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Medien: Im Radio: Luft holen bei Molly

Nehmen wir an, ein Scheintoter erwacht nach seinem eigenen Begräbnis im Sarg. Der Mann kann sich getrost als Katastrophenopfer fühlen.

Nehmen wir an, ein Scheintoter erwacht nach seinem eigenen Begräbnis im Sarg. Der Mann kann sich getrost als Katastrophenopfer fühlen. Aber dann findet er zufällig in den Falten seines Leichenhemds ein Handy. Er ruft seinen Psychoanalytiker an und bittet dringend um Rückholung ans Tageslicht. Der erfahrene Therapeut hat zwei Hypothesen: entweder ist das ein schlechter Scherz oder sein ohnehin an Klaustrophobie leidender Patient durchlebt gerade einen neuen Neuroseschub. Dann soll er gefälligst morgen in die Sprechstunde kommen. Der Amerikaner Carey Harrison hat mit "Die Therapeuten-Story" das ultimative Radiodrama zum Handyzeitalter geschrieben. Gegen die Endlichkeit von Akkus und Atemluft muss ein zu früh Begrabener um sein Leben telefonieren. Oder ist doch alles nur ein Wahn? Bis sich das Schicksal unseres einsamen Klaustrophobikers entscheidet, erlebt der Hörer diesbezüglich etliche makaber-amüsante Wendungen. Er müsste schon ein grober Klotz sein, wenn ihm dabei nicht ein leichter Druck auf der Brust lasten würde. Ein Gefühl wie Lebendig-begraben-sein (Deutschlandradio, 31. Dezember, 18 Uhr 30, UKW 89,6 MHz).

Erholsamer geht es gewiss bei Molly Luft zu, die sich selbst die dickste Hure Berlins nennt. Eine Frau, die nach langen Jahren im horizontalen Gewerbe nun ins Showgeschäft drängt. Man sah sie bisher im regionalen Fernsehtalk oder auf den Reportageseiten der Tageszeitungen. Nun plaudert sie in einem Radiofeature über ihr bewegtes Leben. Was Sie schon immer über käuflichen Sex jenseits der Drei-Zentner-Grenze wissen wollten. Keine Tabus, keine Geheimnisse. Ob fleischliches oder mediales Entertainment, Frau Molly weiß, was Kunden wünschen (Deutschlandradio, 2. Januar, 0 Uhr 05).

Im Südwestradio kann man dagegen noch immer das Sonderprogramm zur russischen Kultur hören, von dem an dieser Stelle bereits die Rede war. In der kommenden Woche ist Wladimir Sorokin die heimliche Hauptfigur. Vermutlich ist Sorokin der bedeutendste lebende Schriftsteller Rußlands. Ein grausames Genie, ein Nachfahr dunkelster literarischer Gewalttäter und zugleich ein Satiriker von Gnaden. Sein preisgekröntes Drama "Hochzeitsreise" erzählt von der Liaison zwischen dem Sohn eines deutschen SS-Generals und der Tochter einer russischen KGB-Kommissarin. Sorokin hetzt das kollektive Unbewusste von Russen und Deutschen lustvoll aufeinander und verlängert die Wirkungen der gemeinsamen Unheilsgeschichte bis in die jüngste Gegenwart. Eine inspirierte Collage zum europäischen Totalitarismus (SWR 2, 4. Januar, 21 Uhr, Kabel UKW 107,85 MHz).

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