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Im Rostocker „Polizeiruf 110“ spielt Charly Hübner den zwielichtigen Kommissar Alexander Bukow, der mit den Kriminellen „quasi auf einer Kante steht“, wie es der Schauspieler ausdrückt.

© NDR/Christine Schröder

Im Porträt: Der Bodenständige

Charly Hübner wollte Sportler werden, doch sein Herz machte nicht mit – da wurde er Schauspieler. Geblieben ist der Ehrgeiz. Am Sonntag ist er wieder im Rostocker "Polizeiruf" zu sehen.

Eigentlich heißt er Carsten Johannes Marcus. Seinen Vornamen hat Charly Hübner von einer Mitschülerin verpasst bekommen. Charly, abgeleitet von Carl, bedeutet „freier Mann“. Wenn Namen wirklich einen Auftrag haben, dann kann der Schauspieler mit diesem sehr gut leben.

Der freie Mann ist 1,92 Meter groß, er ragt über vieles und viele hinweg. Wie ein üppiger Berg in einer Landschaft von Kleingärten sitzt er in einem Kreuzberger Café. Er trägt Sakko und Hemd, oben am Kragen lugen seine dunklen Brusthaare hervor. Die Espressotasse verschwindet in seinen großen Händen. Charly Hübner kann zupacken. Selbst wenn er, wie in der Comedyserie „Ladykracher“, mitunter arme Würstchen spielt. Kollegin Anke Engelke parodiert ihn gerne so: „Ja, ich bin Charly, ich bin von der Küste und sehr gemütlich, aber wenn ich will, kann ich auch mal zuhauen.“

Im Rostocker „Polizeiruf 110“ spielt Charly Hübner den Kommissar Alexander Bukow, der selber Dreck am Stecken hat und der nicht selten auf Putz und Nasen haut. „Das war meine Idee, dass der Kommissar russischer Abstammung ist“, erzählt er, „wir wollten eine Figur mit einer dunklen Vergangenheit finden, die auch zu Mecklenburg-Vorpommern passt.“ Dort war nach der Wende vor allem die russische Mafia aktiv. Alexander, kurz Sascha Bukow, wurde von ihr erpresst und seine Familie bedroht. Er ließ sich unter Druck setzen und als Polizist einige krumme Dinger durchgehen. „Die Figur fetzt“, sagt Charly Hübner über seinen Ermittler, „weil sie mit den kriminellen Gegenspielern quasi auf einer Kante steht. Bukow weiß aus eigener Erfahrung, wie sie ticken. Er kann ihnen taktisch Paroli bieten.“ Nicht nur das unterscheidet ihn von anderen Kommissaren im deutschen Fernsehen. Mit seiner ausgestellten Männlichkeit und seiner direkten Art ist er ein sympathischer Macho, der in abgewetzten Jeans, Schlabbershirt und Jeansjacke schon mal Rotwein aus der Flasche trinkt.

1972 wurde Charly Hübner in Neustrelitz geboren. In Carwitz, einem kleinen Ort, in dem auch Hans Fallada mehrere Jahre lebte, in der Nähe von Feldberg, Mecklenburger Seenplatte, wuchs er auf. Er war ein sportlicher Junge, feierte Erfolge im 100-Meter-Sprint und im Weitsprung. Er gewann auch einmal die Russisch-Olympiade. Auf dem Podest zu stehen und beachtet zu werden, gefiel ihm. Eigentlich wollte er in Leipzig Sport studieren, an der DHfK, der Deutschen Hochschule für Körperkultur. Als er 17 war, diagnostizierte man bei ihm Herzrhythmusstörungen. Sein Herz war wegen des vielen Trainings übergroß geworden, der Berg begann zu bröckeln. Von einem Tag auf den anderen musste er den Sport aufgeben, Betablocker einnehmen und sich nach einer neuen Zukunft umtun.

Zusammen mit einem Freund reiste er ein Jahr später in die Türkei. Als sie in den Ruinen eines Amphitheaters standen, fing sein Freund plötzlich an „Hamlet“ zu rezitieren. Er stellte sich auf die Bühne, hob die Arme und schmetterte „Sein oder Nichtsein“ in die warme Luft. Als Besucher der antiken Stätte zufällig vorbeikamen, blieben sie stehen, lauschten und applaudierten. Einige riefen sogar „Bravo“. In diesem Moment erkannte Charly Hübner, dass die Theaterbühne wie ein Siegertreppchen im Sport funktioniert. Dass man dort wahrgenommen wird. Von da an gab es außer Schauspielerei für ihn nichts anderes mehr. Vom Sport ist allerdings sein Ehrgeiz übrig geblieben, immer das Ziel zu erreichen, möglichst gut. „Wenn ich dann etwas geschafft habe“, sagt er, „will ich aber auch weitergehen und andere Dinge machen. Sonst wird mir langweilig.“

Er hat in festen Ensembles an verschiedenen Theatern in Berlin und Frankfurt am Main gespielt, irgendwann entdeckte man ihn fürs Fernsehen. Die Regisseurin Sherry Hormann besetzte ihn 2003 für den Sat-1-Film „Wenn Weihnachten wahr wird“. Seitdem ist er selbstständig, ein freier Mann, der mitunter in einem Jahr in 17 verschiedenen Charakteren auftritt oder drei Jahre ohne Pause durcharbeitet. Er wohnt in Hamburg, seine Freundin in Berlin, in Köln spielt er „Ladykracher“ und Theater, in Rostock dreht er „Polizeiruf 110“. Sein Leben scheint seiner Vorstellung vom Geld gleichzukommen: „Geld muss wandern“, meint er, als er einer ziemlich kaputten Frau mit aufgesprungenen Lippen im Café ein paar Münzen zukommen lässt, „ich gebe allen immer etwas“.

Einmal in jeder Jahreszeit, Frühling, Sommer, Herbst und Winter, fährt er nach Feldberg, an die Seenplatte, um seine Mutter zu besuchen. Dort legt er sich am liebsten auf die Wiese. In seiner Heimat ist er ein „local hero“, ein Meck-Pommer, der es zu etwas gebracht hat. Neulich hat er in seiner alten Schule in Carwitz aus dem Briefwechsel zwischen Hans Fallada und dessen Sohn Uli vorgelesen und anschließend Zeugnisse an die Zehntklässler überreicht. Auch in Neustrelitz hatten sie ihm schon einmal einen großen Empfang mit Stehbuffet bereitet, auf dem die gesamte lokale Presse anwesend war. Das war 2006, und Charly Hübner spielte in dem Film „Das Leben der Anderen“ die Rolle eines Stasi-Oberfeldwebels. Das Publikum aus der Region kam nach der Vorstellung zu ihm und sagte im pommerschen Dialekt: „Na ja, das war jetzt nicht die größte Rolle, aber es ist trotzdem schön, dass einer von uns da mitspielt.“ Durch diese Rolle aber lüftete sich auch ein lang gehütetes Familiengeheimnis. „Ich erinnere mich, dass mein Vater sich mit meiner Mutter beim Empfang nach der Filmvorführung in eine Ecke zurückzog“, erzählt er, „als ich dann zu ihnen ging, äußerte mein Vater plötzlich: ‚Solche Kameras wie in dem Film hatten wir nicht.’“ Mit dieser Aussage war eine Bombe geplatzt.

Schon lange hatte Charly Hübner vermutet, dass sein Vater bei der Staatssicherheit beschäftigt war. Hannes Hübner war zu DDR-Zeiten stellvertretender Bürgermeister, Stadtrat für Kultur und Chef vom Hotel Hullerbusch, das vor allem Künstler gerne besuchten. Auch Wolf Biermann übernachtete dort. Charly Hübner hatte seinen Vater nach dem Mauerfall immer wieder gefragt, ob er für die Stasi gearbeitet habe. Und der hatte es immer wieder verneint. Bis zu diesem Abend in Neustrelitz. Und nun, ausgerechnet nach der Vorführung des Films, in dem sein Sohn selbst einen Stasi-Mitarbeiter spielte, bekannte er sich dazu. Mit einem Mal wurde aus dem „Leben der Anderen“ ein eigenes.

Für Charly Hübner ist ein Film gut, wenn das, was darin passiert, fast real erscheint. Wenn nichts überhöht gespielt wird, und man alles glauben kann. Wie in einer Dokumentation. Er selber versucht, in seinen Rollen auch so zu wirken. Als ihm in einer Folge für den „Polizeiruf 110“ einmal unendlich viel Text verpasst wurde, hat er gestrichen. Alexander Bukow ist für ihn keine Figur, die viel quatschen muss. Auch Charly Hübner ist kein Mann verschwenderischer Worte, er ist nicht bei Facebook oder Twitter, er schickt selten SMS, wegen seiner Wurstfinger, wie er sagt. Er schreibt Briefe mit förmlicher Anrede, er mag Hamburg, die Stadt, in der er lebt: „Da kommst du in den Zeitungskiosk rein und die sagen ,Moin‘ und der Rest ist schon geklärt.“ Solche Sätze erinnern an Sascha Bukow. Als seine Agentin ihm vor zwei Jahren das Angebot für die Rolle am Telefon mitteilte, konnte Charly Hübner es kaum fassen. Er bat sie: „Jetzt ruf’ noch einmal an und sag’ genau das Gleiche.“ Es klingelte wieder.

„Polizeiruf 110: … und raus bist du!“, ARD, 20 Uhr 15

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