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Im Radio: Flucht, Vergessen und Erinnern

Tom Peuckert verrät, was Sie nicht verpassen sollten: Tipps fürs Radio-Programm.

Wahrscheinlich war es das gefährlichste Abenteuer, das man in der DDR haben konnte. Wer die Staatsgrenze Richtung Westen überwinden wollte, brauchte Fantasie, List und Kühnheit, auch an Glück durfte es nicht fehlen. Viele haben das Abenteuer in den 28 Mauerjahren seit 1961 gewagt, etliche sind durchgekommen, andere mussten mit ihrem Leben oder langer Gefängnishaft bezahlen. Im Feature „Als Schwan in den Westen“ erzählt Autorin Christiane Hein ostdeutsche Fluchtgeschichten. Manche dieser Geschichten wurden jahrelang nur im Kopf gewälzt, andere nach einer durchzechten Nacht spontan in Szene gesetzt. Es geht um Verkleidungen und gefälschte Pässe, um hohe Leitern, selbst konstruierte Flugmaschinen und die Tricks der Piraten (Kulturradio vom RBB, 17. Juni, 22 Uhr 04, UKW 92,4 MHz).

Früher war die Tugend ein Befehl. Ein festes System von Lehr- und Merksätzen, niedergelegt in Bibel und Fibel. Heute ist diesbezüglich alles ins Fließen und Rutschen gekommen, wer von Tugend redet, macht sich schnell verdächtig. Dabei ist klar, dass die Menschheit ohne ein gewisses Maß an ethischer Disziplin längst ausgestorben wäre. Grund genug also für Autor Matthias Eckoldt, die Tugend aus zeitgenössischer Perspektive zu überdenken. In seinem Radioessay „Tugend Heute“ analysiert Eckoldt im Dialog mit lebenden und toten Philosophen die Dimensionen des Begriffs, kommt von den Kardinaltugenden zu den umstrittenen deutschen, von simplen Benimmregeln zur Metaphysik der Moral. Das Reden von der Tugend kann intellektuelle Leidenschaft sein, aber auch Selbstvergewisserung im Alltäglichen. In diesem Sinne spannt der Essay einen klugen Bogen zwischen Theorie und Praxis und ist damit, zumindest laut katholischer Moralphilosophie, selbst ein Stück praktizierte Tugendhaftigkeit (Kulturradio vom RBB, 18. Juni, 22 Uhr 04).

Gefragt nach dem Rezept für ein glückliches Leben nannte die Schauspielerin Ingrid Bergman einst zwei Dinge: gute Gesundheit und ein schlechtes Gedächtnis. Letzteres hat zwar in Zeiten wachsender Alzheimerfurcht einen unangenehmen Beigeschmack, aber natürlich gehört zu jedem funktionierenden Erinnerungsvermögen auch das Vergessenkönnen, wie Manuela Reichart in ihrem Feature „Nur die eine nicht, und die heißt: Vergissmeinnicht“ überzeugend darstellt. Die Autorin erzählt ausführlich vom Erinnern und Vergessen als Basisfunktionen unseres geistigen Lebens. Die moderne Naturwissenschaft hat sich ausgiebig damit beschäftigt, die Kunst hat hier reichlich Stoff gefunden. Erinnern und Vergessen als dramatische, oft rätselhafte, zuweilen auch kuriose Phänomene (Deutschlandradio Kultur, 20. Juni, 18 Uhr 05, UKW 89,6 MHz).

Im kleinen Ort Gusen, unweit der Stadt Linz, betrieben die Nazis bis 1945 ein Konzentrationslager. Nach dem Krieg wurden alle Bauwerke des Lagers abgetragen und das Gelände zu neuer Bebauung freigegeben. Heute stehen dort 200 Einfamilienhäuser mit gepflegten Vorgärten und Kinderspielplätzen. Was wird aus der Erinnerung an einen furchtbaren Ort, hat sich der Künstler Christoph Mayer chm gefragt, wenn alle materiellen Spuren getilgt sind. Wer heute nach Gusen kommt, kann sich dort Kopfhörer ausleihen und einen Spaziergang durch die proppere Eigenheimsiedlung machen. In seinem Kopf reden währenddessen die Stimmen der Opfer, Täter und Zeugen des einstigen KZ-Betriebs. Eine verstörende und zugleich enorm erhellende Collage gegensätzlicher Erinnerungen hat Christoph Mayer chm komponiert, die den heutigen Frieden des Ortes durch die Schrecken seiner Geschichte verfremdet. Weil Mayers sogenannter permanenter Hörweg ein überaus eindrucksvolles akustisches Dokument ist, kommt es nun unter dem Titel „Das unsichtbare Lager“ auch als Hörspiel ins Radio (Deutschlandfunk, 20. Juni, 20 Uhr 05, UKW 97,7 MHz).

Wer erinnert sich noch an Ron Sommer? Das war der Deutsche-Telekom-Boss mit den markanten Zügen. Ein Visionär des Neuen Marktes und charismatischer Repräsentant einer neuen Managerelite. Die Aktien seines Unternehmens schienen Geld für alle herbeizaubern zu können. Aber das Glück, so könnte man kalauern, währte nur einen Sommer lang. Die Geldvermehrung verwandelte sich in ihr Gegenteil, Ron Sommer wurde zum Buhmann der Nation. Walter Filz hat Aufstieg und Fall des Managers in einem spannenden Hörspiel dokumentiert. Im Juli 2002 trat Sommer von seinem Chefposten zurück. Wurde er gestürzt? Stürzte er sich selbst? „Spekulation Sommer“ verspinnt Fakten und Vermutungen zu einer modernen Tragödie (SWR 2, 21. Juni, 18 Uhr 20, Kabel UKW 107,85 MHz).

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