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Medien: „Ich werde nicht zensiert“

ZDF-Korrespondet Ulrich Tilgner empfindet den Argwohn gegen seine Berichte aus Bagdad als ungeheuerlich

Herr Tilgner, seit Tagen sind Sie rund um die Uhr auf Sendung, wie halten Sie das durch?

Es ist schon eine psychische Belastung, weil ich nie weiß, was hier letztlich passieren wird. Außerdem ist es körperlich anstrengend, weil man von morgens um sechs bis abends um zwölf Uhr arbeitet. Da muss man seine Kräfte sehr genau einteilen. Natürlich wird auch immer etwas Energie freigesetzt, weil es eine unglaublich spannende Geschichte ist.

Gibt es so etwas wie einen geregelten Tagesablauf?

Ja. Der fängt morgens in den Frühmagazinen an mit den Zusammenfassungen des letzten Abends und der Nacht. Dann kommt die Vorbereitung auf den Tag: Was steht in den Zeitungen, was macht das Team, mit wem rede ich, was gibt es an politischen Eckpunkten, an Pressekonferenzen? Dann geht es in die Sendungen am Mittag und am Nachmittag, um abends noch einmal zu kulminieren: Beiträge für die „heute“Nachrichten und die nachfolgenden Magazine.

Sie sind immer wieder in Bagdad zu sehen, aber man weiß nie genau, wo Sie sind.

Die militärische Situation dominiert jetzt alles, die Sicherheitsaspekte sind ganz entscheidend. Wegen der Bedrohung vor dem Informationsministerium versuche ich dort so wenig wie möglich zu drehen. Dort steht aber unsere Kamera, dort ist unsere Satellitenanlage. Die Frage ist immer: Wann gehe ich in mein Hotel, wo ich mich doch in einer relativen Sicherheit befinde?

Die Interviews in Bagdad haben sich verändert, die Antworten der Einwohner ebenfalls. Stimmt die Beobachtung?

Es wird nicht mehr so stark das Moment des Sieges betont. Früher war die stereotype Antwort auf die Frage „Gibt es Krieg?“ doch: „Der Krieg wird kommen, wir werden alle kämpfen, wir werden gewinnen.“ Diese Formel wird bis auf die hartgesottenen Anhängern des Regimes kaum mehr gebraucht. Gerade die Jugendlichen sagen das weniger, die wissen jetzt ganz genau, was Krieg bedeutet. Die Lage wird realistischer eingeschätzt.

Woher wissen die Iraker Bescheid über die Lage?

Die Hauptinformationsquellen sind die ausländischen Sender, vor allem BBC und Radio Monte Carlo, die beide ein arabisches Programm ausstrahlen. Wie breit diese Quellen genutzt werden, sehen Sie an folgendem Beispiel: Saddam Hussein hat Belohnungen für tote oder gefangene Soldaten der Amerikaner und Briten ausgesetzt. Das tat er auch deswegen, weil über den arabischen Sender Al Dschasira Bilder von irakischen Soldaten gezeigt wurden, die kapituliert hatten. Gegen diese Bilder musste sein Regime sofort dagegenhalten.

Das bedeutet, dass die gleichgeschalteten irakischen Medien präzise auf das eingehen, was ausländische Medien in den Irak hinein und über das Land berichten?

Das scheint mir ein ganz entscheidender Punkt zu sein. Wir deutschen Journalisten haben hier überhaupt keine Startvorteile, man schaut klar auf die Amerikaner. Es löst quasi Bedrückung aus, dass die CNN-Kollegen Pressekonferenzen in Bagdad nicht mehr live übertragen.

Vor diesem Hintergrund müssten sich die Arbeitsbedingungen doch verbessern?

Das habe ich auch gedacht, aber nichts da. Den Durchbruch zu einer liberaleren Praxis der Berichterstattung hat es nicht gegeben.

Sie werden weiter stark kontrolliert, Ihre Berichte zensiert?

Ich werde nicht zensiert, sonst könnte ich jetzt gar nicht dieses Interview machen. Ich werde auch nicht überwacht, die Arbeitsbedingungen sind einfach schwierig geworden – man kann keine eigenen Bilder mehr machen. Der Kameramann sitzt oft untätig rum. Morgens kommen Busse, die einen durch die Stadt fahren. Wir selbst können nicht mehr frei in der Stadt drehen.

Meist sind Sie nur noch am Telefon zu hören, dazu wird ein Bild von Ihnen eingeblendet.

Es wäre unverantwortlich, während eines Angriffs oben auf dem Dach des Informationsministeriums zu stehen – dort befinden sich Luftabwehrgeschütze. Ich hoffe dann, dass unsere Satellitenanlage eingepackt und in Sicherheit gebracht wurde, sonst kann ich bald keine Berichte mehr absetzen. Man muss auch sehen, dass der Druck des Pentagon auf die Journalisten in Bagdad enorm ist. Welches Hotel auch immer als sicher genannt wurde, sofort kam die Schleichmeldung aus US-Quellen hinterher, dass es ein militärisches Ziel sei. Journalisten sind in diesem Maße von den USA noch nicht bedroht worden. Bush, Powell und Rumsfeld haben klar gemacht, dass es für Journalisten sehr, sehr gefährlich wäre, in Bagdad zu bleiben. Das soll uns vertreiben, damit die Amerikaner ihr „embedded-journalism“-Programm durchführen können: Dass Korrespondenten nur noch im Verband mit den alliierten Truppen berichten. Meine Kollegen in Kuwait können aber gar nicht überprüfen, ob der Vormarsch der Briten und Amerikaner wirklich so schnell vor sich geht.

Ihren Berichten wie auch denen von der Front wird mit Vorsicht begegnet.

Das kann ich mir vorstellen, das empfinde ich auch immer so in den Moderationen. Das finde ich ungeheuerlich. Ich habe mich noch niemals von Saddam Hussein missbrauchen lassen, verstehen Sie? Aber bei jedem Bericht, den man macht, wird gesagt: „Unter der Zensur, unter diesem, unter jenem…“ Wenn Gerhard Schröder etwas sagt, dann glaubt doch jeder in Deutschland, dass er möglicherweise nicht das sagt, was er wirklich denkt, sondern dass das taktische Äußerungen sind. Wenn Saddam Hussein etwas sagt, dann sind das a priori erst einmal Lügen. Das führt zu nichts, das sind ja Vorurteile. Wenn man als Journalist hier über diesen Leisten geschlagen wird, dann hat man doch keine Chance.

Sind Sie nicht längst über den Punkt hinaus, wo Sie Bagdad noch hätten verlassen können?

Nein, ich kann jetzt ohne Probleme sofort wegfahren.

Wo suchen Sie in der Nacht Schutz?

Ich schlafe in meinem Bett im „Hotel Palestine“.

Gehen Sie bei Luftangriffen in den Bunker?

Ich fühle mich dort nicht sicherer. Wenn das Hotel angegriffen wird, ist das ein vorsätzlicher Angriff auf die Journalisten.

Wann steht der Amerikaner vor der Hoteltür?

Wenn das US-Militär so operiert wie bisher, dann kann es relativ schnell gehen. Wenn die Politik der massiven Bombardierung gewählt wird, wenn die gesamte Infrastruktur zerstört wird, dann könnte ich mir vorstellen, dass sehr viel Widerstandswille im Lande geweckt wird, weil die Iraker dies als Angriff auf den Irak begreifen würde. Wenn der Palast des Präsidenten angegriffen wird, fühlt sich der einfache Iraker nicht bedroht.

Das Gespräch führte Joachim Huber.

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