die es miteinander tun wollen – Homosexualität nennt er gar eine „Gottesgabe“. So weit so gut und menschenfreundlich.

Aber es sind nicht nur die erotischen Themen, die seiner Sendung ihren Unterton geben, es ist auch die Art, wie Fliege sie und sich selbst in Szene setzt. Dieser jung gebliebene Hirte ist unter den männlichen Talkern der Republik mit Sicherheit derjenige, der während seiner Show die meisten und die gewagtesten Selbstberührungen ausführt – eine inszenatorische Strategie sonst eher von Frauen. Der Daumen unterm Kinn und die vier Finger beweglich vorm Mund ist bei ihm das Übliche – dazu gehört ein grüblerisches Air über den Brauen. Er betastet auch gern mit den Fingerspitzen seine Lippen und öffnet sie dabei – scheinbar ganz verloren in der Konzentration. Oder er legt die Hände schlicht in den Schoß – wo er sie dann zwischen den Schenkeln verschwinden lässt. Dazu setzt er manchmal ein entrücktes Lächeln auf – für das er keine gestische Unterstützung braucht, denn er hat zwei schalkhafte Grübchen. Seine Ansprache ist sehr persönlich: „Erzählen Sie – “, und er fasst des Gastes Hand. Selbst längere Kunstpausen und tiefe Blicke mutet er sich und dem Publikum zu. So entsteht, trotz Studio-Technik und Aufzeichnungs-Hektik, eine intime Atmosphäre, die dem Mitteilungsbedürfnis aufhilft. Es soll hier für jene, die „Fliege“ nie geschaut haben, angemerkt werden, dass der Showmaster ein hübscher Bursche ist, von seinem Schöpfer ferner gesegnet mit einer angenehmen, leicht brüchigen Stimme, die mitten in der Show bisweilen so betet: „Lieber Gott, hab ich die Welt so gemacht oder du?“ Und dann springt der Mann auf, läuft rüber zum Saalpublikum: „Ich komm mal zu Ihnen“, und quetscht sich in die dritte Reihe zwischen zwei Damen, die er befragen will und denen er jetzt sehr nahe ist …

Eine leicht schlüpfrige Veranstaltung also, diese „Fliege“- Show? Aber nein. Die Auftritte des Moderators, sein Gefummel an sich selbst und sein Handauflegen bei Gästen, seine manchmal recht provokanten verbalen Attacken mit eingebautem Du: „Wat machste da?“ – all das mag kalkuliert sein, es ist aber zugleich spontan, und der ganze Fliege ist schwerlich auf reinen Showbiz-Zynismus reduzierbar. Seine wiederkehrende Frage „Wie kann ich hilfreich sein?“ und die damit verbundene Sorge kauft man ihm ab, und die unkonventionellen Mittel, die er einsetzt, um die Fernsehgemeinde bei der Stange, bei „Fliege“ und bei guten Werken zu halten, lässt man ihm durchgehen. Sein Eigen-Schmäh: „Ich als Pfaffe“ und „Predigen kannste vergessen“, ist so kokett wie der Kerl selbst und doch zugleich „echt“ in dem Sinn, dass er wirklich unglücklich ist, wenn er sagt: „Ich kann die Welt auch nicht retten“. Sein Flirt mit dem Publikum ist immer zugleich so natürlich, dass man ihm verzeiht – und so sehr auch ein Spiel, dass man ihn bewundert. Letztlich ist Fliege eine Type – man mag ihn ziemlich oder gar nicht, da gibt’s kein Zwischending. Als Moderator ist er übrigens erste Sahne. Es gibt nur wenige, die so sanft unterbrechen, so geschickt das Gespräch lenken und so anstrengungslos (fast) allen Gästen und Argumenten gerecht werden. Wie gut er als Talkmaster ist, fällt allerdings kaum auf, da der Narziss in Fliege dem souveränen Moderator regelmäßig die Show stiehlt.

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