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Medien: Im Radio: Die Dame mit dem Beil

Immer dienstags kommen die Frauen aus der Kontaktanzeigenzeitung in die Wohnung des Junggesellen. Aber dort finden sie nicht Liebe und Partnerschaft, sondern einen grausamen Tod.

Immer dienstags kommen die Frauen aus der Kontaktanzeigenzeitung in die Wohnung des Junggesellen. Aber dort finden sie nicht Liebe und Partnerschaft, sondern einen grausamen Tod. Sie werden geschlachtet, und am Mittwoch kocht die böse Mutter aus ihnen eine nahrhafte Mahlzeit. "Dienstag" heißt das bizarre Märchen des Autors Helmut Krausser. Ein radiophoner Alptraum, der zum Hörspiel des Jahres 2000 gewählt wurde. Die grausame Mutter und ihr willensschwacher Sohn leben in mörderischer Symbiose, im Haus herrscht eine Stimmung wie in Hitchcocks "Psycho".

Helmut Krausser, der Schriftsteller und Filmautor, ist ein Experte für nervenaufreibende Wirkungen. Er legt seinen Figuren einen artistischen Tragödien-Ton in den Mund, eine Kunstsprache, die sich immerzu ins Absurde, Wahnsinnige verdreht. Jeden Dienstag zelebrieren Mutter und Sohn die Rituale eines Lustmords. Bis eines Tages die furchtlose Elke auf den Plan tritt. Eine Frau, die stets ein kleines Damenbeil in ihrer Handtasche trägt. Der Sohn möge doch mit ihr gemeinsam die Mutter metzeln, schlägt Elke vor. Das wäre der Durchbruch ins eigene Leben. Der Kampf der beiden Frauen um den Sohn beginnt. Lange bleibt unklar, wen der letzte Hieb treffen wird. Nur eines weiß der Hörer von Anfang an: das Happyend wird furchtbar sein (SWR 2, 14. Oktober, 16 Uhr 05, Kabel UKW 107,85 MHz).

Nach so dunklen Torturen hat sich der Hörer eine hellere Freude verdient. Wir empfehlen die Lesung des "Tristram Shandy", die am Montag bei Radio Kultur beginnt. Ein berühmtes Kuriosum der Literaturgeschichte ist dieser Roman, verfasst von dem englischen Landpfarrer Laurence Sterne. Ein Buch ohne Anfang und Ende, ohne Ordnung und Vernunft, ja, sogar ohne eine richtige Handlung. Die kunstvoll verworrene Biografie des Tristram Shandy ist eine philosophische Satire auf das Aufklärungszeitalter und zugleich ein episches Schelmenstück, das alle ästhetischen Normen über den Haufen wirft. Der tausendseitige Beweis dafür, dass ein Autor des 18. Jahrhunderts noch heute durch weltbürgerlichen Charme und urbane Ironie erstaunen kann. Vom "Tristram Shandy" aus, so hat es Milan Kundera formuliert, geht der Ruf des Spiels an alle nachfolgende Literatur - des Spiels als einer Möglichkeit der Existenzbewältigung wie der Poetik des Romans. Man sagt, es gäbe noch heute eine weltumspannende Sekte von Liebhabern dieses Buches, die "Shandyisten". Vielleicht wäre das ein Verein, in dem Sie gern Mitglied sein wollen (Montag bis Freitag, 8 Uhr 30, Wiederholung 19 Uhr 30, UKW 92,4 MHz).

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