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Medien: Im Netz der Informanten

In den USA steht der Schutz journalistischer Quellen vor Gericht

Der Drucker war arm, sein Name ging in die Geschichte ein. Es geschah im Jahre 1663. In London stand John Twyn vor Gericht. Ihm wurde vorgeworfen, ein Buch publiziert zu haben, das König Charles II nicht gefiel. Twyn selbst hatte das Buch nie gelesen, aber den Auftrag angenommen, es zu drucken. Nun weigerte er sich, den Namen des Autoren zu verraten. Dafür wurde er wegen Hochverrats verurteilt, öffentlich kastriert, gevierteilt und schließlich geköpft. Seine Körperreste wurden aufgespießt und zur Warnung an die Tore und Brücken der Stadt genagelt.

Seit dieser Zeit hat sich viel gebessert. Die Justiz ist humaner geworden. Doch das Problem bleibt ungelöst. Kann ein Reporter gezwungen werden, seine Quelle zu verraten? An diesem Mittwoch müssen sich in Washington zwei namhafte Journalisten verantworten, Judith Miller von der „New York Times“ und Matthew Cooper vom „Time“-Magazin. Durch mehrere Instanzen ist der Fall bereits gegangen. Jetzt ist er beim Berufungsgericht des „District of Columbia“ gelandet. Miller und Cooper drohen 18 Monate Haft. In einem Akt der Solidarität haben sich 23 führende amerikanische Nachrichtenorganisationen hinter sie gestellt. Das Interesse an dem Prozess ist groß.

Die Vorgeschichte ist rasch erzählt. Am 14. Juli 2003 schrieb der Kolumnist Robert Novak eine Kolumne, die auch in der „Washington Post“ erschien. Darin verriet er den Namen der CIA-Agentin Valerie Plame. Die wiederum ist mit Joseph Wilson verheiratet. Und der hatte kurz zuvor die Bush-Regierung kräftig geärgert. Wilson nämlich war im Auftrag der CIA im Jahre 2002 in den Niger gefahren, um herauszufinden, ob Saddam Hussein dort Uran kaufen wolle. Ergebnis: negativ. Dennoch war die Bush-Regierung bei ihrer Behauptung geblieben. Die Sache war höchst peinlich fürs Weiße Haus.

Also, so schien es, rächten sich Regierungsmitarbeiter an Wilson und plauderten mit Journalisten über dessen Frau. Allerdings ist es verboten, die Identität von CIA-Agenten zu verraten. Das Vergehen wird mit bis zu zehn Jahren Haft geahndet. Der Skandal hatte ein Nachspiel. Justizminister John Ashcroft sah sich genötigt, eine unabhängige Untersuchung einzuleiten. Als Chefermittler fungiert Patrick Fitzgerald, der Ex-Staatsaanwalt von Chicago. Er indes versteht seinen Auftrag sehr umfassend. Er will das Washingtoner Netz von Informanten und Reportern entwirren. Dadurch sind auch Miller und Cooper, die oft sehr gut informiert sind, in den Brennpunkt seiner Recherche geraten. Warum sich Novak nicht vor Gericht verantworten muss, bleibt ein Rätsel.

Können sich Journalisten auf ein Recht berufen, ihre Quelle schützen zu müssen? Was sind die Grenzen der Pressefreiheit? Darum geht es in dem Prozess. Normalerweise hat jeder US-Bürger die Pflicht, über Verbrechen, die er beobachtet hat, Auskunft zu geben. Sonderregelungen gelten für Verwandte, Anwälte, Psychiater, Ärzte und Priester. Aber auch für Reporter? In einem Grundsatzurteil aus dem Jahre 1972 hat das Oberste Gericht in Washington dies verneint. Die Verfassung garantiere zwar die Pressefreiheit, sie entbinde aber Journalisten nicht generell von der Aussagepflicht im Falle eines Verbrechens.

Die Medien berufen sich auf ein übergeordnetes öffentliches Interesse. Nur ein umfassender Quellenschutz garantiere, dass Skandale publik würden. Andernfalls müssten Informanten ständig den Verrat ihrer Identität befürchten. Faktisch ist die Sache nie endgültig geregelt worden. In den meisten US-Bundesstaaten werden gewisse journalistische Privilegien juristisch akzeptiert. So dürfen Reporter nur dann vor Gericht zitiert werden, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, das Verbrechen aufzuklären. Doch auf ein Recht zur Aussageverweigerung können sie sich nicht berufen.

Zusätzlich vertrackt wird das Problem durch die neuen Medien. Wenn Journalisten unter Berufung auf die Pressefreiheit gewisse Privilegien genießen, stellt sich die Frage: Wer ist ein Journalist? Einige Blogger, die im Internet auf einer Webseite publizieren, haben Zigtausende von Lesern. Sind auch sie Journalisten?

Eins ist gewiss: Der Fall Miller/Cooper wird Wellen schlagen. Denn Amerikas Medien wittern Ungemach. Die Justiz wird immer dreister. Bereits am 18. November wurde TV-Reporter Jim Taricani zu sechs Monaten Haft verurteilt. Dem NBC-Mitarbeiter war ein FBI-Video zugespielt worden, auf dem zu sehen ist, wie ein Angestellter der Stadt Providence im Bundesstaat Rhode Islands bestochen wird. Taricani weigerte sich, die Quelle zu verraten. Fünf weitere US-Reporter sind in ähnliche Prozesse verwickelt.

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