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Medien: Im Radio: Aliens von gestern

In diesen Tagen tingelt er mit geläuterten Neonazis über die Bühnen der deutschen Staatstheater. Vor Monaten hat er in Wien echte Asylanten in falsche "Big Brother"-Container gepfercht.

In diesen Tagen tingelt er mit geläuterten Neonazis über die Bühnen der deutschen Staatstheater. Vor Monaten hat er in Wien echte Asylanten in falsche "Big Brother"-Container gepfercht. Und dann gab es noch diese Besuche im Hörspielstudio. "Lager ohne Grenzen" heißt Christoph Schlingensiefs radiophone Radikalsatire zum Krieg im Kosovo. Zwar ist das preisgekrönte Hörspiel bereits zwei Jahre alt, aber auch als Wiederholung sehr empfehlenswert. Mit einem Ensemble aus Volksbühnen-Schauspielern, kuriosen Laiendarstellern und einstigen Fassbinder-Diven inszeniert Schlingensief eine europäische Spendenaktion für die Opfer des Kosovo-Krieges. Wir hören Konferenzschaltungen zwischen moralisch engagierten Entertainern, linksalternativen Kriegsministern und friedliebenden Nato-Generälen. Auch Peter Handke ist mit von der Partie. Tief ist das Misstrauen des Künstlers gegen die kollektive Moral, die der Westen während des Kosovo-Krieges für sich in Anspruch nimmt. Gegen den politischen Filz aus Sein und Schein, Wahrheit und Lüge, wie er im täglichen Medienbetrieb öffentlich wird. Einen Betrieb, den Schlingensiefs dramatische Aktionskunst nicht mehr aufklärerisch enthüllen, sondern hysterisch überbieten will. Mit schwarzem Humor und Fantasien direkt an der Tabugrenze (Deutschlandradio, 9. Juli, 0 Uhr 05, UKW 89,6 MHz).

Schlingensiefs Radioartistik wird ein paar tausend Zuhörer finden, nicht mehr. Lange vorbei sind die Zeiten, als das Radio eine nationale Öffentlichkeit schaffen konnte. Noch vor fünfzig Jahren hat es das gegeben: ein Hörspiel als Straßenfeger. Die Nation im Zustand kollektiver Erregung, weil ein Radiodrama sie mit unangenehmen Dingen konfrontierte. Günter Eichs Hörspiel "Träume" ist so ein Musterfall der Hörspielgeschichte, der noch heute altgedienten Redakteuren ein Leuchten in die Augen treibt. Sechs Jahre nach dem Krieg erzählte Eich in seinem Hörspiel mit suggestiver Poesie ein halbes Dutzend Albträume. Eine Familie reist in einem verschlossenen Güterwaggon durch eine vergessene Welt. Kinder werden für Greise geopfert. Aliens in Termitengestalt fressen Menschen von innen her auf. Deutsche Albträume, über die sonst im ganzen Land betäubt geschwiegen wurde. Als Mitte der fünfziger Jahre der Grundstein für ein neues NDR-Funkhaus gelegt wurde, hat man das Originalmanuskript des Hörspiels mit in die Fundamente eingemauert. Wer wissen will, ob das Pathos einer solchen Geste gerechtfertigt war, sollte Günter Eichs "Träume" nicht verpassen (Deutschlandradio, am 8. Juli um 18 Uhr 30).

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