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Medien: „Ich war nicht immer so konsequent“

Schauspieler Axel Milberg über sein Image, verschrobene Figuren, falsche Erziehung und Ingmar-Bergman-Filme

Sie spielen in einer neuen ZDF-Serie den verschrobenen Landarzt Dr. Martin. Hätten sie sich jemals vorstellen können, Arzt zu werden?

Nein. Krankheit, Tod, Schmerzen, Siechtum, Bettlägerigkeit. Nie. Auch heute nicht.

Ihre Mutter war Ärztin. Gab es da Parallelen aus dem Leben, die Sie in den Film einbringen konnten?

Na ja. Das ist ja ein spezieller Arzt, Dr. Martin, bei dem viele sagen: Das gibt's ja so gar nicht. Aber man darf für einen Charakter sowieso nie die offiziellen Vertreter ihrer Berufe fragen, die dazu neigen, den Bilderbuchmedizinern oder den Bilderbuchpolizisten zu beschreiben. Dr. Martin hat ja eine Hämophobie – das ist der griechische Ausdruck für „ich kann kein Blut sehen“, wie dieser Martin selber mal in einer Folge zugibt.

Vor seinem Einsatz in der Provinz war Dr. Martin Chirurg in Berlin. Dass der Mann kein Blut sehen kann, ist allerdings sehr ungewöhnlich. Wie kam das überhaupt?

Er war Gefäßchirurg. Bei ihm ist ein minderschweres Stresssymptom die Ursache seiner Hämophobie. Noch bevor die Serie beginnt, sieht er sich im Mittelpunkt seines Lebens in einer Schaffenskrise. Er ist persönlich nicht gebunden und denkt: „Mensch, jetzt kehre ich dorthin zurück, wo ich einige Sommer glücklich war“, zu meiner Tante Alma nach Neuharlingersiel. Er hofft, so den Problemen seines Lebens entkommen zu können.

Was verspricht er sich vom Dasein eines Landarztes?

Er möchte Patienten haben, die sich anständig benehmen, die sich nicht aufführen und ihm vor allem nicht auf den Leib rücken. Kranke können ja versorgt werden – indirekt durch Verschreibungen. Er hat diese Scheu vor Menschen, ist schüchtern, etwas streng und bedacht. Nun passiert in der Provinz genau das, wovor er fliehen will, wie das im Leben oft eintrifft.

Sie sind auch weit weggegangen – von Kiel nach München.

Kiel ist Landeshauptstadt und hatte bereits 280 000 Einwohner, als ich es vor 30 Jahren, nach der Schule, verlassen habe. Aber ich wollte ja die Schauspielschule besuchen, weit entfernt von zu Hause. Schauspielschule, dann Theater, dann Ehe, dann Kinder. Ich bin seither in München.

Wollten Sie auch entkommen? Warum leben Sie in einer großen, fernen Stadt?

Parallelen zu der TV-Figur gibt es schon. Die Anzahl an Menschen, mit denen man lebt, ist in der Provinz sehr begrenzt. Und jeder weiß bald über alles Bescheid. Es ist so, als hätten alle die gleiche Formulierung gelesen für etwas, was geschehen ist. Jeder erzählt es so weiter. In der Großstadt mag zwar auch alles Mögliche kursieren, aber die Aussagen unter der Hand widersprechen sich auch mal. Auf dem Land muss man miteinander auskommen. In der Großstadt kann man notfalls die Gruppe wechseln.

Haben Sie als Norddeutscher nie gefremdelt in München?

Das war nur die ersten ein, zwei Jahre Thema. Entscheidend sind die Menschen, mit denen ich lebe, die ich liebe, die mir Freunde sind. Und genauso, oder fast so wichtig, ist meine Tätigkeit. Da können Sie mir den schönsten Ort der Welt nennen.

Sie leben in einer Patchwork-Familie, bei der vier Söhne im Spiel sind: Einer stammt von Ihrer ersten Frau, zwei von Ihrer jetzigen und einer von Ihnen beiden. Ist das nicht kompliziert?

Kinder, die jetzt nicht meine Gene tragen, sind ganz frei und unabhängig von mir, eine unheimliche Bereicherung. Es gibt nicht dieses „meine“, „deine“ bei uns. Wir sind alle sehr aneinander interessiert.

Sie spielen immer wieder die Rolle des Sonderlings, des Eigenbrödlers oder des Unnahbaren. Sind Sie auch privat nicht leicht zu handhaben?

(Lacht, denkt kurz nach) Nein, ich bin eher offen und freundlich. Mein Grundtemperament ist unbeschwert. Das war schon als Kind und Jugendlicher so. Meine Mutter gab mir deshalb den Spitznamen „Pfiffikus“. Weil ich meistens von der Schule pfeifend nach Hause trödelte und sie schon von weitem hören konnte, dass ich mich dem Elternhaus nähere.

Sind Sie immer so fröhlich durchs Leben geschlendert?

Natürlich gibt es Phasen, wo es schwierig ist. Aber die Naivität, mir zu wünschen, dass Dinge gut und leicht sein mögen, die habe ich bewahrt. Es gibt aber auch Menschen, die einen gewaltig unter Druck setzen, die etwas wollen. Das ist so, als wenn einen plötzlich ein Bus überholt. Man selbst fährt mit dem Fahrrad, und der Lenker beginnt dabei zu schlackern. Man muss aufpassen, dass man nicht fällt. Deshalb kann man nicht nur als Pfiffikus durchs Leben stolpern (lacht). Da muss man eine Fähigkeit entwickeln, sich zu schützen. Das gab es auch schon mit 16. Meine Grundfarbe bleibt trotzdem heiter, leicht. Ich genieße gerne.

Sie haben mal gesagt, dass Sie sich ständig entschuldigen. Woher kommt das?

Sie kennen ja bestimmt Filme von Ingmar Bergman. Diese protestantische Strenge wie in Bergmans Schweden gab’s auch bei uns im Nordischen: dass man erzogen wird mit Gewissensbissen. Früher war das stärker. Heute werden ja Kinder oft frei oder gar nicht mehr erzogen. Sie kommen nie in Kontakt mit jemandem, der ihnen das Leben simuliert, so, wie es als Erwachsener dann auszuhalten ist.

Wie zeigen sie Ihren Kindern, dass das Leben manchmal nicht lustig sein kann?

Gestern Abend um zehn kam ein Sohn: „Verdammt, ich hab den Gitarrenlehrer vergessen. Zwei Stunden hätte ich heute Unterricht gehabt, und dadurch, dass ich Praktikumswoche habe, hab’ ich den vergessen. Pass auf, ich sag dem, ich musste auf den kleinen Bruder aufpassen.“ Da unterbrach ich ihn und sagte: „Nein. Keine Ausreden. Du rufst an und sagst, verdammt, ich hab’s vergessen. Ich hab’s einfach vergessen. Du sagst genau das, was du zu mir gesagt hast. Dann bist du glaubhaft. Denn wenn du auf den kleinen Bruder aufgepasst hättest, hättest du ja kurz anrufen können.“ Das ist wichtig. Keine Ausreden. Den Mut haben zu sagen: So ist es.

Sind Sie selbst immer so konsequent und geradeheraus?

Ich habe es gelernt. Ich war nicht immer so. Aber ich kürze für Kinder diesen Lernprozess gerne ab, wenn sie ihn annehmen. Ich halte das für einen guten Ratschlag. Überhaupt, Dinge sofort anzusprechen. Nicht Stunden, Tage, Wochen herumzudrucksen. Etwas zu klären und auch keine Scheu zu haben vor einem Konflikt. Dinge gleich angehen, nicht zeitverzerrt. Denn sonst kommt da oft so eine Schieflage rein.

Das Interview führte Corinne Schmid

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